Es war auch eine interessante Lektion in Journalismus und bestärkte mich in dem Wunsch, Reporterin zu werden. Ich war jetzt die Sportreporterin des Critograph und musste unter anderem einen Artikel über Martys und meine Teilnahme an den Wettkämpfen schreiben. Das war, soweit mir bekannt ist, der einzige objektive Bericht über unsere Leistung. Gleichzeitig musste ich über andere Ereignisse schreiben, nicht zuletzt über Robert und seinen Freund Jim Tiffany, die am Boston Marathon teilgenommen hatten. Niemand hatte bemerkt, dass sie dafür trainierten, selbst ich nicht. Als sie zurückkamen, interviewte ich Robert und erfuhr, dass ein Marathon 26 Meilen und 385 Yards (42,195 Kilometer) lang ist und dass Jim nach 3:45 Stunden ins Ziel gelaufen war. Nachdem ich mich immer beschwert hatte, dass alle meine Strecken zu kurz wären, gab es hier einen Lauf namens Marathon, meiner Meinung nach das interessanteste Ereignis der ganzen Welt. Ich war fasziniert und hatte den Wunsch, es selbst zu versuchen. Ich fragte, ob auch Frauen mitliefen, und Robert sagte: »Eine«, und dass sie um die 3:20 Stunden gerannt sei. Ich konnte es mir nicht verkneifen und sagte: »Du hast dich von einer Frau schlagen lassen?«
Außerdem bewarb ich mich als Transfer-Studentin an der Syracuse University, weil ich zusätzlich zum Hauptfach Englisch auch Kunst, Naturwissenschaften und Publizistik an der Newhouse School studieren wollte. Ich war gern in Lynchburg, wollte mich aber unbedingt spezialisieren und freute mich, als ich angenommen wurde. Im Frühling 1966, an meinem letzten Schultag am LC, wurden zum Semesterende Urkunden verteilt. Ich war in Gedanken bereits bei meinem Studium in Syracuse, sodass ich fast den Aufruf meines Namens überhört hätte. Trainer Moon zeichnete Marty und mich mit Ehrenurkunden des Bahnlauf-Teams der Männer aus. Wir hatten nur an drei Wettkämpfen teilgenommen und ich war nicht der Meinung, sie verdient zu haben, aber sie gehören zu den schönsten Urkunden, die ich je erhalten habe.
Kapitel 4 »Ich schätze, ich habe sie abgewimmelt.«
Mein Wohnheim auf dem Campus der Syracuse University hieß Huey Cottage. Es war ein baufälliges altes Haus in der Comstock Avenue, die reinste Feuerfalle. Ich hatte die einfachste Wohnmöglichkeit gewählt, da ich den beträchtlichen finanziellen Druck auf meine Eltern reduzieren wollte. Syracuse war schon damals teuer, und ich hatte Schuldgefühle.
Mein Zimmer lag im obersten Stock, drei Treppen, und ich teilte es offensichtlich mit zwei anderen Frauen, denn in der geräumigen Dachgeschosswohnung standen drei Betten. Wir erhielten Schlüssel und konnten kommen und gehen, wann wir wollten, und als die »Hausdame« (eine Studentin im letzten Semester, die mit dieser Arbeit ihre Miete verringerte) mir meinen Schlüssel aushändigte, bekam ich vor Aufregung über die Freiheit weiche Knie.
Als ich mich nach ein paar Tagen eingerichtet hatte, kam ich nach einem langen Tag der Orientierung nach Hause und siehe da: Meine Mitbewohnerinnen waren da. Sie saßen auf der Bettkante, rauchten und unterhielten sich. Sie kannten sich offensichtlich, sie wohnten bereits seit zwei Jahren hier zusammen. Ich war die Neue. Ich sagte fröhlich und selbstbewusst: »Hi, ich bin Kathy!«, aber die beiden starrten mich wortlos an und rauchten weiter. Schließlich stieß eine von ihnen den Rauch aus und sagte: »Ach herrje.«
Ich brauchte keine zwei Sekunden, um zu merken, dass ich ihnen wie die Langeweile in Person vorkam. Hier, hatte ich gedacht, sei ich total »in« mit meinem geblümten Sommerkleid mit rundem Ausschnitt, Handtasche und dazu passenden Schuhen. Die beiden trugen Jeans, schwarze Rollkragenpullover und Creolen.
Der Code hier hieß »cool«, also eilte ich in die Marshall Street und kaufte Jeans und einen Rollkragenpullover. Nicht, dass das etwas geändert hätte – ich war und blieb das fünfte Rad am Wagen. Und dass ich sie gleich fragte, ob sie wüssten, wo hier die Geschäftsstelle der AAU sei, machte es nicht besser.
Nach dem offiziellen Beginn des Semesters eilte ich zum Büro der Sportfakultät im Manley Field House. Um genau zu sein: zum Büro der Sportfakultät für Männer, denn das Büro für Frauen war gerade nicht besetzt. Was bestätigte, dass an den großen Universitäten Sport gleichbedeutend war mit Fußball und Basketball, alles für kräftige, von Stipendien unterstützte männliche Studenten. Für Frauen waren keine Stipendien vorgesehen. Für Frauen gab es »Spiel- und Sporttage«. Das hatte ich bereits vor Syracuse gewusst und es war mir, offen gestanden, auch egal. Ich ging davon aus, dass die Frauen in Syracuse und vergleichbaren Universitäten eben keine Wettkämpfe mit anderen Colleges wollten, sonst hätten sie sie. Damals hatte ich mich bereits für das Laufen als Sportdisziplin entschieden und soweit ich wusste, gab es keine wettkampforientierten Frauenlaufgruppen. Wenn möglich, würde ich also in einem Männerteam laufen, sonst eben allein. Da ich nichts zu verlieren hatte, ging ich voller Selbstvertrauen zum Büro des Leichtathletiktrainers Bob Grieve und erkundigte mich, ob ich mit der Crosslaufmannschaft laufen könnte. »Stimmt, ich habe von dir gelesen. Ja, in der Sports Illustrated, in der Rubrik Gesichter in der Menge«, sagte er, nachdem ich ihm erzählt hatte, dass ich in Lynchburg für das Männerteam gestartet war. Ich fand ihn recht nett. Mit ihm befanden sich noch zwei Männer im Büro, die so taten, als hörten sie nicht zu. Einer war um die fünfzig, dünn und absolut harmlos. Der andere war fünfundzwanzig, sehr groß, sehr attraktiv, und jedes Mal, wenn er aufsah, starrte ich ihn an mit meinem »Leg-dich-bloß-nicht-mit-mir-an-du-Klugscheißer«-Blick, bis er die Botschaft verstand und das Büro verließ. Dann sagte Trainer Grieve freundlich: »Schau, Syracuse ist Mitglied der NCAA-Conference, nur für Männer, das heißt, es verstößt gegen die Regeln, Frauen an den Wettkämpfen teilnehmen zu lassen. Aber ich habe nichts dagegen, wenn du mit den Männern trainieren willst.« Das reichte mir voll und ganz, mehr noch, ich wollte nicht gegen jemand von Lynchburg antreten und gewinnen, und mit Sicherheit würde ich nicht schneller sein als jemand von den großen Universitäten.
Er erklärte mir noch, dass das Team auf dem Golfplatz von Drumlin trainierte, etwa eine Meile von der Halle entfernt. »Wie kommt man hin?« fragte ich. Er zögerte einen Moment und in seinem Gesicht bemerkte ich leisen Zweifel. »Wir laufen hin«, sagte er.
Ich ging die eine Meile zum Wohnheim zurück und überlegte, dass ich nach Drumlin zwei Meilen hin- und zwei Meilen zurücklaufen müsste, was mehr war als mein tägliches Laufpensum. Und wer weiß, wie viel ich im Training laufen müsste! Ich kam mir wie eine Idiotin vor, die sich für das Superlaufgenie hielt, nur weil sie täglich drei Meilen rannte, aber ich hatte gesagt, dass ich hingehen würde, und ich ging hin. Im Büro sagte Trainer Grieve zu dem älteren Mann: »Ich schätze, ich hab sie abgewimmelt.«
Am nächsten Tag nahm ich ein Taxi zum Golfplatz. Als ich bezahlte, witzelte ich im Stillen, dass Laufen letztlich doch kein billiger Sport sei und dass ich schnell besser werden müsste, um nicht pleite zu gehen. Ich brauchte eine Tasche für das Geld, deshalb trug ich lange Hosen und eine langärmlige Bluse. Ich hatte noch nie Crosslauf trainiert und wusste daher nicht, was man dafür anzog. Jetzt war ich nervös, weil ich in die Mitte des Fairways musste, wo all die mageren Typen in orange-weißen Shorts im Kreis herumliefen. Sie würden mich hassen. Die coolen Mädchen von Syracuse traten in Studentinnenverbindungen ein und sahen jede Minute gut aus. Sie liefen nicht.
Als ich auf sie zuging, rannte der harmlose ältere Typ aus dem Büro von Trainer Grieve auf mich zu, begrüßte mich, hoppelte um mich herum wie ein Hase. »Hey, ich bin Arnie, wir hatten hier noch nie ein Mädchen! Du bist Kathy, stimmt’s? Hallo, Jungs, das ist Kathy, und sie wird mit uns trainieren!« Die Jungen begrüßten mich, hießen mich willkommen. O mein Gott, dachte ich, so weit, so gut. Plötzlich gerieten sie in Bewegung, standen dann in einer Reihe, und Coach Grieve pfiff auf der Trillerpfeife. Dann rannten sie wie eine Windhundmeute los, über den sanft gewellten Rasen. Ihre Schnelligkeit und Schönheit nahm mir den Atem. Sie stoben über die grüne Weite und schienen die langen Steigungen hinaufzutreiben, verschwanden zwischen den Bäumen. Der attraktive Assistent nahm die Zeit mit der Stoppuhr, schrieb etwas auf sein Clipboard. Er hieß Tom, und bei seiner Statur war er mit Sicherheit kein Läufer. Ich hatte ihn im Büro des Trainers niedergestarrt, und jetzt würdigte er mich keines Blickes.
Trainer Grieve saß auf einem motorisierten Golfcart, und Arnie setzte sich neben ihn. »Okay, wollen wir mal sehen, was du kannst«, sagte der Trainer.