Die großen Revolutionen der Welt. Prof. Dr. Jürgen Nautz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Prof. Dr. Jürgen Nautz
Издательство: Bookwire
Серия: marixwissen
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843800341
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für eine säkulare Gesellschaftsordnung. Der 1632 in der Nähe von Bristol geborene Empiriker John Locke (1632 - 1704) plädierte ebenfalls für religiöse Toleranz. Er verfasste während seines Exils in den Niederlanden 1689 einen »Brief über Toleranz« (A letter concerning Toleration). Keine der Kirchen habe das Recht, für sich die Autorität in Religionsfragen zu beanspruchen, lautet dessen Kernaussage. Ebenfalls in den Niederlanden forderte der Rektor der Leidener Universität, Gerhard Noodt (1647 - 1725), in seiner Rektoratsrede aus dem Jahr 1699, dass das Volk das Recht haben müsse, seinem Fürsten die Macht [die es ihm verliehen habe] wieder zu nehmen. In Deutschland waren es im 17. Jahrhundert Philosophen wie Christian Thomasius (1655 - 1728), Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 - 1716) und Christian Wolff (1679 - 1754), die den Rationalismus der Aufklärung prägten. Immanuel Kant (1724 - 1804) war der große deutsche Philosoph der Aufklärung des darauf folgenden Jahrhunderts. Aber auch Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781) gehörte zu den Hauptvertretern der Deutschen Aufklärung. Der König von Preußen, Friedrich II., der Große (1712 - 1786), förderte diese Denkrichtung. Friedrich II. hatte sich selbst in einer 1739 erschienenen Schrift mit den Prinzipien von Herrschaft befasst. In dem Buch, mit dem Titel »Anti Machiavel ou Essai de critique sur le Prince de Machiavel« (bekannt als Antimachiavell), verwarf er Machiavellis politische Theorie und trat für eine an den Prinzipien der Aufklärung orientierte Herrschaft ein. Als König von Preußen bewegte er sich dann jedoch deutlich dem traditionellen europäischen Gedankengut verbunden. Trotz seines begrenzten aufklärerischen Engagements als Regent, sind die unter ihm realisierte Religionsfreiheit, seine Beteiligung an den intellektuellen Diskursen für die Aufklärung förderlich gewesen.

      Auch in Frankreich gewann aufklärerisches Denken, getragen vor allem vom erfolgreichen Bürgertum und einigen Adligen, großen Einfluss. Maßgeblich hierfür waren einerseits die Konsolidierung der französischen Staatsmacht im 17. Jahrhundert und die Ausschweifungen absolutistischer Herrschaftsentfaltung. Auf der anderen Seite spielte der zunehmende wirtschaftliche Erfolg der bürgerlichen Schichten eine große Rolle. Man wollte Freiheit für die Entfaltung der eigenen Geschäfte, aber auch die Unabhängigkeit von Kunst und Wissenschaft von Kirche und Aristokratie. Es war nicht nur der Glaube daran, dass Aufklärung und Wissen die Lebensbedingungen der Menschen verbessern würden, sondern auch jene Gewissheit, die Francis Bacon (1561 - 1626) zugeschrieben wird: »Wissen ist Macht« (1597). Nachgewiesen ist eine vorsichtigere, aber sehr zentrale Erkenntnis: »Wissenschaft und menschliche Potenz kommen insofern zusammen, als Unkenntnis der Ursache die Wirkung zunichte macht.«

      Die Perspektive des freien, vernunftbestimmten Menschen und das Vertrauen in die eigene Denkfähigkeit (Kant: »Sapere aude!«; Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!) prägten die Kritik an den überkommenen Autoritäten Kirche und Staat (Gotthold Ephraim Lessing: »An die Stelle der Religion muss die Überzeugung treten.«), die sich vor allem gegen die Willkür und Irrationalität von Herrschafts- und Denksystemen wandte. Aus diesen Grundüberlegungen ergaben sich die zentralen Forderungen der Aufklärung: religiöse Toleranz, die Achtung vor den »natürlichen« Rechten des Menschen, das Recht auf freie Meinungsäußerung, und die Gleichheit aller vor dem Gesetz. So traten elementare Verschiebungen in der Wertehaltung und in der Mentalität ein.

      In Frankreich entstand die berühmte Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, die zwischen 1751 bis 1772 von Denis Diderot (1713 - 1784) und Jean d’Alembert (1717 - 1783) in 28 Bänden herausgegeben wurde und mehr als 130 Autoren zählte. Voltaire (eigentlich François Marie Arouet; 1694 - 1778), der Jesuitenzögling und unerbittliche Gegner der Kirche, und Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (1689 - 1755), aber auch Jean-Jacques Rousseau (1712 - 1778), dessen Schriften die Französische Revolution maßgeblich beeinflussen sollten, gehörten zu den Autoren dieses Hauptwerks der Aufklärung. Das Sammeln und die Bereitstellung nützlichen Wissens für die Allgemeinheit zum Zweck des individuellen wie des gesellschaftlichen Fortschritts war die Idee, die hinter diesem Projekt stand. Die Erziehung des einzelnen Menschen, der als von Natur aus gut galt, wurde als erster Schritt zu einer Veränderung der Gesellschaft gesehen. Die Verkaufszahlen sprechen dafür, dass dieses Projekt erfolgreich war: Bis 1789 stieg die Auflage der Encyclopédie auf 14.000 bis 16.000 Exemplare, die in immer billigeren Ausgaben erhältlich waren.

      Dieses den Aufklärern eigene Vertrauen in die menschliche ratio verknüpft mit einem Fortschrittsglauben, der das »allgemeine Glück« als Ziel vor Augen hatte, wird als grundlegend für die ersten Revolutionen angesehen. Die Aufklärung prägte die Glorious Revolution in England und die Revolution in Nordamerika, wie auch jenen frühen Versuch in Polen 1791, und wohl am umfänglichsten in Frankreich 1789: Die dortigen Revolutionsführer waren radikale Anhänger der Aufklärung. Sie beseitigten den Einfluss der Kirche und ordneten Kalender, Uhrzeit, Maße, Geld und Recht nach rein rationalen Grundsätzen neu – wenn auch hinsichtlich des Kalenders ohne langfristigen Erfolg.

      Aber die Aufklärung war auch die Basis für die Industrielle Revolution: Neben den hinreichend bekannten Zielen der Aufklärung ging es dabei im Kern um die Naturbeherrschung. Die Vorstellung, dass sich die Lebensbedingungen kontinuierlich verbessern lassen, beginnt mit Francis Bacon (1561 - 1626) und den Gründern der Académie Royal in Frankreich (1648) und der Royal Academy in London (1768). Vorher hatte ein zyklisches Weltbild dominiert. Die intellektuellen Wurzeln der Industriellen Revolution, die lange Zeit vernachlässigt worden sind, finden sich im Wandel des Denkens der politischen und wirtschaftlichen Eliten im späten 18. und im 19. Jahrhundert. Ein Grund, weshalb Joel Mokyr von der »industriellen Aufklärung« spricht. Die Verwissenschaftlichung der wirtschaftlichen Tätigkeit wie auch anderer Lebensbereiche war die Voraussetzung dafür, dass die Prozesse der Industriellen Revolution nicht im Sande verliefen. Auch im Mittelalter gab es Kreativität und Innovation: Denken wir an die Erfindung des Schießpulvers und des Buchdrucks oder den Bau von schnelleren Schiffen. Ein Jahrhundert später war die Wirkung dieser Innovationen verpufft. Es gab keine Weiterentwicklung. Warum war dies im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert in England und dann in Kontinentaleuropa anders? Weil man die Dinge begreifen und durchdringen, sie verstehen wollte! Erst wenn man begreift, wie etwas funktioniert, z. B. eine Dampfmaschine, kann man es auch verbessern oder gar revolutionieren. Ohne intellektuelle Fundierung wäre die Industrielle Revolution im 19. Jahrhundert stecken geblieben. Entscheidende Weichenstellungen für die Innovation kamen aus der wissenschaftlichen Durchdringung der Probleme.

      Als die wichtigsten politischen Erfolge der Aufklärung gelten das Zustandekommen der ersten demokratischen Verfassungen der Neuzeit sowie die schriftliche Niederlegung der unveräußerlichen Menschenrechte. Hiermit wurde die geistige Aufklärung auf Staaten und Gesellschaften übertragen. Die erste dieser Verfassungen war die Declaration of Independence (Unabhängigkeitserklärung) der 13 Kolonien, die die USA am 4. Juli 1776 gründeten, es folgten Polen im Mai 1791 und Frankreich im September 1791. Man kann allerdings auch schon die Einführung der konstitutionellen Monarchie als Ergebnis der Glorious Revolution 1688/89 in England als frühen Ausfluss aufklärerischen, zumindest anti-absolutistischen Denkens sehen.

      Die Glorious Revolution in England und ihre Folgen

      In einer unblutigen Revolution in den Jahren 1688 und 1689, die bereits von Zeitgenossen deshalb als die »glorreiche« bezeichnet wurde, wandelte sich das politische System Englands von einem autokratischen Regime der Stuarts zu einer konstitutionellen Monarchie. Die Revolution brachte eine permanente Neuverteilung der Macht in der englischen Verfassung.

      Den Anstoß zur Glorious Revolution gab eine Erklärung von James II. (Jakob II., 1633 - 1701) zur Religionsfreiheit, die Declaration of Liberty of Conscience vom 4. April 1687 (ergänzt am 27. April 1688), die der König in allen Kirchen verlesen ließ. Sie verkündete das Recht auf freie Religionsausübung für Katholiken und protestantische Dissidenten (Dissenters).

      James II. verlor im Zuge dieses Umsturzes seinen Thron. Zuvor hatte der Monarch schon viel Kredit verspielt mit seiner rücksichtslosen Politik, seiner starken Beanspruchung der Reserven der Bürger und der Finanzkraft der Bevölkerung. Gegen den Willen der Mehrheitskirche ließ er Katholiken in der Regierung, im Heer und an den Universitäten zu. Die Bischöfe der anglikanischen Kirche erhoben sich gegen das Toleranzedikt des Königs. Dem schlossen sich dann die konservativen