»Die Kartons waren ein voller Erfolg«, rief sie. »Zumindest einer. Das hier haben wir darin gefunden. Es ist ein Brief von meiner Großmutter an meinen Vater. Er stammt doch aus St. Johann.«
»Unmöglich!« sagte Sebastian verblüfft.
Gleichzeitig fiel ihm das schelmische Grinsen auf, mit dem Florian Wagner ihn ansah.
»Doch net etwa… St. Johann in Tirol?«
»Genau«, lachte der Bauernsohn. »Wir waren zuerst genauso verblüfft wie Sie eben. Aber dann hab’ ich’s an der Briefmarke gemerkt.«
»Dann sind wir ja schon einen großen Schritt weiter«, freute sich der Geistliche. »Aber kommt erst einmal herein.«
Er führte die Besucher in das Eßzimmer, wo Claudia und Max schon saßen. Sebastian stellte die beiden Frauen einander vor, und Claudia, die Florian schon kannte, schüttelte auch ihm die Hand.
Ausführlich mußten die beiden berichten, wie sie auf die Briefe gestoßen waren, und natürlich hatte Carla das Foto ihres Vaters mitgebracht.
Sebastian schaute es lange und nachdenklich an.
»Ich kenne das Gesicht wirklich nicht«, sagte er schließlich. »Es muß sich also alles abgespielt haben, während ich auf dem Priesterseminar war. Allerdings erinnere ich mich jetzt daran, daß die Leute damals, als ich die Pfarrstelle hier übernommen hatte, manchmal von dem Österreicher geredet haben. Klatsch natürlich, das Übliche, ich hab’ halt nix darauf gegeben.«
Er schaute Carla an.
»Jetzt werden S’ bestimmt nach Tirol wollen?«
Die Arzthelferin nickte.
»Ja, ich denk’ mir, daß mein Vater dort auf dem Friedhof beerdigt worden ist«, antwortete sie.
»Das vermute ich auch«, pflichtete Sebastian ihr bei. »Wenn Sie möchten, begleit’ ich Sie gern’ dabei.«
»Net nötig«, ließ sich Florian vernehmen. »Das mach’ ich schon…«
»Das hab’ ich mir schon gedacht, daß eure glücklichen Gesichter net allein von eurem Fund herrühren«, schmunzelte der Bergpfarrer.
Der Bauernsohn nahm Carlas Hand.
»Ja, Hochwürden, wir lieben uns«, bestätigte er. »Und ich werd’ Carla net in der Stunde allein’ lassen, in der sie vor dem Grab ihres Vaters steht.«
Sebastian nickte. Er hatte schon erwartet, daß Florian sich in Carla verlieben würde. Allerdings wußte er auch um die Vorbehalte der Wagnerbäuerin. Einige Male hatte sie im Gespräch durchblicken lassen, daß sie sich eine richtige Bäuerin als Frau für ihren Sohn wünsche, und dem Geistlichen ihr Leid geklagt, daß Florian sich immer mit Madln einließ, die mit der Landwirtschaft nichts am Hut hatten.
Vorerst vermied der Bergpfarrer allerdings, das Gespräch auf dieses Thema zu lenken. Das Essen war fertig, und der schöne Abend sollte nicht durch solche Gedanken getrübt werden.
Sophie Tappert hatte ihre beliebte Vorspeise zubereitet: Mousse von der geräucherten Forelle mit Kräuterjoghurt. Ein ganz zarter Schmaus, der auf der Zunge zerging. Die Haushälterin hatte dafür geräucherte Forellenfilets püriert und mit Sahne, Eigelb und Sherry verrührt. Die Bindung erhielt das Gericht durch ein paar Blätter Gelatine.
Danach wurde eine köstliche Suppe aufgetragen, aus Rindfleisch gekocht, mit Fleischnockerln, Eierstich und Gemüseperlen.
Carla wußte ja inzwischen, wieviel Max essen konnte, und staunte gar nicht mehr darüber, daß der Bruder des Bergpfarrers sich bei jedem Gang gleich zweimal bediente.
»Das wird aber nachher alles wieder abgetanzt«, drohte Claudia Bachinger ihrem Liebsten mit einem Augenzwinkern.
Während des Essens unterhielten sie sich über den bevorstehenden Tanzabend, und zur Überraschung und Freude aller kündigte Sebastian an, daß er diesmal mitgehen werde.
Es kam nicht oft vor, daß der Geistliche an der Veranstaltung teilnahm, aber hin und wieder ließ er sich dort doch sehen, und dann war er ein begehrter Tanzpartner.
Zum Hauptgang servierte Sophie Tappert einen gefüllten Kalbsbraten. In die Tasche hatte sie eine Mischung aus gerösteten Semmelwürfeln, Kräutern und einer gehackten Kalbsleber gesteckt. Die Masse war zuvor mit Eigelb gebunden und gesalzen und gepfeffert worden. Dazu gab es eine herrliche Bratensauce, die beinahe ganz klar war, da in ihr keine Mehlschwitze war. Eine bunte Gemüseplatte und Herzoginnenkartoffeln vervollständigten das Gericht, das jedem berühmten Drei-Sterne-Koch zur Ehre gereicht hätte.
Natürlich gab es, außer für Max, nur kleine Portionen, so daß man satt, aber nicht übersättigt war. Die ausgesuchten Weine paßten hervorragend und rundeten das Menü perfekt ab.
Carla saß glücklich zwischen Florian und Max Trenker. Es war ein wunderschöner Abend in einer herzlichen Atmosphäre. Sie genoß das gute Essen, die geistreiche Unterhaltung und, hin und wieder, die Berührung Florians, wenn seine Hand nach ihrer tastete.
Zum Abschluß brachten Claudia und Sophie Tappert große Glasteller herein, auf denen ein wahres Kunstwerk angerichtet war: Nockerln von Vanilleeis, das natürlich von der Haushälterin selbst zubereitet worden war und nicht etwa gekauft, mit Mokkaschaum leicht überzogen, dazu kleine, süße Himbeeren und Minzeblätter.
Ein würdiger Abschluß dieses Schlemmermahls.
*
Auf dem Saal des Hotels herrschte das übliche Gedränge. An die dreihundert Leute waren hergekommen und wollten für ein paar Stunden die Sorgen des Alltags vergessen. Carla und Florian wurden eingeladen, am Tisch der Honoratioren zu sitzen, an dem Sebastian und Max ihre Plätze hatten.
Der Bauernsohn hatte aufmerksam umhergeschaut und erleichtert festgestellt, daß Annette Hamberger nicht zu sehen war. Sie hatte ohnehin keinen Dienst an diesem Abend, aber das bedeutete ja nicht, daß sie nicht privat an dem Tanzvergnügen teilnahm.
Da es zum Essen schon Wein gab, bestellten sie erst einmal Mineralwasser und Apfelschorle. Allerdings hielt es die beiden Frauen nicht lange auf ihren Stühlen, und Florian und Max fanden sich recht bald auf der Tanzfläche wieder.
»Ich bin so glücklich!« rief Carla aus, als sie sich in Florians Armen drehte.
Er strahlte sie an. »Ich auch«, versicherte er. »Ich auch.«
Sie tanzten in der Nähe der Tische, an denen meistens die Bauern aus der Umgebung saßen. Eher zufällig sah die Arzthelferin, daß Florians Mutter ihr einen bösen Blick zuwarf. Unwillkürlich stockte ihr Schritt, und sie kam aus dem Takt.
»Was ist denn los?« fragte der Bauernsohn.
Carla wollte es ihm im ersten Moment erzählen, doch dann schüttelte sie den Kopf und tanzte weiter.
Florian hatte nichts mitbekommen, er hatte noch nicht einmal gesehen, daß seine Eltern an dem Tisch saßen, denn er hatte nur Augen für die Frau in seinen Armen.
»Wann wollen wir nach St. Johann fahren und das Grab deines Vaters suchen?« fragte er, als sie wieder an ihrem Tisch waren.
»Am liebsten wär’ ich schon heut’ gefahren«, gestand Carla. »Aber das ging ja net, wegen der Einladung bei Pfarrer Trenker.«
»Dann fahren wir eben morgen«, schlug er vor. »Am besten gleich nach dem Frühstück.«
»Kannst du denn da von zu Hause fort?« fragte sie zweifelnd.
Sie wußte, daß es auf einem Bauernhof immer etwas zu tun gab, egal ob Sonntag oder in der Woche. Die Tiere mußten auf jeden Fall versorgt werden, und sie wollte nicht, daß Florians Mutter ihretwegen ungehalten wurde.
Wenn sie es nicht ohnehin schon war…
Clara fragte sich nur, warum sie die Zielscheibe der bösen Blicke geworden war. Sie hatte der Frau doch nichts getan.
Je mehr sie darüber nachdachte, um so sicherer