Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Raabe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027207619
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hin und her.

      »Was soll ich tun? Was soll ich tun? O Herr Pastore, so höret doch und gebt mir einen Rat!«

      Der Pastor Fichtner hörte weder noch gab er irgendeinen Rat; er sprach ein Gebet an der Leiche Fausta La Tedescas, die jetzt von den Weibern von Holzminden umgeben war.

      »Hol über, hol über, hol über!«

      »Gebet Kunde, wer ihr seid!« schrieen die kräftigsten Lungen im Haufen der Bürger.

      Eine Antwort schallte herüber, war aber den meisten ganz unverständlich, während wenige behaupteten, das Wort »Spiegelberg« verstanden zu haben.

      »Was sagen sie, Neckevedder?« fragte der Bürgermeister den Stadtschreiber, welcher das feinste Ohr in der Gemeinde hatte.

      »Sie sagen, sie seien Spiegelberger, Leute des Grafen zu Pyrmont.«

      »Ach du liebstes Wort Gottes, wenn’s wahr war! Jobst Strohsack, frage sie mal, ob’s auch auf ihrer Seelen Seligkeit wahr sei.«

      Jobst Strohsack war der Nachtwächter der guten Stadt Holzminden, und seine Stimme war ebenso berühmt in der Gemeinde wie das Ohr des Schreibers Neckevedder.

      Alle Kraft nahm der Wackere zusammen, als er den Befehlen des Bürgermeisters nachkam.

      »Holla da – a – a!« brüllte er, »sin da – a gu’e Frünne? Sin da – a gu’e Frünne« (gute Freunde)?

      »Ja, ja, ja«, schallte es immer ungeduldiger zurück. »Hal over, hal over, hal over!«

      Zur Bestätigung der freundschaftlichen Gesinnungen knallten wieder einmal ein Paar Büchsen drüben, und die Kugeln pfiffen so bedrohlich dicht über die Köpfe der Bürger von Holzminden fort, daß die Schwachherzigen Reißaus nahmen, die Tapfern aber vor den bleiernen Liebesversicherungen höflichst sich verbeugten.

      »Jobst Strohsack, schrei ihnen zu, daß wir kommen wollten«, rief der Bürgermeister den Ratsnachtwächter an, und dieser hielt beide Hände an den Mund und brüllte über den Strom:

      »Wi kummet, wi kummet! Lat das verfluchtige Scheiten, et gifft süst noch’n Unglück!« (Wir kommen, wir kommen! laßt das verfluchte Schießen, es gibt sonst noch ein Unglück.)

      »Also, in Gottes Namen; einen Tod sind wir Gott schuldig!« rief der alte, tapfere Vater der Stadt und stieg seufzend als der erste in die bereitliegende Fähre. Ihm nach stiegen die Mutigsten seiner Bürger, doch mußte er jeden einzelnen einzeln dazu auffordern.

      Als nun das breite, flache Fährboot langsam nach dem linken Flußufer hinüberglitt, wandte sich der größte Teil des Volkes der Gruppe zu, welche sich um die Leiche der unbekannten schönen Frau, die von dem fremden, wilden Ritter ans Land gebracht und an dem Pfarrgarten niedergelegt war, gebildet hatte.

      Hier stand immer noch mit gefalteten Händen der Pastor Valentin Fichtner, an dessen Arm sich die zitternde Monika klammerte. Kein lautes Wort wurde an dieser Stelle gesprochen, nur ein leises Flüstern ging von Zeit zu Zeit durch den Kreis, welchen die Männer und Frauen und Kinder von Holzminden um die tote Fausta La Tedesca schlossen.

      »Wer ist sie? Wo kam sie her? Wer hat sie getötet? Weshalb ist sie tot?«

      Das waren die Fragen, welche jeder an den andern tat, obgleich er wußte, daß niemand die rechte Antwort darauf finden würde.

      Tot war sie – darauf konnte man sich nach dem Ausspruch des Meister Balbierers verlassen.

      Man hatte den Körper ein wenig aufrecht an die Mauer des Pastorengartens gelehnt und ihm die herrlichen Arme auf die Brust ins Kreuz gelegt. Zugedrückt waren die Augen Faustas durch die zitternde Hand der Totenfrau von Holzminden – sie hatten ja ausgeleuchtet, diese Augen; was sollten sie noch in ihrer glanzlosen Starrheit die Menschen schrecken?

      Wenig Blut war aus der tödlichen Wunde unter der linken Brust geflossen, und die unbeschreibliche Schönheit, welche der schnelle Tod durch eine Kugel bei Verblutung nach innen dem Verschiedenen verleiht, lag auf dem Gesichte Faustas. Es war, als spiele noch das Lächeln über die so nah geglaubte Rettung um den feinen Mund; nur die rechte Hand hatte sich krampfhaft geballt, und die Spannung der Muskeln wollte noch immer nicht weichen. Der Pastor Fichtner hatte es aufgegeben, diese drohende kleine rechte Hand mit der linken nach christlichem Gebrauch zusammenzufalten. – –

      So lag Fausta La Tedesca am Ufer der Weser inmitten des fremden Volkes, und niemand kannte sie, niemand wußte von ihr zu sagen, bis das Fährschiff zurückkam und der Graf von Pyrmont Philipp von Spiegelberg mit seinen Mannen ans Ufer sprang.

      Mit zerzaustem Haar, hohlwangig, gealtert um zehn Jahre, setzte Philipp von Spiegelberg den Fuß auf das lutherische Ufer und sandte seine irrenden Blicke suchend umher. Das war nicht mehr der Jüngling, welcher vor einem Jahre im Kreise eben dieser Bürger von Holzminden im jugendlichen Übermut gescherzt und gelacht hatte!

      »Dort, dort, gnädiger Herr, da lieget sie!« rief und deutete der Bürgermeister Uhlenhut, welcher den Grafen und seine Leute vom katholischen Ufer herübergeholt hatte. Mit einem wilden Schrei stürzte der Graf von Pyrmont gegen die Leiche Faustas.

      Dicht auf dem Fuße folgten ihm Klaus Eckenbrecher und die andern Knechte; Klaus Eckenbrecher, der nur auch sein Feuerrohr abgeschossen hatte.

      Alle trugen sie die schußbereiten Feuerröhre und Lunten oder die blanken Schwerter in den Händen. Vom Pulver geschwärzt waren ihre Gesichter und Hände; auch unter den Spiegelbergern waren einige, die aus Streifwunden bluteten; und Tote und Schwerverwundete hatten sie in Stahle zurückgelassen.

      »Fausta! Fausta!« rief Philipp von Spiegelberg, neben der Leiche der Magierin niedersinkend. Er hob das bleiche Haupt der Toten schluchzend empor; er ließ es wieder sinken und zerzauste sich das Haar.

      »Fausta! O Fausta! Tot, tot, tot!«

      In Stahle krähete zum ersten Male der Hahn.

      »Sie ist tot, tot! In Staub und Asche ist die Schönste zerfallen, wie es vorausgesagt war! Wehe, wehe mir und ihr!«

      Es kräheten jetzt auch die Hähne zu Holzminden. Es wollte Morgen werden.

      »O Fausta, Fausta, höre mich! O Fausta, solches hab ich nicht gewollt. Erwache, Fausta … in Staub und Asche sollte dein schöner Leib zerfallen? Nein, nein – erwache, o erwache, Fausta La Tedesca!«

      Der greise Prediger von Holzminden beugte sich kopfschüttelnd nieder und legte dem jungen Grafen die Hand auf die Schulter.

      »Fasset Euch, erhebet Euch, mein gnädiger Herre! Ich weiß nicht, was Euch diese Tote ist; aber Gottes Wille ist geschehen, als sie starb, und Gottes Wille und Ratschluß ist immer das beste. Erhebet Euch und lasset uns diesen irdischen Leib in mein Haus tragen – höret, und nehmet Vernunft an, Herr Grafe zu Pyrmont.«

      »Wo ist der Verruchte? Der falsche Teufel?« schrie Philipp plötzlich sich aufrichtend. »Wo ist der Mörder Cäsar Campolani? Er – er hat sie getötet, nicht wir! Hie Spiegelberg! Spiegelberg! … zu Roß, zu Roß – ihm nach, dem Verfluchten! Wohin er geflohen sein mag – ihm nach bis ans Ende der Welt, bis in die Hölle, die seine Heimat ist!«

      Nach und nach hatte man vom linken Ufer auch die Pferde der Mannen von Pyrmont nach Holzminden übergeschifft. Jetzt galt kein gutes Wort, kein Zureden: Philipp von Spiegelberg warf sich von neuem auf sein schweißtriefendes, keuchendes, abgejagtes Roß, um dem falschen Abgesandten des Königs von Frankreich nachzusetzen. Seine Reiter mußten ihm folgen; der einzige Glückliche im Kreise um die Leiche Faustas – Klaus Eckenbrecher – drückte einen Kuß im Fluge auf den Mund der Monika. – – – – Zu Roß, zu Roß!

      Vorwärts stürmten die Spiegelberger auf der ihnen angegebenen Straße.

      Die erschossene Fausta trug man durch den Garten in das Pfarrhaus und legte sie auf einem schnell bereiteten weißen Lager nieder.

      Es war graue Morgendämmerung.

      Achtzehntes Kapitel