»Wir sind an seinem Opa dran«, sagte Till und schaute belustigt zu Siebels. »Herr Siebels hat gerade beschlossen, dass wir eine verdeckte Ermittlung im Altersheim durchführen.«
Staatsanwalt Jensen schaute von Till zu Siebels und wieder zu Till. »Was ist das denn jetzt wieder für eine Geschichte?«
Siebels klärte den Staatsanwalt auf und berichtete ihm von Otto Silber und Jana Mangold. Jensen strich sich nachdenklich mit der flachen Hand über die blanke Glatze und zupfte sich an seinem Haarkranz. »Das geht ja schon wieder gut los, mit Ihnen beiden. Muss ich mich da wieder auf irgendwelche öffentlichkeitswirksamen Skandale einstellen?«
»Wie meinen Sie das denn jetzt?«, fragte Siebels.
Jensen winkte ab. »Halten Sie mich einfach auf dem Laufenden. Damit meine ich einen täglichen Bericht. So, und jetzt muss ich los. Ich habe einen Gerichtstermin.« Jensen verschwand wieder und Siebels äffte Till nach. »Wir sind an seinem Opa dran. Verdeckte Ermittlung im Altersheim. Musst du unbedingt schlafende Hunde wecken?«
»War doch gut, er hat schließlich grünes Licht gegeben. Jetzt kann er sich nicht mehr beschweren, wenn Opa Silber ausflippt, weil wir seine Jana verscheucht haben.«
»Das ist übrigens kein Altersheim, das ist eine Seniorenresidenz. Und da fährst du jetzt hin und gewinnst das Vertrauen von Otto Silber. Und baue ja keinen Mist. Ich fahre zur Wohnung von Jana Mangold und schaue mich dort in Ruhe um.«
Hartmut und Hermann Silber waren gemeinsam in ihre Büroräume im Westend gefahren. Sie mussten für die nächsten Tage einige Termine absagen und die Abläufe von laufenden Projekten umdisponieren. Anschließend wollten sie noch eine geeignete Pietät ausfindig machen, die sich um die Beerdigung von Robert und alle anderen Dinge kümmerte.
Eva Silber hatte die Nacht mit Hilfe von Schlaftabletten durchgeschlafen und saß nun mit ihrer Tochter Julia im Wohnzimmer.
»Hat er etwas mit Roberts Tod zu tun?«, fragte Eva ihre Tochter mit monotoner Stimme.
»Wer ist er?«, fragte Julia und fürchtete sich vor dem Gedanken, der ihrer Mutter gerade durch den Kopf ging.
»Frag doch nicht so dumm. Justus. Dein Liebhaber. Mein Liebhaber.«
Julia schaffte es nicht, ihrer Mutter in die Augen zu sehen. »Warum sollte er etwas mit dem Tod von Robert zu tun haben?«
Eva betrachtete ihre Tochter und fühlte sich selbst an allem Schuld. »Ich weiß es nicht. Ich weiß überhaupt nicht, wie das alles geschehen konnte. Ich wünschte, ich könnte das ganze letzte Jahr auslöschen. Ich habe so ein komisches Gefühl.«
»Was für ein komisches Gefühl?«
»Ich glaube, dass er Robert ermordet hat.« Eva fing an zu schluchzen.
Julia bewegte sich zaghaft zu ihrer Mutter und legte vorsichtig ihren Arm um sie. »Nein, so etwas darfst du gar nicht denken. Er hat doch gar keinen Grund, Robert etwas anzutun.«
»Was hat er uns denn alles angetan? Das müssen wir den beiden Kommissaren doch erzählen, oder? Sonst behindern wir noch die Ermittlungen. Ich kann doch nicht die Ermittlungen zum Mord an meinem Sohn behindern.«
Julia dachte angestrengt nach. Was passiert war, war passiert. Wie und warum das alles passiert ist, wusste sie auch nicht. »Vielleicht warten wir erst mal ab, bis Robert beerdigt ist. Dann sehen wir weiter.«
Eva nickte und fing dann laut an zu heulen.
Till hatte sich dem Willen von Siebels gebeugt und war zur Seniorenresidenz Sonnenschein gefahren. Wie angedacht, stellte er sich dort als Freund von Robert Silber vor, der auch dessen Opa noch gut von früher kannte. Das Personal war froh, dass Otto Silber Besuch bekam und somit für eine Weile unter Aufsicht stand. Ein Pfleger brachte Till in den Aufenthaltsraum, wo Otto Silber regungslos in einer Ecke auf einem Stuhl saß. Sein Gehstock stand aufrecht zwischen seinen Beinen, er hielt ihn mit beiden Händen fest umklammert. Till nahm sich vor, sich nicht damit von Otto Silber aus dem Haus prügeln zu lassen.
»Guten Tag, Herr Silber. Erinnern Sie sich an mich? Ich bin Till, Roberts bester Freund von früher.«
Otto Silber blieb starr auf seinem Stuhl sitzen, schielte aber zu Till und betrachtete ihn eingehend. Till bekam wegen seiner Lüge ein schlechtes Gewissen.
»Sie sind ein Freund von meinem Sohn?«, fragte Otto Silber argwöhnisch.
»Nein, nicht von Ihrem Sohn. Von Ihrem Enkel Robert.«
Otto Silber nickte wissentlich, aber man merkte ihm an, dass er sehr durcheinander war.
»Hat man Ihnen schon mitgeteilt, was mit Robert passiert ist?«, fragte Till vorsichtig nach.
»Er ist Architekt. So wie ich.« Otto Silber lächelte.
»Robert studierte noch«, verbesserte ihn Till. »Ihre beiden Söhne Hartmut und Hermann sind Architekten. Hartmut ist der Vater von Robert. Von Robert und von Julia.«
»Wo ist denn Julia?« Otto Silber schaute jetzt neugierig Till an. Als der Name Julia gefallen war, erkannte Till ein kleines Leuchten in den Augen des alten Mannes.
Till nahm sich einen Stuhl und setzte sich Otto Silber gegenüber. »Ich muss Ihnen etwas Schlimmes sagen«, fuhr Till fort und spürte, wie sein Herz schneller schlug. Es fiel ihm schwer, dem alten Mann von dem Mord an seinem Enkel zu erzählen.
»Ist Julia etwas zugestoßen?«, fragte Otto Silber ängstlich.
»Nein, Julia geht es gut. Aber Robert ist etwas zugestoßen.«
Otto Silber schaute Till verwundert an. »Robert?«
»Robert. Der Bruder von Julia. Er ist tot.«
Otto Silber nickte teilnahmslos.
»Erinnern Sie sich an Robert?«, fragte Till und wäre am liebsten auf der Stelle wieder gegangen.
»Ja, natürlich«, sagte Otto Silber. Aber man merkte ihm an, dass er mit dem Namen Robert nichts anfangen konnte. Till nahm sich vor, beim nächsten Mal Fotos von Robert und den anderen Familienangehörigen mitzubringen. Vielleicht half das dem Gedächtnis von Otto Silber auf die Sprünge. Till atmete tief durch und schaute sich in dem großen Aufenthaltsraum um. An einem Tisch saßen zwei alte Frauen und spielten Karten. Till fiel auf, dass sie die Karten ohne Sinn und Verstand hin und her warfen. Aber sie schienen große Freude an dem Spiel zu haben. Am Türrahmen stand ein hagerer Mann, bekleidet mit einem Bademantel. Ein Speichelfaden lief an seinem Mundwinkel herab. Till bemerkte, dass er einer jungen Pflegerin am anderen Ende des Raumes auf den Hintern starrte. Till konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dann konzentrierte er sich wieder auf Otto Silber. Eigentlich war es ihm ganz recht, dass der sich nicht mehr an seinen Enkel erinnern konnte. Till hatte seine Pflicht getan und konnte sich jetzt auf das Wesentliche beschränken.
»Darf ich Sie mal was fragen?«, begann Till vorsichtig.
»Was wollen Sie denn wissen, junger Mann?«
»Würden Sie mir noch mal die Geschichte von der Juliane erzählen? Wie Sie sie kennen gelernt haben.«
Otto Silber strahlte Till an. »Ach, die Juliane, das war ein hübsches Mädchen. Woher kennen Sie denn die Juliane?«
»Ich habe die Juliane leider nicht mehr kennen gelernt. Aber ich habe viel von ihr gehört. Sie waren damals ja schwer in sie verliebt gewesen, stimmt’s?«
Otto Silbers Hände klammerten sich fest an den Griff von seinem Gehstock. Seine Fingerknöchel wurden ganz weiß. »Ich habe tagelang auf sie gewartet, aber sie kam nicht mehr«, sagte Otto Silber und seine eben noch strahlenden Augen verwandelten sich in einen traurigen Blick.
»Ja«, sagte Till. »Ich weiß. Das muss sehr schlimm für Sie gewesen sein. Aber hatten Sie und die Juliane nicht eine gemeinsame Tochter? Die Silvia?« Till wartete gespannt auf die Reaktion von Otto Silber.
»Die Juliane wurde