Da sich die Tätigkeiten durch sittliche Güte und Schlechtigkeit unterscheiden, und die einen begehrenswert, die anderen verwerflich, noch andere keins von beidem sind, so ist es ebenso mit den Lustgefühlen bewandt; denn jeder Tätigkeit entspricht eine eigentümliche Lust. Die der tugendhaften Tätigkeit eigentümliche Lust ist sittlich, die der lasterhaften eigentümliche unsittlich. Denn auch die Begierden sind, wenn sie dem sittlich Guten gelten, lobenswert, und wenn sie dem sittlich Schlechten gelten, tadelnswert. Nun sind aber die Lustgefühle, die eine Tätigkeit begleiten, derselben viel näher verwandt als die Begierden. Diese sind von ihr zeitlich und ihrer Natur nach geschieden, jene aber sind mit den Tätigkeiten eng verbunden und von ihnen so wenig geschieden, daß man fragen kann, ob nicht Tätigkeit und Lust dasselbe ist. Dennoch sieht die Lust nicht aus, als ob sie Gedanke oder Wahrnehmung wäre, das wäre ungereimt, aber sie gilt doch hin und wieder für das nämliche, weil sie von der Tätigkeit nicht getrennt ist. Demnach sind, wie die Tätigkeiten, so auch die Lustgefühle verschieden.
Das Gesicht ist von dem Gefühl an Reinheit verschieden, (1176a) wie das Gehör und der Geruch von dem Geschmack. So sind es denn ebenso die Lustempfindungen, sowohl von denen der Sinne die des Geistes, wie auch die einzelnen Lustempfindungen des Geistes und der Sinne je unter sich279.
Man kann auch sagen, daß jedes Sinnenwesen, wie eine eigene Verrichtung, so eine eigene Lust hat, nämlich die seiner Tätigkeit entsprechende. Man sieht das auch, wenn man die einzelnen Arten der Lebewesen betrachtet. Eine andere ist die Lust des Pferdes, eine andere die des Hundes und eine andere die des Menschen, wie ja auch Heraklit280 sagt, daß ein Esel die Spreu dem Golde vorziehen würde. Nämlich für Esel ist Futter angenehmer als Gold. Wie also die Wesen selbst, so sind auch ihre Lüste oder Ergötzungen der Art nach verschieden, dagegen ist anzunehmen, daß die von Wesen einer Art nicht verschieden sind.
Nur beim Menschen tritt hier eine große Mannigfaltigkeit hervor. Ein und dasselbe kann den einen ergötzen und den anderen schmerzen, bei dem einen Unlust und Haß, bei dem anderen Lust und Liebe hervorrufen. Dies ist auch beim Süßen der Fall. Nicht das nämliche kommt dem Fieberkranken und dem Gesunden süß vor, und nicht das nämliche erscheint dem Leidenden und dem, der sich wohl befindet, als heiß. In allen solchen Fällen aber scheint das wahr zu sein, was der Tugendhafte dafür hält. Und ist dieser Satz richtig, wie wir annehmen dürfen, und ist die Tugend und der Tugendhafte jedes Dinges Maß, so folgt auch, daß wahre Freuden jene sind, die er dafür hält, und wahrhaft erfreulich das ist, woran er sich erfreut. Wenn aber das, was ihm zuwider ist, einem anderen erfreulich vorkommt, so ist daran nichts Wunderbares; denn der Mensch unterliegt mannigfacher Verderbniß und Schädigung; aber genußreich ist es nicht, außer eben für diejenigen, die sich in solch verderbter Verfassung befinden.
So leuchtet denn ein, daß man die anerkannt schimpflichen Arten der Lust nicht als Lust gelten lassen darf, außer für verderbte Naturen. Dagegen erhebt sich nun bezüglich der als sittlich geltenden Arten von Lust die Frage, welche oder was für eine man für die dem Menschen eigentümliche Lust erklären soll. Die Tätigkeiten werden uns darüber Aufschluß geben müssen; nach ihnen richtet die Lust sich ja. Mag es nun der Tätigkeiten des vollkommenen und glückseligen Mannes nur eine oder mehrere geben, so wird die sie vollendende Lust es sein, die man für die eigentlich und vorzüglich menschliche Lust zu erklären hat. Die übrigen Arten von Lust können dafür erst an zweiter und weiterer Stelle gelten, entsprechend den Tätigkeiten281.
Sechstes Kapitel.
Unsere Erörterung über die Tugenden, die Freundschaft und die Lust ist nun zu Ende, und so bleibt noch die Glückseligkeit im Umrisse zu behandeln, die uns Ziel und Ende alles menschlichen Tuns bedeutet. Unser Vortrag über sie wird an Kürze gewinnen, wenn wir uns auf das Vorausgehende zurückbeziehen.
Wir haben gesagt, die Glückseligkeit sei kein Habitus. Sonst könnte ja auch derjenige sie besitzen, der sein Leben lang schläft und so ein bloß vegetatives Dasein führt, oder auch ein Mensch, den die größten Unglücksfälle (1176b) träfen. Wenn uns dies nun nicht befriedigen kann, und wir sie vielmehr, wie in den früheren Ausführungen gesagt worden ist, in eine gewisse Tätigkeit setzen müssen, und wenn ferner die Tätigkeiten teils notwendig und als Mittel, teils an sich begehrenswert sind, so ist die Glückseligkeit offenbar für eine von den Tätigkeiten zu erklären, die an sich, und nicht für eine von denen, die blos als Mittel begehrenswert sind. Sie ist ja keines anderen Dinges bedürftig, sondern sich selbst genug.
An sich begehrenswert aber sind die Tätigkeiten, bei denen man nichts weiter sucht als die Tätigkeit selbst Diesen Charakter scheinen einmal die tugendgemäßen Handlungen zu haben, da es an sich begehrenswert ist, schön und tugendhaft zu handeln, sodann die Unterhaltungen, die dem Genusse dienen, da man sie nicht als Mittel zum Zweck begehrt. Man hat ja mehr Schaden als Nutzen von ihnen, indem man ihretwegen Gesundheit und Vermögen vernachlässigt. Zu solchem Zeitvertreib nimmt die Mehrheit derer, die die Welt glücklich preist, ihre Zuflucht. Darum stehen bei den Großen der Erde diejenigen, die derlei Kurzweil gut zu veranstalten wissen, in so hoher Gunst. Sie machen sich ihnen angenehm in dem, wonach ihr Sinn steht; nun sind es aber grade solche Dinge, die sie zu bedürfen glauben. So gewinnt es denn den Schein, als ob derartiges ein notwendiger Bestandteil der Glückseligkeit wäre, da die Machthaber ihre Mußestunden damit zubringen. Indessen dürfte das Verhalten solcher Männer wohl nichts beweisen. Denn Tugend und Verstand, diese Quellen jeder schönen Tat, beruhen nicht auf dem Besitz der Macht. Und wenn jene Menschen, da der Geschmack für reine und edle Freude ihnen fehlt, ihre Zuflucht zu den sinnlichen Ergötzungen nehmen, so darf man darum nicht glauben, daß diese begehrenswerter sind. Glauben doch auch Kinder, das sei das Höchste, was bei ihnen was gilt. So ist es denn begreiflich, daß, so wie für Kinder andere Dinge Wert haben als für Erwachsene, so auch für schlechte Menschen andere Dinge als für tugendhafte. Wie wir also schon oft wiederholt haben, wertvoll und genußreich zugleich ist das, was dem guten Manne solches ist. Nun ist aber einem jeden diejenige Tätigkeit am liebsten, die seiner eigentümlichen Beschaffenheit entspricht. Also kann das für den guten Mann nur die der Tugend gemäße Tätigkeit sein.
Die Glückseligkeit besteht mithin nicht in den Vergnügungen, nicht in Spiel und Scherz. Es wäre ja ungereimt, wenn unsere Endbestimmung Spiel und Scherz wäre, und wenn die Mühe und das Leid eines ganzen Lebens das bloße Spiel zum Ziele hätte. Fast alles begehren wir als Mittel, ausgenommen die Glückseligkeit, die ja Zweck ist. Nun erscheint es doch als töricht und gar zu kindisch, kindischen Spieles wegen zu arbeiten und sich anzustrengen; dagegen der Spruch des Anacharsis282: »Spielen, um zu arbeiten«, darf als die richtige Maxime gelten. Das Spiel ist ja eine Art Erholung, und der Erholung bedürfen wir darum, weil wir nicht in einem fort arbeiten können. (1177a) Nun ist aber die Erholung nicht Zweck, weil sie der Tätigkeit wegen da ist.
Auch scheint das glückselige Leben ein tugendhaftes Leben zu sein. Dieses aber ist ein Leben ernster Arbeit, nicht lustigen Spiels. Das Ernste nennen wir ja besser als das Scherzhafte und Lustige, und die Tätigkeit des besseren Teiles und Menschen nennen wir immer auch ernster. Nun ist aber die Tätigkeit des Besseren vorzüglicher und so denn auch seliger. Auch kann die sinnliche Lust der Erste Beste genießen, der Sklave nicht minder als der ausgezeichnetste Mensch. Die Glückseligkeit aber erkennt niemand einem Sklaven zu, außer es müßte auch sein Leben dem entsprechen. Denn die Glückseligkeit besteht nicht in solchen Vergnügungen, sondern in den tugendgemäßen