Nur die Liebe Zählt
Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2018
Copyright Cartland Promotions 1987
Gestaltung M-Y Books
1 ~ 1890
Die Duchesse de Monreuil schritt mit der Grazie, für die sie in ganz Europa berühmt war, die Treppe hinunter. Der Hoteldirektor, der sich in der Halle aufhielt, eilte ihr entgegen.
„Guten Morgen, Madame“, begrüßte er sie auf Französisch.
Sie antwortete auf Portugiesisch, seiner und ihrer Muttersprache: „Guten Morgen, Senhor. Ein schöner Tag heute, nicht wahr?“
„Sehr schön, Madame. Die Sonne scheint überall, wohin Sie gehen.“
Als sie das Kompliment mit einem Lächeln quittierte, redete er weiter. „Der Wagen, den ich für Sie bestellt habe, wird in wenigen Minuten da sein. Möchten Sie im Salon warten, Madame?“
„Nein, ich warte lieber hier.“
Sie nahm in einem Sessel vor dem Schreibtisch Platz, der in der Mitte der großen Empfangshalle des Grand Hotels stand.
Das Kleid, das die Herzogin trug, stammte ganz offensichtlich aus Paris. An ihren Ohren und den langen, schlanken Fingern funkelten kostbare Juwelen.
„Erzählen Sie“, forderte sie den Hoteldirektor auf. „Was ist in Lissabon geschehen, seit ich zum letzten Mal hier war?“
Schon während sie die Frage stellte, wußte sie, daß sie das besser nicht getan hätte.
Als sie seinerzeit in der Stadt gelebt hatte, die als die schönste in Europa galt, hatte sie Qualen erlitten, die sie zu vergessen wünschte. Zweiunddreißig Jahre waren seit damals vergangen.
Trotzdem erinnerte sie sich noch an jedes Haus und jede Straße, als ob es erst gestern gewesen wäre. An das blaue Meer, das in der Sohne glitzerte, die prächtigen alten Gebäude, die Blumen, die überall blühten. Besonders deutlich erinnerte sie sich an die Blumen, die die Händler in Körben rund um die steinernen Springbrunnen zum Verkauf anboten.
Als sie am vergangenen Abend eingetroffen und ihr der für Lissabon typische Geruch in die Nase gestiegen war, wußte sie, daß sie einen Fehler begangen hatte. Wenn sie ihrem ersten Impuls gefolgt wäre, wäre sie heute morgen auf der Stelle wieder abgereist und nach Paris zurückgekehrt.
Es hatte einiger Willenskraft bedurft, dieses Land noch einmal zu besuchen. Jetzt ließ es ihr Stolz, der einen Teil ihrer Charakterstärke ausmachte, nicht zu, vor sich selbst als Feigling dazustehen. Sie mußte den Geist, der sie schon so lange verfolgte, endlich zur Ruhe bringen, diesen Geist, von dem sie befürchtete, er würde ihr bis ans Ende ihrer Tage keine Ruhe lassen.
Sie hatte versucht, ihn zu vergessen, wenn man ihr in Frankreich, Monte Carlo, Griechenland, Ungarn, Wien und in London gehuldigt hatte. Sie hatte sich eingeredet, daß sie nicht an ihn denken durfte. Und doch war er immer dagewesen.
Wenn sie die Augen schloß, sah sie vor sich so deutlich sein schönes Gesicht, als ob es gestern gewesen wäre.
„Liebling, kleine Ines, ich liebe dich.”
Seine tiefe Stimme klang ihr nach den vielen Jahren immer noch in den Ohren.
„Du bist mein, ganz und gar mein. Ich bin der einzige Mann in deinem Leben.“
Prophetische Worte, die sich als wahr erwiesen. Obwohl sie nicht mehr die Jüngste war, war es ihr nicht gelungen, sich von ihm zu lösen.
Mit einiger Mühe kehrte sie aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurück.
„Können Sie meine Neugier befriedigen?” fragte sie den Hoteldirektor, der neben ihrem Sessel stand. „Wer lebt jetzt, nachdem der Marques Juan de Oliveira Vasconles tot ist, im Palace da Azul?“
„Sein Sohn, Madame, der Marques Alvaro.“
„Sein Sohn? wiederholte die Duchesse. „Ich wußte nicht, daß er einen Sohn hat.“
„O doch, Madame. Der Marques Alvaro ähnelt seinem Vater sehr. Gebildet, gutaussehend, charmant ... ich denke, er muß inzwischen über dreißig sein.“
„Ich hatte ja keine Ahnung“, sagte sie leise.
„Madame, haben Sie den Marques Juan gekannt, als Sie damals hier waren?“
Die Duchesse schloß sekundenlang die Augen. Dann antwortete sie mit einer Stimme, die ihr selbst fremd in den Ohren klang: „Ja ... ich bin ihm begegnet.“
„Dann werden Sie sich bestimmt noch an ihn erinnern. Er sah phantastisch aus, wenn er eines seiner Pferde ritt.“
„Und der neue Marques - sein Sohn?“
„Er gleicht in jeder Beziehung seinem Vater. Die jungen Männer im Lande bewundern ihn als Reiter. Seine Pferde gewinnen bei den wichtigsten Rennen alle Preise.“
Der Hoteldirektor setzte lächelnd hinzu: „Wir sind sehr stolz auf den Marques Alvaro, genau wie wir stolz auf seinen Vater waren.“
Wieder schloß die Duchesse die Augen. Im Geist erblickte sie den Marques Juan, wie der Hoteldirektor ihn beschrieben hatte. Er saß auf einem mächtigen schwarzen Hengst und kam geradewegs auf sie zugeritten.
Als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, schien er direkt von den Bergen heruntergekommen zu sein. Nicht von ungefähr glaubten die einfachen Leute, daß dort die Götter wohnten. Ines hatte ihn immer als einen Gott betrachtet, von dem Augenblick an, als sie ihn zum ersten Mal gesehen, er sie in die Arme genommen und sein eigen genannt hatte.
Kein Mädchen, sei es auch noch so unschuldig und unerfahren, hätte dem Marques Juan widerstehen können.
„Vielleicht möchte sich Madame bei Ihrer Ausfahrt den Palace da Azul anschauen“, schlug der Hoteldirektor vor. „Er ist noch eindrucksvoller als früher. Der neue Marques hat sich die Renovierung einiges kosten lassen. Vor allem die Gärten sind einzigartig schön.“
Die Duchesse seufzte. Sie hatte die Gärten mit den Marmorspringbrunnen, deren Wasserfontänen in der Sonne in allen Regenbogenfarben funkelten, nicht vergessen.
Plötzlich schien der Duft der weißen und rosafarbenen Kamelien die Luft zu erfüllen. Juan hatte behauptet, die Götter hätten diese Blüten als passenden Hintergrund für ihre Schönheit geschaffen.
Da gab es japanische Brücken, Felsengärten, Pavillons und Grotten. An jedem einzelnen dieser Orte hatte Juan sie geküßt.
In den Gewächshäusern hatte er Orchideen für sie gepflückt, von denen es keine an Schönheit mit ihr aufnehmen konnte, wie er ihr ins Ohr geflüstert hatte.
Ja, sie erinnerte sich noch gut an den Palace da Azul mit seinen gotischen Zinnen, arabischen Minaretts, Renaissance Kuppeln und Terrassen.
Es war ein Märchenschloß gewesen und Juan der Märchenprinz, der darin lebte.
Niemals würde sie die heißen Sommer vergessen, die sie zusammen dort verbracht hatten.
Nur wenn seine Verwandten ihn besuchten oder wenn er zur Rennsaison seine aristokratischen Freunde einlud, wurde sie in das kleine Haus am Fuße des Hügels verbannt. Dort wurde sie von ein paar freundlichen älteren Dienstboten versorgt, bis sie wieder mit Juan vereint war.
Später wußte sie, daß sie in einer Traumwelt gelebt hatte. Wie ein Kind hatte sie sich nie darüber Gedanken gemacht, daß der Tag kommen mußte, an dem sie mit der Realität konfrontiert würde.
Juan hatte sie nach Paris mitgenommen und ihr Kleider und Juwelen geschenkt, wie sie sie in ihren kühnsten Träumen nie zu besitzen gehofft hätte. Sie hatte sich damit geschmückt, um für ihn schön zu sein.
Auf seiner Jacht hatten sie ausgedehnte Reisen in fremde Länder unternommen. Rückblickend konnte sie sich kaum noch