Wenn das auf dich zutrifft, dann beobachte den Widerstand in dir. Beobachte das Festhalten an deinem Schmerz. Sei sehr wachsam. Beobachte die eigenartige Befriedigung, die du aus dem Unglücklichsein gewinnst. Beobachte den Drang, darüber zu sprechen oder nachzudenken. Der Widerstand wird nachlassen, wenn du ihn bewusst machst. Dann kannst du deine Aufmerksamkeit in den Schmerzkörper lenken, als Zeuge gegenwärtig bleiben und so die Umwandlung in Gang setzen.
Nur du selber kannst das tun. Niemand kann es für dich tun. Aber wenn du das Glück hast, jemanden zu finden, der höchst bewusst ist, und du mit ihm/ihr sein und diesen Zustand von Gegenwärtigkeit teilen kannst, dann kann dir das sehr helfen und alles beschleunigen. So wird dein eigenes Licht schnell wachsen. Wenn ein Holzscheit, das gerade zu brennen begonnen hat, in die Nähe eines starken Feuers gebracht wird, dann wird sein Brennen verstärkt, auch wenn es nach einer Weile wieder von dem größeren Feuer getrennt wird. Es ist schließlich dasselbe Feuer. Ein solches Feuer zu sein ist eine der Funktionen eines spirituellen Lehrers. Einige Therapeuten können ebenfalls diese Funktion erfüllen, vorausgesetzt sie sind über die Verstandesebene hinausgegangen und können einen Zustand intensiver bewusster Gegenwärtigkeit erschaffen und halten, während sie mit dir arbeiten.
DER URSPRUNG VON ANGST
Du hast von Angst als Teil unseres grundlegenden emotionalen Schmerzes gesprochen. Wie entsteht Angst und warum gibt es so viel davon im menschlichen Leben? Und ist nicht eine bestimmte Menge davon einfach gesunder Selbstschutz? Wenn ich keine Angst vor dem Feuer hätte, würde ich vielleicht meine Hand hineinhalten und verletzt werden.
Nicht weil du Angst hast, hältst du deine Hand weg vom Feuer, sondern weil du weißt, dass du dich verbrennen würdest. Du brauchst keine Angst, um unnötige Gefahr zu vermeiden – nur ein Minimum an Intelligenz und gesundem Menschenverstand. Wenn es um praktische Dinge geht, ist es nützlich, alles, was du in der Vergangenheit gelernt hast, anzuwenden. Wenn dich allerdings jemand mit Feuer oder Gewalttätigkeit bedroht, dann wirst du vielleicht Angst spüren. Instinktiv schreckst du vor der Gefahr zurück – das ist aber nicht die psychologisch begründete Angst, von der wir hier reden. Die psychologisch begründete Angst hat nichts mit irgendeiner konkreten und wahren augenblicklichen Gefahr zu tun. Sie hat viele verschiedene Formen: Unruhe, Sorgen, Ängstlichkeit, Nervosität, Spannung, Grauen, Phobien und so weiter. Diese Art psychologischer Angst hat immer mit etwas zu tun, das passieren könnte, nicht mit etwas, das gerade geschieht. Du bist im Hier und Jetzt, während dein Verstand in der Zukunft ist. Dadurch entsteht eine Lücke, die sich mit Angst und Sorge füllt. Und wenn du mit deinem Verstand identifiziert bist und den Kontakt zur Kraft und Schlichtheit des Jetzt verloren hast, dann wird diese angstgefüllte Lücke dein ständiger Begleiter. Mit dem gegenwärtigen Moment kannst du immer zurechtkommen, aber du kannst nicht mit etwas fertig werden, das nur eine Projektion deines Verstandes ist, das heißt mit der Zukunft.
Solange du mit deinem Verstand identifiziert bist, regiert das Ego dein Leben, wie ich vorher schon erwähnte. Das Ego ist nur ein Phantom und trotz vielschichtiger Verteidigungsmechanismen sehr verletzbar, sehr unsicher und fühlt sich ständig bedroht. Das ist übrigens auch dann der Fall, wenn das Ego äußerlich sehr selbstsicher erscheint. Eine Emotion ist, wie wir wissen, die Reaktion des Körpers auf deinen Verstand. Und welche Informationen bekommt der Körper nun laufend vom Ego, vom falschen, erfundenen Selbst? Gefahr! Ich werde bedroht! Und welche Emotion wird durch diese ständige Nachricht erzeugt? Natürlich Angst.
Angst scheint viele Ursachen zu haben. Angst vor Verlust, Angst vor Versagen, Angst vor Verletzung und so weiter, aber letztendlich ist jede Angst die Angst des Egos vor dem Tod, vor der Vernichtung. Für das Ego lauert der Tod immer gleich um die nächste Ecke. Wenn du dich mit dem Verstand identifizierst, beeinflusst die Angst vor dem Tod jeden Aspekt deines Lebens. Auch das scheinbar so triviale und „normale“ zwanghafte Bedürfnis zum Beispiel, bei einem Streit Recht behalten zu wollen und die andere Person ins Unrecht zu setzen – die Verstandesposition, mit der du dich identifiziert hast, zu verteidigen –, gründet auf der Angst vor dem Tod. Wenn du dich mit einer Verstandesposition identifizierst und dann im Unrecht bist, wird sich dein auf den Verstand gegründetes Selbstgefühl ernsthaft von der Vernichtung bedroht fühlen. Du als Ego kannst es dir also nicht leisten, Unrecht zu haben. Unrecht zu haben bedeutet zu sterben. Darüber sind Kriege geführt worden und zahllose Beziehungen sind daran gescheitert. Sobald du dich von deinem Verstand getrennt hast, macht es für dein Selbstgefühl keinen Unterschied mehr, ob du im Recht oder im Unrecht bist. Der stark zwanghafte und zutiefst unbewusste Drang, Recht zu haben, der auch eine Form von Gewalt ist, wird nicht mehr länger bestehen. Du kannst klar und deutlich zum Ausdruck bringen, wie du dich fühlst und was du denkst, ganz ohne Aggressivität oder Verteidigungsmechanismen. Dein Selbstgefühl wurzelt dann nicht mehr im Verstand, sondern in einer viel tieferen inneren Wahrheit. Beobachte es, wenn du defensiv wirst. Was verteidigst du? Eine eingebildete Identität, eine Vorstellung in deinem Verstand, ein fiktives Wesen. Indem du dieses Muster durch reine Beobachtung bewusst machst, trittst du aus der Identifikation mit ihm heraus. Im Licht deines Bewusstseins wird sich dieses unbewusste Muster dann rasch auflösen. Das ist das Ende aller Streitigkeiten und Machtspiele, die in Beziehungen so zersetzend wirken. Macht über andere ist nichts anderes als Schwäche, die sich als Stärke maskiert. Wahre Stärke findest du im Inneren und sie steht dir jetzt zur Verfügung.
Jeder, der mit seinem Verstand identifiziert ist statt mit seiner wahren Stärke, dem tieferen, im Sein verankerten Selbst, wird die Angst als ständigen Begleiter haben. Es gibt allerdings nur wenige Menschen, die schon über den Verstand hinausgegangen sind. Du kannst also davon ausgehen, dass so gut wie jeder, dem du begegnest oder den du kennst, in einem Zustand der Angst lebt. Unterschiede gibt es nur in der Intensität. Sie schwankt zwischen Furcht und Grauen auf der einen Seite der Skala bis zu einem vagen Gefühl von Unbehagen oder Bedrohung auf der anderen. Den meisten Menschen wird das erst dann bewusst, wenn die Angst eine akutere Form annimmt.
DIE SUCHE DES EGOS NACH GANZHEIT
Zu emotionalem Schmerz gehört noch ein weiterer Aspekt, der einen wichtigen Teil des Egos-Verstandes ausmacht – das ist ein tief sitzendes Gefühl des Mangels, der Unvollkommenheit, ein Gefühl, dass dir etwas fehlt. Manchen ist das bewusst, anderen nicht. Bewusst zeigt es sich als ständig unzulängliches Selbstwertgefühl, unbewusst wird es nur indirekt als tiefes Verlangen gefühlt, als Habenwollen, als Bedürftigkeit. In beiden Fällen versuchen Menschen oft, dieses innere Loch zu füllen, indem sie zwanghaft nach Ego-Befriedigung streben und sich mit den verschiedensten Dingen identifizieren. Sie streben dann nach Besitz, Geld, Erfolg, Macht, Anerkennung oder nach einer besonderen Beziehung. Eigentlich wollen sie damit erreichen, sich besser, sich vollkommener zu fühlen. Aber sogar wenn ihnen all diese Dinge gelingen, müssen sie bald erkennen, dass das Loch immer noch da ist, dass es bodenlos ist. Dann sind sie wirklich in Schwierigkeiten, weil sie sich selbst nichts mehr vormachen können. Nun, sie werden weiterhin versuchen, sich etwas vorzumachen, aber es wird schwieriger.
Solange der Ego-Verstand dein Leben regiert, findest du keine wirkliche Ruhe; du kannst nicht friedlich oder erfüllt sein außer in Augenblicken, in denen du bekommen hast, was du wolltest, in denen gerade ein Verlangen erfüllt wurde. Da es sein Selbstgefühl immer aus äußeren Dingen ableitet, besteht das Ego aus Identifikationen. Auch muss es ständig verteidigt und gefüttert werden. Die häufigsten Ego-Identifikationen haben mit Besitz, Arbeit, sozialem Status und Anerkennung zu tun, mit Wissen und Bildung, körperlicher Erscheinung, besonderen