»Nein, ich bin nicht Ritter vom Calatravaorden«, antwortete der alte Krieger. »Und was meine Belohnung anbetrifft, nun, eine goldene Kette hing mir die katholische Majestät um, und ein Obristenpatent gab man mir auch.«
»Ah!« machte der Kommandant, und die übrigen Befehlshaber drängten näher heran.
»Jawohl«, sagte der Alte, »ich verstehe wohl, was Euer Blick sagen will, Sennor Colennello; er will sagen: nun, und was steht Ihr hier jetzt als mein Untergebener, als ein armer, halbinvalider Söldner? Ist es nicht so?« fragte er und blickte im Kreise umher. »Nun, ich will’s Euch auch sagen, da ich grad am Erzählen bin. Knöpft die Ohren auf, junges Volk, es mag eine Lehre für euch drin liegen. Am dreizehnten Julius 1591 schlug der Prinz Farnese sein Lager vor Fort Knodsenburg, Nimwegen gegenüber, es zu belagern; aber Gerhard de Jonge, der niederländische Befehlshaber, war ein tapferer Mann und machte uns blutige Arbeit. Ihn zu entsetzen, rückte auch Moritz von Oranien über Arnheim in die Betau und zog nach gelegtem Hinterhalt her zur Rekognoszierung vor unser Lager. Da ritten wir aus, sieben Kornetten, spanische und italienische Speerreiter gegen den Feind. Kann euch sagen, wackere Ritter saßen auf: Francesco Nicelli, Alfonso Davales, Padilla, Jeronimo Caraffa, Decio Manfredi und andere. Des Herzogs Leibkornette führte ich an dem Tage – Fluch sei ihm! Vorwärts gegen den Feind ging’s, und eilends zog sich dieser zurück, bis – wir in den Hinterhalt fielen und aufgerieben wurden bis auf den letzten Mann. O heftiger Gott, dreißig Wunden, ehrliche Narben trug ich schon damals auf dem Leib, bei jedem Gefecht hatt’ ich geblutet, und dieses Mal – dieses Mal, als alle Gefährten tot und wund das Feld deckten, blieb ich allein unverletzt. Des Herzogs von Parma sieghafte Standarte aber, die ich führte, blieb in der Hand des Feindes! Einen gestickten Christus trug sie mit der Unterschrift: ‘Hic fortium dividet spolia’. – Da ging meine Kriegsehre zugrunde. Am folgenden Tag riß man mir die goldene Ehrenkette ab, die mir Don Philipp gegeben hatte; meine Stelle bekam ein anderer, Glücklicherer; ich durfte mich als gemeiner Söldner in der großen Masse verlieren; meinen Namen warf ich fort und nahm Dienste in einem deutschen Regiment, grau und gebeugt ward ich in einer einzigen Stunde, Hauptmann unter meinem jetztigen Namen auch wieder und so – Euer Untergebener, Kommandant, euer Kamerad, ihr Herren – wendet euch nicht ab!«
Der Kommandant von Fort Liefkenhoek reichte dem Erzähler die Hand und schüttelte sie stumm und herzlich: auch die andern drängten sich, ihm die Hände zu reichen.
»Basta!« sagte der Alte. »Was tut’s, zuletzt ist’s doch alles einerlei. Wieviel Glanz, Ehre und Ruhm hab’ ich verlöschen sehen – im Eskorial schläft Don Philipp der Zweite; zu Parma liegt der große Prinz Alexander; – wo blieb Fernando Alvarez von Toledo, der Herzog von Alba? Wo blieb unser gewaltiger Feind Wilhelm der Schweigende?« ‘Quo pius Aeneas, quo divus Tullus et Ancus?’ lachte ein junger Fähnrich, der eben erst der hohen Schule zu Salamanca entlaufen war; aber niemand achtete seiner, und der Kapitän Jeronimo fuhr fort: »Basta, Kameraden; ein jeder tue seine Pflicht und halte sich für einen ehrlichen Mann! Sennor Kommandant, laßt die Leute das Gewehr wegsetzen, die rote Ruhr streicht sie Euch morgen sonst von der Musterrolle. Die Geschichte auf den Wassern dort drüben ist zu Ende – seine katholische Majestät Don Philipp der Dritte und seine genuesischen Gnaden Signor Federigo Spinola haben ein gutes Schiff weniger. Laßt die Leute schlafen gehen, Oberst; morgen werdet Ihr schon das Weitere und Nähere erfahren.«
»Ihr glaubt, Unglücksverkünder? Ach, Euer teuflisches Mißgeschick hat Euch den frischen Mut allzu sehr geknickt. Faßt Mut, wackerer Jeronimo.«
Der Hauptmann zuckte nur die Achseln.
»Nun, es sei«, sagte der Kommandant. »Laßt die Zeichen geben, die Wälle zu verlassen. Nachher erwarte ich euch alle, meine Herren, zu einem Trunk Wein; es wird ja doch wohl keiner von euch mehr schlafen in dieser Nacht. Mut ihr Herren, und Spanien für immer!«
Die Offiziere riefen das letzte Wort ihres Befehlshabers nach, aber doch mit ziemlich beklemmten Stimme. Dann wirbelten die Trommeln, und die Truppen zogen zurück von den Wällen des Forts Liefkenhoek.
Der Kommandant blieb aber noch zurück, stützte seufzend die Ellbogen auf die Mauerbrüstung und legte das Kinn auf die Hände. So starrte er auf die Wasser und in die Nacht hinaus und murmelte:
»Er hat recht; es ist ein leidig Ding um diesen Krieg. Vierzehn Jahre flattert nun wieder das Banner von Spanien auf diesen Wällen und auf den Mauern und Türmen von Antwerpen; sind wir aber darum nur einen Schritt weiter in der Besiegung dieses heldenmütigen, starrköpfigen Volkes? Welche Männer haben auf dieser winzigen angeschwemmten Erdscholle gekämpft und geblutet! Welche Männer haben gekämpft um diesen Fleck! Wie leuchtende Sterne glänzen durch die Zeiten die Namen von Freund und Feind, die Namen Alexander Farnese, Mansfeld, Mondragone, Johannes Pettin von Utrecht, Aldegonde, Gianibelli, Johannes Baptista Plato, Barrai, Capisucchi, Olivera, Paz, La Motta, Delmonte und hundert andere. Tausend und aber tausend Ungenannte liegen dort unter dem Sande, unter den Fluten; – wie viele werden noch darin versinken?«
Die Besatzung hatte sich längst zurückgezogen, und man vernahm nichts mehr auf dem Wall von Fort Liefenhoek, als den Ruf und Schritt der Ronden und das Brausen der Wogen und des wiedererwachenden Sturmes.
Nochmals umschritt der Kommandant seine Mauern und schärfte den verdoppelten Wachen ein, ja gute Wacht zu halten; dann stieg auch er hinab und suchte seine Wohnung auf, wo er seine Offiziere, seiner Einladung gemäß, alle bereits versammelt fand. Nur der Hauptmann Jeronimo fehlte; er pflegte immer zu fehlen bei den Gelagen seiner Kriegsgesellen; man ließ ihn gewähren, bedauerte ihn und scherzte und lachte über seine Prophezeiungen.
Der Alte aber hatte doch recht! Wohl hatten in dieser Sturmnacht der katholische König und Friedrich Spinola von Genua ein wackeres Schiff verloren. Der nächste Morgen warf die verkohlten Trümmer der Immacolata Concezione an die Dünen von Südbeveland dem ketzerischen Volk vor die Füße, und die Abendflut trug mehr als eine verstümmelte Leiche mit der hispanischen Feldbinde zu den Mauern von Fort Bats. Die schlimme Voraussagung des Kapitäns Jeronimo war eingetroffen, die Wassergeusen hatten den Sieg behalten in dem nächtlichen Gefecht.
An Bord der Andrea Doria
In die Stadt Antwerpen brachten Fischer die Botschaft von dem nächtlichen Vorgang, und groß war darob, je nach der Parteistellung, der heimliche Jubel oder die laute Wut der Bevölkerung.
Auch in der Stadt lief baldigst durch das Volk der Name der »schwarzen Galeere« und wurde mit mehr oder weniger Zuversicht mit dem geschehenen Unheil in Verbindung gebracht.
Wer konnte in solcher Sturmnacht, wie die vergangene war, solche Tat anders getan haben als die schwarze Galeere?
Auf den Plätzen, in den Gassen, in den Werkstätten, in den Kirchen, auf dem Rathause und in der Zitadelle wurde das Wort gehört. Auf den Kriegs-und Handelsschiffen, die am Kai, dicht an den Häusern und Mauern der Stadt vor Anker lagen, lief es um. Überall, wie gesagt, sah man Bestürzung oder geheimes Frohlocken auf den Gesichtern.
»Die schwarze Galeere! Die schwarze Galeere!« –
Das war Federigo Spinola, ein edler Genueser Patrizier, ein unternehmender Sohn des berühmten Geschlechtes jener reichen Republik, welcher mit dem König von Spanien, Philipp dem Dritten, einen Vertrag abgeschlossen hatte, für den Dienst der katholischen Majestät eine Flotte gegen die niederländischen Rebellen auszurüsten und dieselbe in die Nordsee zu führen. Alle Beute, alle Schiffe, welche den Ketzern abgenommen wurden, waren Eigentum des Admirals Federigo, und so fuhr er mit einer bedeutenden Anzahl Galeeren und Galeonen, bemannt mit sechzehnhundert kühnen Männern, aus von Genua, schiffte durch die Straße von Gibraltar, umfuhr das Kap Finisterre, nahm im Busen von Biscaya eine große Anzahl verwegener biscayischer Piraten und Kaper in sein Schiffsgefolge auf, desgleichen eine große Anzahl Dünkirchner Freibeuter und erschien am 11. September 1599 im Hafen von Sluis, wo er Anker warf und von wo aus er seine Tätigkeit in dem nordischen Meer begann.
Zum erstenmal wurden die Wellen der