Der Qualität der Dampfer entsprechend ist auch die Verpflegung. Man glaubt, in einer Mastkuranstalt zu leben. Von 6 Uhr morgens bis nachts 12 Uhr ist ununterbrochen Gelegenheit zur Nahrungsaufnahme, und sind wir einmal im Gebiete der Mitternachtssonne, so wird das Tafeln auch während der bisher beobachteten Schonzeit kein Ende nehmen. Morgens 6 bis 8 Uhr wird Thee, Chokolade, Kaffee mit Zuthaten serviert; 8 Uhr ist erstes Frühstück, 1 Uhr zweites Frühstück, 7 Uhr Diner, alle Mahlzeiten von der Reichhaltigkeit eines Festessens erster Güte. Zwischenhinein aber zirkulieren überall Stewards mit Thee, Kaffee, Limonade, Kakao, Sandwiches aller Art, Früchten etc. — alles gratis; nur die alkoholischen Getränke (Pschorr, Zacherl, Münchner Bürgerbräu und Pilsner Hofbräu vom Faß etc. etc.) müssen extra vergütet und — getrunken werden.
Man verzeihe diesen materiellen Exkurs; er gehörte zur Schilderung des Schlaraffenlebens auf dem Nordlandfahrer „Auguste Viktoria“; übrigens erhält das so stark betonte und prosaische Verdauungsgeschäft einen künstlerischen, fast poetischen Anstrich dadurch, daß durch das bekannte Trompetensignal aus dem Beethoven’schen „Fidelio“ jeweils dazu eingeladen wird. Den zu diesem Eß-Signal beorderten Stabstrompeter bezeichnete der Witz der letztjährigen Nordlandsfahrer als „Trompeter von Eß-lingen“. Er wird von den herumliegenden Passagieren — wenigstens denjenigen der Rauchkabine — meist mit einem Geheul begrüßt, das an die Töne einer Menagerie in der Nähe der Fütterungszeit erinnert.
Schon nach einer Stunde, welche durch Vorträge der Kapelle auf Deck gekürzt wurde, ließen wir Cuxhaven links liegen, grüßten die „Alte Liebe“ — jene so benannte altehrwürdige Landungsbrücke, welche die Auswanderer auf ihr Schiff leitet, und als das Diner vorüber war, sahen wir uns dicht an der Ostküste von Helgoland, dessen Häuser hell beleuchtet erschienen.
Ein Spaziergang auf Deck zeigte uns ein wunderbares Völkergemisch und eine wahre Ausstellung von schönen und absurden Toiletten. Speziell durfte die Kopfbedeckung der Damen auf Vielseitigkeit und Originalität Anspruch machen; von der deutschen Infanterie- und Artillerie-Offiziersmütze auf den Köpfen einiger koketten Amerikanerinnen bis zur Lootsen-Kappe fehlte keine Variation. Ich bin glücklich zu sagen, daß auch ich, dem die eigene Toilette sonst leider zu sehr „wurst ist“, etwas Aufsehen erregte durch einen Lodenmantel, den ich mir in Hamburg gekauft, um gegen die Unbill der arktischen Witterung und gegen die Eisbärentatzen geschützt zu sein. Die beim Kaufe im Dunkel der Nacht mir als grau erschienene Farbe entpuppte sich nämlich bei dem Glanze der Tagessonne als spinat- oder bohnengrün, so daß ich von meinen zwei Lebens-, Leidens- und Reisegefährtinnen bei meinem ersten gloriosen Auftreten mit diesem Kunstwerk der Schneider- und Färbekunst als „Grüner Heinrich“ begrüßt wurde.
Das Meer blieb die ganze Nacht ziemlich ruhig; Seekranke gab es kaum. Abends war flottes Konzert von unseren zu komplettem Orchester umgewandelten Blechmusikkünstlern, die wirklich vortrefflich spielten — Heiteres und Ernstes, zum Schlusse natürlich den Meyer-Polka, den die zahlreichen anwesenden „Meyers“ mit stürmischem Applaus lohnten.
Am Morgen des 3. Juli kam bei 58° Breite die inselreiche norwegische Küste zu Gesicht; einige Segler belebten das Meer in malerischer Weise; mittags näherte sich bei Kopervik der Lootse unserm Schiff, das er durch die vielgestaltigen Fjorde lenken soll. Immer näher und deutlicher traten die Ufer — graue Klippen mit eingestreutem Busch- und Grasgrün und einzelnen freundlichen Häusergruppen, im Hintergrund Berg an Berg, wunderbar geformte Linien, und als Abschluß des Horizontes blendend weiße Schneegipfel, hie und da auch ein mächtiger Gletscher.
Böllerschüsse ertönen; unsere Kapelle spielt die norwegische Nationalhymne; der Lootse steigt an Bord, salutiert, besteigt die Kommandobrücke; die Falltreppe wird unter dem bekannten rhythmischen Gesang des leitenden Matrosen aufgezogen; das Schiff dreht nach Osten ab; eben bricht die Sonne durch die Wolken und vorwärts geht’s in die zauberhaften Schönheiten der nordischen Schärenlandschaften.
III.
Fjorde und Schären. — Hardangerfjord. — Ankunft in Odde. — Buarbrae. — Unglücksfall bei der Abfahrt. — Molde. — Naes. — Romsdal. — Ball an Bord. — Abendstimmung. — Ankunft in Drontheim.
Nördliches Eismeer 76° nördl. Breite, 11. Juli 1899.
Vor 30 Stunden haben wir dem alten Europa an seinem nördlichen Markstein, dem Nordkap, Valet gesagt und steuern dem Endziele unserer Fahrt, Spitzbergen, zu. Die Temperatur ist auf 2° C. gesunken; Himmel und Meer sind unheimlich grau und düster; undurchdringliches Gewölk verbirgt die Sonne und mit stark verminderter Geschwindigkeit sucht unser Schiff seinen Weg durch Nebel und spärliches Treibeis, geführt von zwei im Dienst ergrauten norwegischen Lootsen. Ein gelegentlich zu Gesicht kommender schwimmender Eisberg zeigt uns, wie wohlbegründet die reduzierte Fahrgeschwindigkeit und die vermehrte Vorsicht sind. Bei einem Zusammenstoß mit einem derartigen nordischen Riesen könnten alle technischen Vollkommenheiten unseres Schiffes zu Schanden werden.
Ueber das mit heute eingetretene schlechte Wetter dürfen wir nicht ungehalten sein; denn bis jetzt ging alles nach Wunsch und wir konnten die Schönheiten der norwegischen Küstenlandschaften bei herrlichstem Sonnenlichte genießen, das nordische Meer und die Mitternachtssonne in einer Pracht, wie sie wohl wenigen Reisenden zu Teil wird.
Es war vom Süden Norwegens bis zum nördlichen Ende eine Lustreise durch herrlichen sonnenwarmen Frühling. Den glänzenden Anfang bildete die Fahrt durch den vielbesungenen Hardanger Fjord. Fjorde heißt man bekanntlich die Meeresbuchten, in welche die norwegische Westküste gegliedert ist. Sie zeichnen sich vor andern Golfen dadurch aus, daß sie außerordentlich tief — bis über 200 Kilometer weit — und vielfach verzweigt in das Land eindringen. Im Verhältnis zu ihrer Länge sind sie schmal, überall von mächtigen, steilen Bergwänden eingefaßt; ihre innersten und engsten Endpunkte, bei welchen dieser Charakter am meisten ausgeprägt erscheint, gleichen auffallend unsern Alpenseen. Sie schneiden in die höchsten Teile des Landes ein; Felswände bis zu 1500 Meter fallen senkrecht und unnahbar