Jakob Christoph Heer
Nick Tappoli
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
EAN 4064066111359
Inhaltsverzeichnis
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Das Städtchen Eglisau an der Steilhalde des Oberrheins bildet den Zugang zum Rafzerfeld, einem rechtsrheinischen Lappen Schweiz inmitten badischen Gebietes. Nur durch die holzverschalte Brücke, an deren Sprengwerk ein Wald von Stämmen verwendet worden ist, hängt es mit der Landschaft von Zürich zusammen, der es im fünfzehnten Jahrhundert durch friedlichen Kauf einverleibt worden ist. Vom Mittelalter an bis zum Aufkommen der Eisenbahnen hat der Ort auf dem in heller Bläue einherwogenden Strom viele muntere Bilder gesehen: in den Weidlingen, den langen, schmalen Kähnen, die mit großer Sicherheit über Wirbel und Klippen hinweggleiten, die Kaufleute und das fahrende Volk, das von Konstanz her auf die Zurzacher und Basler Messe zog, und auf den Flößen, welche die mächtigen Alpentannen für den Schiffbau nach den Niederlanden führten, allerlei Reisende, die um billiges Geld die Welt sehen wollten. Selten wohl glitt ein Fahrzeug an Eglisau vorüber; ein jedes fast machte kurzen Halt, und die Insassen ließen sich den Rotwein des Städtchens munden, das wie der Vogel in sein Nest mitten in Weinberge hineingebettet liegt.
Als aber hüben und drüben in den Ländern am Rhein Eisenbahnen entstanden, erlosch der Verkehr auf dem Strom allmählich. In den sechziger Jahren lag schon ein Hauch des Stillstandes und der Vergessenheit über dem Städtchen. Mit verwitterten, doch blumenumrankten Lauben schauten seine hochgebauten, einander überragenden Firsten auf das lichte Band des Stromes. Bei der Brücke erhoben sich der stattliche Barockbau der Kirche mit dem in einer roten Zwiebel endigenden Turm und dicht daneben das große, weißgetünchte Pfarrhaus, vor dem der Fluß in Wogen und Strudeln quirlt. An Kirche und Pfarrhaus vorbei windet sich die von Zürich und Schaffhausen führende Straße in mäßiger Steigung durch das Städtchen empor. Da standen ein paar alte Gasthöfe mit kunstreichen Schildern, der »Hirsch« mit einer von Eichensäulen getragenen Laube und die »Krone« mit den gotischen Fensterreihen, auch Bürgerhäuser mit patrizischem Schmuck, Wappen, Namen, weit in die Straße vorspringenden Wasserspeiern, und da und dort ein Kramladen mit bauchigem Fenstergitter. In dieser Gasse und einigen anderen lag noch ein Abglanz reichsstädtischen Wesens über der kleinen Stadt, verlor sich aber weiterhin bald in die Bilder bäuerlicher Behäbigkeit.
Wie bescheiden sich indessen die Schicksale Eglisaus mehr und mehr gestalten, einige Vorzüge blieben ihm doch: die schöne Lage am gewaltigen Wogenzug des jungen Stromes, die fruchtbaren Felder, die prächtigen Wälder an beiden Ufern, vor allem aber der an heißer Halde gewachsene Wein, der die Sommersonne eingefangen hat und im Glas einen milchweißen Stern wirft, und die köstlichen Forellen und Salme, die beim Wasserrad der Schiffsmühle oberhalb der Brücke mit großen Senknetzen aus dem Strom gehoben werden. Wegen dieser Annehmlichkeiten war das Städtchen von jeher ein beliebtes Ziel der von Zürich ausfliegenden Naturfreunde und Feinschmecker, besonders in goldener Herbstzeit, wenn der Duft des Sausers, des gärenden Weinmostes, durch die Gassen wehte und durch die Brücke Tag und Nacht das Schellenklingeln der Weinfuhrwerke ging.
Fast mehr noch als die Gasthöfe wußte Pfarrer Salomon Tappoli, Bürger von Zürich, der damals in Eglisau amtete, von Gästen zu erzählen, ein ebenso leutseliger wie geistreicher Kopf, der dem Leben einen künstlerisch-sonnigen Gehalt abgewann und die Besuche aus seiner Vaterstadt in launiger Geselligkeit um sich scharte.
Zu jener Zeit hatte das Städtchen aber auch noch einen berühmten Messerschmied, Meister Martin Junghans. Wer von ihm geschaffene Werkzeuge besaß, Messer und Scheren, Zirkel und Schublehren, auf denen die Marke »Junghans«, ein fröhliches Gesicht mit Zipfelmütze, eingestempelt war, der durfte sie sehen lassen. Sie waren bester Stahl, sorgfältige Arbeit. Sie lobten den Feinschmied von Eglisau und waren auf den Schweizer wie süddeutschen Märkten vorteilhaft bekannt. Gewiß hätten sie eine noch größere Verbreitung gefunden, wenn Martin ein ebenso gewandter Kaufmann wie Handwerker gewesen wäre und ihren Ruf ausgenützt hätte. Er verlangte jedoch aus angeborener Bescheidenheit für die Werkzeuge nie so viel, wie es der fast eigensinnigen Gewissenhaftigkeit seiner Arbeit entsprochen hätte, und das Städtchen mit seinen Nachbardörfern war für die Erzeugnisse Meister Martins auch kein genügendes Absatzgebiet. Als Händler selber auf die auswärtigen Märkte zu ziehen, widerstrebte seinem ehrenfesten Wesen, und mit den Wiederverkäufern, welche die Waren wohl rasch und mit Vorteil los wurden, sie aber bei ihm lange schuldig blieben, hatte er manchen redlichen Verdruß.
Warum es Martin Junghans nie recht zu Klingendem brachte, lag aber wohl am meisten an seiner großen Familie. Das vom Vater ererbte stattliche Haus an der Obergasse, eines der ältesten und höchsten des Städtchens, mit geräumiger