Basemat heulte auf, als sie zusah, wie ihr einziges Kind in den dunklen Katakomben verschwand. Sie spürte, wie ihr zwei Hände Jute um die Taille wickelten. Sie wehrte sich nicht. Sie ließ den Kopf hängen und weinte mit bebendem Körper, während ihre Handgelenke den Fesseln des Feindes unterlagen.
Kapitel 2
Die Nacht senkte sich rasch über die Ebene von Jesreel. Basemat saß auf einem abgenutzten Teppich auf dem Boden ihres Gefängniszeltes, die Knie an die Brust gezogen. Sogar im Frühling war der Atem der Nacht eisig, wenn er über die offene Ebene blies. Ein Schauder lief ihr über den Rücken, gleichwohl eine Antwort auf die Kälte wie auf das Schicksal, das sie erwartete.
Obwohl sie ihr Trost gespendet hätte, nahm sie die Decke nicht, die für sie ins Zelt gelegt worden war. Sie erkannte die raue Webart der Wolle, in verblassendem Blau und Violett gestreift und an den Enden mit Fransen besetzt, als die Arbeit ihres Volkes. Sie fragte sich, welches Haus Scheschonqs Männer geplündert und von wessen Bett sie sie genommen hatten. Sie stellte sich vor, wie die Bewohner – der Qualität ihrer Stoffe nach zu urteilen einfache Menschen – aus ihrem Haus getrieben wurden, wenn sie überhaupt überlebten, aus ihren Städten stieben wie Ameisen, verängstigt und allem beraubt. Für sie war die gestohlene Decke ein Symbol des Leids jener Menschen und sie ließ sie liegen, denn sie anzunehmen hätte sich wie Verrat angefühlt.
Für eines war sie dankbar: Ihre Fesseln waren zerschnitten worden. Sie schob den langen Trompetenärmel ihres Kleides nach oben und betrachtete die blutige Haut ihrer Handgelenke, die von der Jute aufgescheuert worden war. Sie brannte nicht mehr als die Erniedrigung, eingesperrt zu sein.
Das Zelt ihrer Gefangenschaft war kaum groß genug, dass vier Menschen Schulter an Schulter aufrecht darin hätten stehen können. Es war aus gewebtem Ziegenhaar gefertigt, das zu einem breiten Tuch zusammengenäht und mit hölzernen Pflöcken in der Erde gesichert war. Ein Olivenholzzweig hielt die Decke in der Höhe. Eine schwache Flamme, die in einer tönernen Lampenschale brannte, flackerte über die Zeltwände und warf lange Schatten ins Halbdunkel.
Basemat hörte, wie sich ein Mann vor ihrem Zelt räusperte, und begriff, dass sie bewacht wurde. Ihre Züge verhärteten sich. Das vereitelte ihren Plan, das Zelt im Dunkel der Nacht zu verlassen und nach ihrer Tochter zu suchen. Sie war entschlossen, Anas Leben zu retten, selbst wenn es sie das eigene kosten würde. Der Gedanke, dass ihr geliebtes Kind in den Händen dieses Ungläubigen war, entfachte einen Zorn in ihr, den sie nicht kannte. Wut und Gewalttätigkeit entsprachen nicht ihrer Art. Aber sollte es soweit kommen, dann würde sie den Ägypter eher ausweiden, als zuzulassen, dass er ihrer Tochter die Unschuld raubte.
Sie holte tief Luft, um ihren Zorn zu bändigen. Sie durfte nicht den Kopf verlieren. Sie stand auf und ging zum Stoff, der den Zelteingang bedeckte. Durch einen Spalt spähte sie zum Himmel hinauf. Der Vollmond hing tief am Horizont. Sie blickte nach Osten, teilte den Stoff ein wenig und hoffte, ihre Bewegungen blieben unentdeckt.
Es war die Hoffnung eines Narren. Der Wachmann bemerkte sie unverzüglich und richtete seinen Speer auf sie. Er bellte etwas in einem Dialekt, den sie nicht kannte. Er war ein großer Mann von beträchtlichem Umfang, in dessen Augen ein mordlüsterner Schimmer lag.
Sie wich nicht zurück. »Ich habe großen Durst. Ich möchte einen Becher Wasser haben.«
Er stieß seinen Speer in die Luft und drängte sie, wieder hineinzugehen.
Sie blieb standhaft und starrte ihm in die Augen, zwei nachtschwarze Murmeln, die bar jeglicher Intelligenz schienen. »Bring mir Wasser.«
Seine Speerspitze berührte ihre Rippen. Er stieß weitere Worte aus. Als sie sich noch immer nicht rührte, drehte er den Speer.
Sie hörte das Leinen ihres Kleides reißen und verspürte ein Stechen. Sie blickte nach unten und sah Blut, das langsam aus der Fleischwunde sickerte. »Du bist gottlos«, zischte sie auf Hebräisch.
»Er führt nur Befehle aus«, sagte eine Männerstimme aus den Schatten.
Basemat war überrascht, im feindlichen Lager Hebräisch zu hören. Sie beobachtete die Reaktion des Wachmanns auf den unsichtbaren Eindringling. Er rührte sich nicht.
»Wer seid Ihr?«, rief sie beunruhigt. »Zeigt Euer Gesicht.«
Er trat in ihr Blickfeld. In der Schwärze der Nacht konnte sie die Konturen seines Halugs ausmachen, der langen Tunika, die ihn als Israeliten identifizierte. Der Zierrat des Kleidungsstücks – ein Metallgürtel, der um die Taille geschnallt war und bestickte Zierstreifen an den Ärmeln, Säumen und dem Halsausschnitt – verrieten seinen Status. Sein Gesicht konnte sie kaum erkennen.
»Hallo, Prinzessin.« Er näherte sich langsam. »Es ist viele Jahre her, seit wir uns zum letzten Mal trafen.«
Basemat erstarrte, als sie erkannte, wer vor ihr stand. Es hatte Gerüchte über die Rückkehr des Verräters nach Israel gegeben, nachdem er als führender Kopf eines Aufstandes gegen ihren Vater aus dem Land getrieben worden war. Sie versuchte zu sprechen, doch die Worte waren im Käfig der Erschütterung gefangen.
»Wollt Ihr Euren zukünftigen König nicht begrüßen?«
»Nehmt kein Schicksal an, das nicht das Eure ist, Jerobeam. Das ist Blasphemie.«
»Ihr und ich, wir beide wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich über die Stämme Israels herrschen werde.«
»Das Volk Israel ist dem Haus David treu. Es wird niemals zulassen …«
»Das hat es schon. Es gibt nichts, was Ihr oder sonst eine Brut Salomons tun könnt, um das zu verhindern. Die Menschen der nördlichen Stämme haben sich vom vereinten Königreich losgesagt. Ich werde sie führen, wie es die Prophezeiung vorhersah.«
Galle stieg in Basemats Rachen auf und sie kämpfte den Brechreiz nieder. Nicht länger fähig, ihn anzusehen, zog sie sich in ihr Zelt zurück.
Jerobeam folgte ihr. »Ihr werdet hören, was ich zu sagen habe. Seht mich an.«
Basemat drehte langsam den Kopf. Er hatte sich in den Jahren, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte, nicht verändert. Seine dunklen, zornigen Augen lagen tief unter gewaltigen Brauen und ein kurzer, schwarzer Bart bedeckte ihm Kiefer und Kehle. Seine Haut besaß die Farbe von gebranntem Ton und Linien zeichneten seine eingesunkenen Wangen. Sein schulterlanges Haar, ein unbändiges Gewirr tiefschwarzer Locken, war mit einem hohen Turban in Schattierungen von Indigo und Myrte umwickelt.
Ihre Gedanken wanderten zu dem Tag zurück, als sie ihn kennengelernt hatte. Sie war in Anas Alter gewesen, als Jerobeam, ungefähr zehn Jahre älter als sie, von König Salomon ausgewählt wurde, den Fronarbeitern in Jerusalem vorzustehen. Ihr Vater hatte ihn wegen seines Fleißes und seiner Ehre aus Tausenden ausgesucht und ihm seine wichtigsten Bauvorhaben anvertraut. Jerobeam sollte die Burnden während des Baus des Millos befehligen, das die Stadt des Königs umschloss und befestigte, und auch während der Errichtung des königlichen Tempels für ihre Mutter außerhalb der heiligen Stätte.
Basemat hatte ihn beim Pessachfest getroffen. Er saß an der langen Tafel des Königs, nahm wenig vom Essen und Wein zu sich und sprach nur selten. Als Salomon seinen Hofstaat begrüßte, wandte er sich an seine liebsten Untergebenen, um ihnen vor allen Versammelten Anerkennung zu zollen. Es war das erste Mal, dass dem jungen Jerobeam diese Ehre zuteilwurde, und sie veränderte seine Haltung augenblicklich. Den Kopf erhoben und die Brust aufgeplustert wie ein Hahn stand er zwischen den anderen Stellvertretern des Königs. Der Stolz, der in seine Seele drang, war sichtbar.
Die Geschichte war so alt wie die Zeit: Sobald er einmal Macht gekostet hatte, war es ein Leichtes, einen Mann zu verleiten.
Die Wunde an ihrer Seite brannte sie von Neuem. »Ihr werdet für diesen Verrat gerichtet werden, Jerobeam.«
Ironiegespicktes