»Hilfsbereit?« Melinda stampfte vor Wut mit dem Fuß auf. »Von wegen! Die sucht doch bloß einen Dummen, der ihr all die kleinen Unannehmlichkeiten abnimmt, vor denen sich ihr werter Ehemann drückt. Ich will das nicht, hörst du? Wenn du unbedingt etwas tun willst, dann tu es für mich.«
»Aber Mel«, versuchte Stephan beruhigend auf seine Verlobte einzuwirken, aber Melinda ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Den ganzen Vormittag habe ich hier allein herumgesessen«, warf sie ihm vor. »Dabei hatten wir doch eigentlich vereinbart, daß wir unsere Freizeit gemeinsam verleben wollen. Hast du vor, das jetzt die ganze Zeit über so zu machen?«
»Melinda, hör auf!« Stephan reichte es jetzt. Seit sie hier angekommen waren, hatte Melinda ständig etwas zum Nörgeln gefunden. Er hatte keine Lust, sich seinen kostbaren Urlaub von ihr verderben zu lassen. »Du hast heute morgen so schlechte Laune gehabt, daß ich lieber weggefahren bin und die Einkäufe getätigt habe, die dringend erledigt werden mußten. Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, der Kühlschrank ist leer. Also habe ich alles Notwendige besorgt.«
»Ach, dann hast du den Bollerwagen also für uns gekauft?« höhnte Melinda boshaft. »Und was sollen wir damit? Willst du dich da reinsetzen, und ich ziehe dich durch die Gegen?«
»Ich habe es dir schon einmal gesagt, der Bollerwagen gehört den Nachbarskindern und…«
»Ach, da kommen ja deine neuen Freunde.« Melina wandte sich ab und sah Roberta und den Kindern entgegen, die sich inzwischen bis auf wenige Meter genähert hatten. »Nun, dann viel Spaß. Du wirst sicherlich gerne den Babysitter für die beiden spielen. Du bist ja sooo hilfsbereit.«
Stephan sog tief die Luft ein und biß die Zähne dann so fest aufeinander, daß die Kiefermuskeln schmerzten. Am liebsten hätte er Melinda angeschrien, daß sie sich ihre albernen Attitüden sparen und endlich zur Vernunft kommen sollte. Aber er beherrschte sich unter Auferbietung aller Kräfte.
Wenn er Melinda anbrüllte, machte er alles noch viel schlimmer. Besser war es, er schluckte seinen Zorn hinunter und wartete, bis sie endlich wieder normal war. Dann konnte man vielleicht auch vernünftig mit ihr reden.
Sie musterte Roberta mit ei-
nem spöttisch-beleidigenden Blick, machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte ins Haus, während die Kinder mit lautem Freudengeheul ihren Bollerwagen in Besitz nahmen.
Roberta sah indessen Melinda unter zusammengezogenen Brauen hinterher. Die Dame schien auch während der Freizeit nicht auf ihren gewohnten Luxus verzichten zu wollen. Die hochhackigen Goldsandaletten hätten eigentlich viel besser aufs Parkett des eleganten Wiesbadener Kurhauses gepaßt, als in diese Dünenlandschaft. Das hauchfeine Seidentüllkleid, das mehr enthüllte als es verbarg, stammte aus einem der führenden Modehäuser Frankfurts. Ein Modellstrandkleid, das sich nur die Créme de la Créme leisten konnte.
Alles in allem wirkte Melinda in ihrem extravaganten Outfit wie ein Pfau in einer Hühnerschar. Roberta fragte sich, weshalb das gewiß sehr anspruchsvolle Pärchen nicht in die Karibik geflogen war oder wenigstens auf Sylt weilte, wo sie unter ihresgleichen sein konnten.
Norderney war zwar auch nicht gerade billig, aber doch eher eine Familieninsel, wo man selber kochte und die Kinder tagsüber an den Strand zum Spielen schickte, damit sie ihre Bronchitis auskurierten.
Beinahe hätte Roberta ihre Frage laut gestellt. Im letzten Moment schluckte sie die Worte hinunter und wandte sich Stephan zu, der seiner Verlobten ebenfalls nachgesehen hatte. Seiner Miene war nicht zu entnehmen, was er dachte.
»Dann nochmals schönen Dank«, sagte Roberta und schickte sich an, den Kindern zu folgen. »Und schöne Zeit noch.«
Damit ging sie endgültig und war gleich darauf im Nachbarhaus verschwunden, wo die Kinder bereits lärmend ihre Badesachen und Schwimmtiere zusammensuchten und in den Wagen legten.
Zehn Minuten später sah Ste-phan vom Küchenfenster seines Hauses zu, wie das Trio davontrabte. Anni, die Schäferhündin, lief fröhlich bellend voraus, während der Bollerwagen, den die Zwillinge einträchtig miteinander zogen, hochbeladen über den unebenen Weg holperte.
Stephan wäre gern mitgegangen.
*
In den kommenden Tagen beruhigte sich das Verhältnis zwischen den Nachbarn etwas. Roberta ging meist schon früh an den Strand, wo sie mit den Kindern den ganzen Tag über blieb und kehrte erst am Abend zurück, wenn die beiden vor Müdigkeit kaum noch laufen konnten.
Da blieb dann gerade noch Zeit, ein paar Spaghettis zu kochen oder Steaks auf den Grill zu werfen. Roberta hatte den Rost jetzt auf die andere Seite des Gartens gestellt, wo ihn Melindas Gartenschlauch nicht erreichen konnte, bevor die Zwillinge schon im Halbschlaf ins Bett fielen.
Von Stephan und Melinda sah Roberta daher nicht viel. Wenn sie mit den Kindern zum Strand ging, waren die Fensterläden des Nachbarhauses noch fest verschlossen. Kehrte sie abends zurück, machte das Haus einen verlassenen Eindruck. Erst spät, wenn Roberta auf der Terrasse die ruhigen Abendstunden genoß, sah sie das Paar manchmal, wenn es im Schein eines Windlichts im Garten saß.
Manchmal wehte der Wind ihre gedämpften Stimmen zu ihr her-über. Aber das war auch alles, was Roberta von den Nachbarn sah, beziehungsweise hörte.
Dann, an einem Samtagsabend, die Kinder schliefen bereits tief und fest und Roberta war mit dem Rad in die Stadt gefahren, um irgendwo in Ruhe ein Eis zu essen, da sah sie Stephan und seine Verlobte vor dem Eingang zum Spielcasino. Beide waren elegant gekleidet, er im Smoking, sie im Abendkleid, zwei sehr vornehme Leute auf dem Weg zu ihrem vornehmen Vergnügen.
Roberta sah den beiden einen Moment hinterher, dann schob sie ihr Rad in den Ständer und begab sich auf den Weg in die Innenstadt.
Doch der Anblick des Paares ging ihr irgendwie nicht aus dem Sinn. Stephan Hollrieder hatte verdammt schick ausgesehen in seinem Smoking. Er hatte tolle breite Schultern, die durch das Jackett noch betont wurden. Es hatte Roberta einen kleinen, schmerzhaften Stich versetzt, als sie zusah, wie Stephan Melindas Arm nahm, um sie den Weg entlang zum Haupteingang zu führen.
Die beiden paßten rein optisch wirklich hervorragend zueinander. So elegant und weltgewandt wie Melinda würde sie sich niemals bewegen können – ach ja!
Energisch vertrieb Robbi die Gedanken, aber sie kehrten doch immer wieder zurück. Leider verdarben sie ihr auch den Appetit auf das Eis, so daß sie schließlich unverrichteter Dinge wieder in das kleine Fischerhäuschen zurückkehrte.
In dieser Nacht schlief sie zum ersten Mal, seit sie auf der Insel weilte, sehr unruhig.
*
Das Windlicht verbreitete seinen goldenen Schein und überzog alles in seiner näheren Umgebung mit einem gelbgoldenen Schimmer. Die Büsche und Bäume im Hintergrund wirkten darum noch düsterer, aber diese Düsternis wurde von der leichten Seebrise gemildert, die durch den Garten strich.
Es war einer jener Sommerabende, die man am liebsten festhalten möchte. Ab und zu raschelte das Dünengras oder ein Tier seufzte im Schlaf. Und über alldem lag das ewige Rauschen des Meeres, das der Wind weit über die Insel hinwegtrug.
Roberta hatte gerade noch einmal nach den Zwillingen gesehen. Die beiden schliefen wie die Engel, mit roten Wangen, die kleinen Hände zu Fäusten geballt, so wie sie es schon als Babies getan hatten.
Jetzt saß Robbi auf der Terrasse und genoß die Abendstille. Das waren die schönsten Stunden des Tages. Sie liebte die Kinder und war gern mit ihnen zusammen. Aber wenn die kleinen Plappermäulchen endlich einmal verstummt waren, keine Füßchen durchs Haus trappelten, keine Türen knallten und keine aufgeregte Anni bellte, dann war das wie Balsam für die Nerven, die am Tage ab und zu doch ganz schön auf die Probe gestellt wurden.
Anni lag unter dem Tisch und genoß die Ruhe mindestens genauso wie ihr Frauchen. Aber jetzt hob sie den Kopf und spitzte die Ohren, um in die Nacht hineinzulauschen, die interessante Gerüche und Ge-räusche zu ihr trug.
»Wuff!«