Sie schaltete die Lampe ein, die an ihrem Kopf festgeschnallt war, und bewegte sich auf allen vieren tiefer hinein, Zentimeter für Zentimeter. Der Schiefer zerfiel unter dem Gewicht ihres Körpers; seine scharfen Kanten stachen ihr in die Handflächen und Knie. Es war schwer zu sagen, ob irgendwas unter diesem Bruchstein vergraben lag. Vielleicht würde eine richtige Ausgrabung mehr enthüllen.
Am anderen Ende der Höhle bemerkte sie in eine Wand geritzte Formen. Das war für diesen Teil der Welt nicht ungewöhnlich, wo Felszeichnungen über das ganze vier amerikanische Staaten überspannende Plateau verteilt waren. Diese Zeichen waren ihr fremd: ein Kreispaar, ein großer mit einem kleinen in seinem Orbit, wie ein Planet und sein Mond.
Auf die gegenüberliegende Wand waren vier gespreizte Handabdrücke in roter Farbe abgebildet. Sie legte ihre flache Hand daneben – sie waren klein wie Kinderhände – und spürte eine greifbare Verbindung. Es war, als hätten die antiken Felsbewohner einen Teil ihrer Seelen in diesen Inschriften zurückgelassen. Ihr Wissenschaftlerverstand verweigerte eine solche Möglichkeit und doch begriff sie es. Die Ruinen der Welt besaßen eine spirituelle Würde, die man nicht ignorieren konnte. Sie flüsterten von Geheimnissen, die im Kollektivbewusstsein verblasst waren wie sepiafarbene Daguerreotypie, und enthüllten die authentischsten Wahrheiten über die Natur des Menschen. Dieser Ort war nicht anders.
Sarah griff nach ihrer Kamera und dokumentierte die Kunst ebenso wie den Zustand des Höhleninneren. Es gab viel zu tun, doch das musste bis zu einem anderen Tag warten. Das war die Natur des Wiederentdeckens: beobachten, dokumentieren und verschwinden.
Sie kroch zum Höhleneingang zurück und plante ihren Abstieg. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie etwas neben ihrer Stiefelspitze und richtete ihren Blick nach unten, wo sie eine glatte, konkave Oberfläche entdeckte, die halb im Geröll verborgen lag. Sie kratzte am Schlick, bis sich der Rand eines Gefäßes zeigte. Sie zog behutsam daran und entnahm eine Tonscherbe. Sie wischte die Oberfläche ab und hob den Gegenstand ins Licht. Es war ein Fragment einer ausgehöhlten Kürbisflasche. War es ein Gebrauchsgegenstand, der hier von den Felsenbewohnern, die ihr Heim verlassen hatten, zurückgelassen worden war? Oder war er in einer Art Zeremonie verwendet worden?
Ein tiefes Grollen ließ die Wände der Höhle vibrieren. Der Sturm kam näher.
Sie hätte sofort gehen und den Rest von der offiziellen Ausgrabung freilegen lassen sollen. Doch sie wusste, dass noch mehr Regen und Schlammlawinen die Umgebung verändern würden und vielleicht das schmale Fenster schlössen, das ihr eröffnet worden war.
Vorsichtig grub sie im Schlamm, schickte ihre Finger auf Erkundung. Innerhalb weniger Minuten zog sie eine Glasperle, eine Feder und ein gespaltenes Holzfragment, vielleicht fünfundzwanzig Zentimeter breit und vier Zentimeter hoch, heraus.
Das Holz allein mochte belanglos sein, aber weil es datiert werden konnte, könnte es entscheidend dafür sein, die anderen Gegenstände in Relation zu bringen. Sie alle schienen in der trockenen Erde und dem Schiefer vergraben worden zu sein, vielleicht, um ihren Schutz zu gewährleisten. Jetzt, da das Siegel zerbrochen und Wasser in die Höhle eingedrungen war, würden die raschen Veränderungen der Umwelt unweigerlich zum Verfall führen. Die Objekte mussten so bald wie möglich entnommen werden.
Sie schob die kleineren Gegenstände in Beutel und steckte diese in ihre Taschen. Sie wickelte das Holzfragment in ein Bandana und klemmte es in ihren Hosenbund. Es war unorganisierter, als sie normalerweise zuließ, aber ihre Möglichkeiten waren begrenzt.
Donner grollte und ein Windstoß drang in die Höhle. Es war Zeit, zu gehen. Sie schob sich zum Rand und stand vorsichtig auf, wobei sie versuchte, sich auf den Felsen um sie herum zu konzentrieren, und nicht auf den steilen Abstieg.
»Sarah, pass auf!«
Die Dringlichkeit in Daniels Stimme warnte sie vor der Gefahr, aber es war zu spät. Ein loser Schieferhaufen am Rand der Höhle bröckelte ab und sie rutschte einige Meter zu einem Vorsprung hinunter, wo sie hart auf der Seite landete. Während des Sturzes löste sich das Holzfragment und sie sah zu, wie es zusammen mit einer Geröllwelle den Felsen hinunterfiel. Sie folgte der Abwärtsflugbahn des Objekts, bis es in einem Hoodoo-Feld zum Liegen kam.
»Vergiss es«, rief er hinauf. »Komm einfach heil wieder runter.«
Sie lag so unsicher, dass sie mit Mikrobewegungen nach einem Handhalt tastete. Sie ergriff den ersten und stabilisierte sich am Felsen. Sie bekam Sichtkontakt zum Objekt, das halb in der Brühe aus Schlick und Stein verborgen war.
Wenn sie den Überhang überwinden könnte, wäre der Rest einfach. Es war möglich, solange das Wetter noch für ein paar Minuten mitspielte. Sie hob eine Hand, um Daniels Einspruch zuvorzukommen. »Ich hol’s mir.«
»Bist du verrückt?« Das Wort verrückt, mit seinem Tennessee-Akzent in die Länge gezogen, war so laut, dass es von der Felswand zurückgeworfen wurde und durch den Canyon hallte.
Ein Auge auf die langen Steinfinger gerichtet, die von den ewigen Winden zu gigantischen Stalagmiten geformt worden waren, griff sie nach dem Überhang. Sie hatte vor, frei darüber zu klettern und sich dann auf den höchsten Hoodoo fallen zu lassen und den krummen Felsen zu dessen Fuß hinabzusteigen, wo das Artefakt lag. Sie holte tief Luft und atmete dann fest aus. In den Jahren des Klettertrainings unter Daniels Anleitung hatte sie niemals etwas in der Art versucht. Sie würde all ihr Geschick und all ihre Stärke brauchen, um sich an einer glatt geschliffenen Felsdecke festzuhalten, während sie über krummen Türmen hing, die aufgestellt waren wie eine fremde Armee. Eine falsche Bewegung konnte sie in die Säulen schleudern und sie außer Gefecht setzen oder Schlimmeres.
Es war ein winziger Gegenstand, der vielleicht nichts bedeutete. War es das Risiko wert? Sarah stellte sich oft diese Frage, und die Antwort war immer dieselbe: Selbst die kleinsten und scheinbar unwichtigen Gegenstände trugen etwas zum fragmentierten Verständnis der antiken Geschichte bei. Als Archäologin war es ihre Pflicht, zu suchen und zu beleuchten. Ein Artefakt im Feld zurückzulassen, war, wie an einem sterbenden Mann vorbeizugehen, ohne ihm Hilfe anzubieten.
Ja, es war das Risiko wert.
Haarfeine Risse zogen sich über den glatten Fels wie Spinnweben. Sie klemmte ihre Fingerspitzen in eine anderthalb Zentimeter tiefe Einkerbung und streckte sich nach einer anderen. Ihr Bizeps wölbte sich, während sie sich mit einer Hand festhielt und mit der anderen vorrückte. Ein weiterer Windstoß, der Vorbote der Sturmbö, die sich direkt über ihr zusammenbraute, kühlte den Schweißfilm auf ihren bloßen Gliedmaßen und erfrischte sie. So, fand sie, fühlte sich Freiheit an: pur, belebend, vergänglich.
Obwohl er nicht sprach, um ihre Konzentration nicht zu stören, konnte Sarah Daniels Stimme in ihrem Kopf hören; sie sagte ihr, was sie als Nächstes tun musste. Füße auf Fünf-Null. Kletter weiter. Achte auf den Griff rechts. Er war ihre Stütze, an diesem und an jedem Tag. Obwohl ihre leidenschaftliche Unabhängigkeit ihr nicht immer erlaubte, es zuzugeben, brauchte sie ihn.
Sie überprüfte die Hoodoos unter sich. Ihr Ziel war ein Felsnadelpaar, das wie die Läufer eines Schachspiels geformt war. Das graue Sturmlicht dämpfte die unzähligen Variationen von Ocker und verbranntem Umbra, die in die alten Formationen geschichtet waren. Sie strengte sich ein letztes Mal an, um den Rand des Überhangs zu erreichen, und sprang drei Meter auf den Gipfel des hohen Hoodoos hinab. Während sie Atem schöpfte, bemerkte sie den ersten Regentropfen auf ihrem Gesicht. Sie musste sich beeilen.
Während sie die strukturierte Felsnadel hinabstieg, spürte sie den rauen, spröden Abdruck des Steins auf ihrer Haut. Andere hätten die Erfahrung vielleicht für unangenehm gehalten, doch sie betrachtete sie als Würdigung der gewaltigen Präsenz der Formation durch Berührung.
Bis Sarah den Boden des Hoodoo-Felds erreicht hatte, war der Regen stärker geworden. Dort lag es, ein einfaches Holzstück, das vielleicht nicht mehr als Zunder für das Feuer der Pueblo-Indianer gewesen sein mochte, und versank im weichen Schlick.
Sie ging vorsichtig um den Schlamm herum, denn es gab keinen Weg hindurch, und reckte den Körper danach. Selbst vollständig ausgestreckt war sie noch gut anderthalb Meter entfernt. Sie griff