Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Raabe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027207619
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Ihr? Basolamano! Man wird alt und fängt an, die Bequemlichkeit zu lieben; – gefällt mir recht wohl hie zu Rothenburg im Thal. – Freut mich, Euch zu sehen, und hoff’ Euch nunmehro bei Gelegenheit dies verkleisterte Auge heimzahlen zu können. Thut mir die Liebe an, Weibel! ‘s war’ mir ein’ Seelenlust, Euch so – von Amtswegen vorzunehmen.«

      Der schwarze Jürg schnitt eine Grimasse und seine Hand zuckte nach der linken Hüfte, von der sonst der Degen herabhing. Der Scharfrichter lachte:

      »Laßt nur, Camarado, wir sind hier nicht im Feldlager, und meine günstigen und gnädigen Herren vom Rath dulden keinen Friedensbruch innerhalb der Bannmeile.«

      Mit höhnischer Devotion zog der Henker von Rothenburg den breitkrämpigen Hut ab, verneigte sich tief vor seinem Widersacher und schloß seine Rede:

      »Wünsch’ Euch den schönsten guten Abend, Herr Weibel vom Regiment Montecuculi, ich will Euch nicht länger aufhalten, Ihr habet Euere Gänge allhier in Rothenburg, und ich habe die meinigen. Grüßet doch Euer Liebchen da unten in der Silberburg; hoff’ auch bei Gelegenheit ihre nähere Bekanntschaft zu machen, wir kommen wohl einmal auf die eine oder die andere Art zusammen, ‘s trifft sich wunderlich in der Welt.«

      Sprachlos vor Wuth blickte der schwarze Georg dem Freimann nach; die Thränen traten ihm vor machtlosem Zorn in die Augen; eine Waffe hatte er nicht, ein unnützes Glied hing der Schwertarm in der Schlinge; so mußte Georg Kindler den Feind spotten und lachen lassen.

      Aneinander gerathen waren die beiden Männer vor zwei Jahren in einem baierischen Dorf, wo der Weibel vom Regiment Montecuculi ein armes Weiblein vor dem Profoß von Deutschmeister-Infantria erretten wollte. Es kam darüber zum Kampf, und in demselben verlor Wolf Scheffer das Auge. Das arme baierische Mädel aber wurde glücklicherweise durch eine barmherzige Kugel getödtet, ehe die Croaten in das Dorf einritten.

      IV.

       Inhaltsverzeichnis

      Wir ließen nach Untergang der Sonne den schwarzen Jürgen nach seiner Expectoration über des Vaters Kunst hauszuhalten, von dem Lug in’s Land zur Erde niedersteigen. Zuletzt überwand das Mondenlicht doch den rothen Glanz im Westen und silbern überfluthete es Berg und Thal, Stadt und Ebene. Roth flimmerten in der Tiefe die Lichter aus den Fenstern von Rothenburg; die Frösche quakten, die Grillen zirpten, Nachtschmetterlinge und Nachtvögel begannen ihren Flug. Die Fledermaus zog ihre irren Kreise; junges Volk sang einzeln oder in Chören. Es war, als seien alle Plagen, welche die Menschheit bedrängen, wieder zurückgescheucht in die Büchse der Pandora, als sei der Deckel niedergefallen und siebenfältig versiegelt.

      Aus seiner Dienstwohnung unter den Bogen des Rathhauses trat der Rathsnachtwächter mit Horn, Spieß und Hund. Der Hund ging zum nächsten Eckstein; seinen Spieß stieß der Wächter auf den Boden, sein Horn setzte er an den Mund, blies dreimal hinein, dumpfes Getön hervorlockend, dann sang er mit rauher Stimme:

      »Seine Noth und seine Plag’

       Hat der liebe lange Tag;

       Hört, Ihr Herren, hört, Ihr Frau’n,

       In und um Euch sollt Ihr schau’n

       In der Nacht.«

      Zum Beschluß verkündete Joachim Schaufele kaiserlich freier Reichsstadt Rothenburg im Thal die neunte Abendstunde.

      Gegen zehn Uhr knarrte die Hinterthür der Silberburg, eine Gestalt trat vorsichtig hinaus und glitt unhörbaren Schrittes in den Gatten. In dem verworrenen Gebüsch saß eine Nachtigall, der im Frühling das Liebchen vom Weih getödtet worden war. Nun sang sie lieblicher und länger als alle die Genossen; aber sie sang ihren Schmerz und zog auch nicht von dannen mit den Freunden; ein Aederlein zersprang ihr in der armen kleinen, klagenden Brust, und so mußte sie sterben, ehe der Herbst und die Zeit der großen Reise in die weite Welt kam. Ueber alle Maßen verwildert war der Garten der Silberburg; Gezweig der Bäume und Gerank der Büsche verschlangen sich ineinander; überwuchert waren alle Beete und Wege. Die Rosen, welche in ihren glücklichen, stolzen Jugendtagen die Mutter des schwarzen Georg gepflanzt und gepflegt hatte, hatten nun aus einem großen Theil des Gartens eine dornige, gefahrvolle Wildniß gemacht, kaum zu durchdringen ohne Messer und Handbeil.

      Die Gestalt, welche aus dem Hause Christian Heyliger’s schlüpfte, wagte sich aber doch hinein in diese duftige Wildniß. Sie wendete und neigte sich zwischen dem Gezweig und verschwand in dem dunkelsten Schatten, welchen der Mond an diesem Abend im Garten der Silberburg duldete.

      Da war eine alte Steinbank, umschlungen und umrankt wie alles Andere, darauf saß Laurentia Heyligerin nieder, die wonnige Kühle des Abends athmend, die Hände im Schooß faltend – still wartend.

      Mehr einer Bildsäule des Nachsinnens als einem Menschenwesen glich so die Jungfrau. Ihr schönes Gesicht war nicht nur im Mondenschein bleich, es war so auch im Licht des Tages; der Glanz der Nacht verklärte die Bleiche, daß sie dem reinsten Marmor gleich wurde.

      Mit gesenktem Haupt und halbgeschlossenen Augen saß Laurentia, bis der Wächter vor der Silberburg die zehnte Stunde verkündete und sang:

      »Nacht und Tag, Tag und Nacht

       Gottes Aug’ im Himmel wacht;

       Hört, Ihr Herren, hört, Ihr Frau’n,

       Gut Gewissen wird nicht grau’n

       In der Nacht.«

      Da hob sich das schöne Gesicht dem Monde zu mit ganz verändertem Ausdruck. An die Stelle träumerischer Mattigkeit war das aufmerksame Lauschen in den Zügen zu lesen. Seitwärts neigte sich das Köpfchen, der Römerhöhe zu; immer lauter sang die Nachtigall, und Niemand konnte wissen, daß es nicht das Lob der Nacht war, was sie sang. Es rauschte in den Büschen; aber nicht der Wind brachte dieses Rauschen hervor. Die Jungfrau erhob sich halb von ihrem Sitze; eine Hand bog dicht neben der moosigen Steinbank die Zweige zurück, aus dem Dunkel hervor trat Georg, der schwarze Georg.

      »Gelobt sei Jesus Christ!« sprach er.

      »In Ewigkeit, Amen!« flüsterte die Jungfrau, und dann küßten sie sich, und Georg umschlang den Leib des Mädchens mit seinem gesunden Arm, und fest klammerte sich Laurentia an die treue Brust.

      »Lieb –« flüsterte Georg, doch die Jungfrau unterbrach ihn sogleich im Drang ihres übervollen, überströmenden Herzens.

      »Da bist Du endlich, mein Trost, meine einzige Hoffnung! O, welch’ ein Tag, welch’ ein schrecklicher Tag ist heut wieder vorübergegangen.«

      Der schwarze Jürg streichelte sanft das blonde Haupthaar der Geliebten

      »Ist’s heut schlimmer gewesen als sonst?«

      »Viel schlimmer, viel schrecklicher! Ach, ahntest Du, was ich dulde; – es ist so schrecklich, nimmer aus der Angst, dem Zittern und Herzklopfen herauszukommen; – heut ist mir recht wieder gewesen, als sei nun alle meine Kraft aus und zu Ende. Wärst Du nicht mein Lieb, so möcht’ ich am liebsten bei meiner Mutter sein, im Grab, wo es still und ruhig ist! Weh, und er ist doch mein Vater!«

      »Er ist Dein Vater, dem ich, das Maaß voll zu machen, Todfeind sein sollte bis zum Messer.«

      Laurentia faßte den Geliebten fester; sie zitterte am ganzen Körper.

      »Still, still,« flüsterte Georg, »still, süßes Herz; in Dir geht alles Uebrige unter; was kümmert uns Beide das, was vergangen ist? wir müssen eben das Leben von vorn anfangen, und uns nur ein gut Beispiel nehmen an dem Geschehenen!«

      »Dank Gott und Dir!« sagte Laurentia einfach und rührend.

      »Was hat er denn heut wieder angestellt?« fragte Georg. »Schütt’ aus Dein Herzlein. Du weißt, Du mußt mir Alles sagen, das ist Dein und mein Recht.«

      »Dank Gott, daß es so ist, ‘s ist mein einziger Halt in diesem wilden Leben,« schluchzte das Mädchen und erzählte, nachdem es sich ein wenig gefaßt hatte: