Als ihn seine Begleiter eingeholt hatten, stiegen sie alle von ihren Pferden, richteten ihn auf und bewiesen ihm das wärmste Mitgefühl.
Der Ritter, der mit den Spötteleien begonnen hatte, schien jetzt am meisten beunruhigt zu sein, und tiefe Trauer lag auf seinem Gesicht.
„Lieber Châtillon, ich bedauere Dich von ganzem Herzen. Verzeih' mir meine unbesonnenen Reden,“ bat er, „ich wollte Dich nicht beleidigen.“
„Laßt mich in Ruh'!“ rief Châtillon aus und riß sich aus den Armen seiner Begleiter los; „meine Herren, ich bin noch nicht gestorben. Glaubt Ihr denn, die Sarazenen hätten mich geschont, damit ich später wie ein Hund im Walde verenden könnte! Nein, bei Gott, noch lebe ich, und Du solltest Deine Spötteleien auf der Stelle büßen, Saint-Pol, wenn ich mich an Dir rächen dürfte.“
„Aber, beruhige Dich doch,“ entgegnete Saint-Pol. „Du bist verwundet, lieber Bruder; das Blut rinnt ja durch Dein Panzerhemd.“
Châtillon streifte den rechten Panzerärmel hoch und sah, daß ein Zweig die Haut leicht geritzt hatte.
„Es ist nicht der Rede wert,“ sagte er, „nur eine kleine Schramme. Aber ohne Absicht hat uns dieser verdammte Vlaeme nicht diesen widerlichen Weg geführt. Ich werde es schon herausbekommen. Und ich will nicht mehr Châtillon heißen, wenn ich den Schurken nicht an einem Ast dieser verwünschten Eiche aufhängen lasse.“
Der Vlaeme, der auf diese Weise zur Rechenschaft gezogen wurde, tat, als verstände er die französische Sprache nicht; doch sah er auf und blickte Châtillon kühn ins Auge.
„Meine Herren,“ rief da der Ritter aus, „seht nur den unverschämten Blick dieses Bauernlümmels. – Hierher, Schurke!“
Langsam kam der junge Mann näher. Sein Haupt war stolz erhoben; aber in seinen Augen lag ein sonderbarer Zug, ein Ausdruck, der Wut mit List vereinigte und so düstere Drohungen enthielt, daß sich Châtillon von einer beklemmenden Unruhe ergriffen fühlte.
In diesem Augenblick brachte plötzlich einer der Ritter, der diesem Auftritt beigewohnt hatte, sein Pferd in Trab, verschwand bald hinter den mächtigen Bäumen und gab dadurch deutlich genug seinen Unwillen zu erkennen.
„Nun also!“ herrschte Châtillon den Führer an. „Sage mir, weshalb hast Du uns auf diesen Weg geführt, und warum hast Du uns nicht auf den Baumstamm aufmerksam gemacht, der da im Wege lag?“
„Herr,“ antwortete der Vlaeme in gebrochenem Französisch, „ich kenne keinen anderen Weg nach Schloß Wijnendaal, und ich wußte nicht, daß Ew. Edeln die Gewohnheit haben, zu Pferd zu dieser Tageszeit zu schlafen.“
Als der Führer diese Worte aussprach, huschte ein Lächeln über sein Gesicht, das zugleich Hochmut und Ironie verriet. Man hätte meinen können, er wolle den Zorn des Grafen reizen, um ihm dann zu trotzen.
„Unverschämter Lümmel!“ schrie ihn Châtillon an, „wagst Du es etwa, Dich über mich lustig zu machen! Holla! Leute! Hängt mir diesen Burschen. Die Raben sollen ihn fressen.“
Das spöttische Lächeln des jungen Mannes wurde unverhohlener. Seine Mundwinkel zuckten immer verräterischer, und seine Wangen entfärbten sich.
„Einen Vlaemen wollt ihr hängen?“ stieß er leise hervor. „Da wartet nur, meine Herren!“
Er sprang einige Schritte zurück, stemmte sich gegen einen Baumstamm, streifte die Ärmel seines Wamses bis zu den Schultern auf und zog seinen blitzenden Dolch aus der Scheide. Die Muskeln seines nackten Armes spannten sich, und sein Gesichtsausdruck erinnerte an den eines Löwen. „Weh dem, der mich anrührt!“ rief er ihnen mit dröhnender Stimme zu. „Flanderns Raben fressen keinen Vlaemen! Sie fressen lieber Franzosenfleisch!“
„Ergreift ihn!“ rief Châtillon aus, „ergreift den Lumpen! Seht die Feiglinge! Ihr fürchtet euch wohl vor seinem Messer? Meine Hände kann ich mit seinem Blut nicht besudeln, denn ich bin aus edlem Hause. Das ist eure Aufgabe. Pack gegen Pack! Werft euch auf ihn!“
Einige Ritter suchten Châtillon zu beruhigen. Aber den meisten wäre es nur zu recht gewesen, wenn man den Vlaemen gehängt hätte. – Die Waffenträger, die durch ihren Herrn aufgereizt waren, hatten sich gerade auf den jungen Mann stürzen wollen, als unvermutet der Ritter hinzukam, der, in Gedanken versunken, vorausgeritten war[2]. Die Kostbarkeit seines Gewandes und seiner Rüstung übertraf die der anderen Ritter bedeutend. Das gestickte Wappen auf seiner Brust enthielt drei goldene Lilien in blauem Felde unter einer Grafenkrone. Das war ein Zeichen dafür, daß königliches Blut in seinen Adern rollte.
„Halt!“ rief er den Waffenträgern streng zu, und dann wandte er sich an den Grafen von Châtillon:
„Herr von Châtillon, Ihr scheint zu vergessen, daß ich Flandern von meinem königlichen Bruder Philipp von Frankreich zu Lehen erhalten habe. Der Vlaeme ist mein Vasall, und nur mir allein gehört sein Leben.“
„Dieser verächtliche Bürger soll mich also ungestraft beleidigen dürfen!“ entgegnete Châtillon voll Zorn. „Graf, es ist tatsächlich unglaublich, daß Ihr das niedere Volk immer gegen den Adel verteidigt. Dieser Vlaeme soll sich also rühmen dürfen, ungestraft einen französischen Ritter verhöhnt zu haben? Hat er den Tod nicht verdient?“
„Herr von Valois,“ sagte Saint-Pol, „gönnt meinem Bruder die kleine Genugtuung, diesen Vlaemen hängen zu sehen. Was kümmert Eure Königliche Hoheit das Leben dieses starrköpfigen Burschen?“
„Meine Herren,“ rief Karl von Valois mit zorniger Stimme, „versteht mich recht, ich untersage es euch, in meiner Gegenwart derart zu sprechen. Ich schätze das Leben meiner Untertanen höher ein. Lassen Sie den jungen Mann gehen. Zu Pferd! meine Herren. Wir verlieren sonst zu viel Zeit.“
„Steig' auf,“ flüsterte Saint-Pol seinem Bruder zu, „antworte nicht, nimm das Pferd Deines Schildknappen und komm. Herr von Valois ist ein unverbesserlicher Volksfreund.“
Inzwischen hatten die Schildknappen ihre Schwerter in die Scheide gesteckt und führten nun die Pferde ihren Gebietern vor.
„Seid ihr fertig, meine Herren?“ fragte Graf von Valois, „dann beeilt euch, bitte, sonst werden wir zu spät zur Jagd kommen. Und Du, Vasall, bleib' an unserer Seite und entferne Dich nicht vom Weg! Wie weit ist es noch bis Wijnendaal?“
Der junge Mann nahm höflich die Mütze ab, verbeugte sich vor seinem Retter und erwiderte: „Noch eine knappe Stunde, gnädiger Herr.“
„Der Bursche ist mir verdächtig!“ sagte Saint-Pol. „Ein Wolf in Schafskleidern.“ –
„Das habe ich mir schon lange gedacht,“ fügte der Kanzler Pierre Flotte hinzu. „Er beobachtet uns tatsächlich wie ein Wolf und spitzt die Ohren wie ein Hase, wenn wir sprechen.“
„Aha! nun weiß ich, wer's ist!“ rief Châtillon aus. „Meine Herren, habt ihr nicht von einem Weber gehört, der Peter de Coninck heißt und in Brügge wohnt?“
„Das ist ein Irrtum,“ warf Raoul de Nesle ein, „ich habe in Brügge persönlich mit dem berüchtigten Weber gesprochen, und obwohl er diesen hier an Schlauheit und Arglist weit übertrifft, muß ich Ihnen sagen, daß er nur ein Auge hat, während unser Führer zwei sehr schöne besitzt. Ohne Zweifel liebt er den alten Grafen von Flandern und sieht uns als seine Besieger scheel an. Das ist's! Nehmt ihm die Treue nicht übel, die er seinem unglücklichen Fürsten hält.“
„Jetzt haben wir dieses Thema aber zur Genüge erörtert!“ sagte Châtillon. „Gibt's denn gar keinen anderen Gesprächsstoff? Halt,“ fügte er hinzu, „wißt ihr übrigens, was unser allergnädigster König Philipp mit diesem edlen Flandern vorhat? Auf mein Wort: hält unser erhabener Herrscher seine Schatzkammern ebenso verschlossen wie