Alle guten Geister…. Anna Schieber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anna Schieber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066112202
Скачать книгу
Das litt der Mann nicht? Das Gepimpel mit dem Kleinen, sagte er? Ist er die Mutter oder du?

      Es war auch noch nicht getauft, nicht wahr? Es war doch schon acht Wochen alt? Ihr hattet keine Zeit, weil Ostern so nahe war und Konfirmation und sonst noch allerlei Festliches; da blühte das Geschäft. Das ging ja vor, natürlich, man konnte es später taufen. Dazu ist es nun viel zu spät. Man kann nicht wissen, kein Mensch weiß, was aus dem kleinen Seelchen geworden ist. Und du bist schuldig. Doch, das bist du.“

      So redete die Krankheit, die in dem Gewand der Schuld mit der jungen Frau hier hereingekommen war. Da schloß sie die Augen, um sie nicht zu sehen. Aber das nützte nichts. Sie drang auch durch die Lider. Sie war überall und immer wach. Es war ein dunkles, dunkles Haus, in dem die Frau saß. Da schickte sie ihre irren hilflosen Gedanken aus, um etwas Licht hereinzubringen. Aber sie verstanden es nicht. Einer kam und sagte: „Irgendwo ist Gott, du mußt beten.“ Der wußte, daß ein Licht sei. Aber er konnte es nicht hereintragen. Da fing die Frau an: „Wenn wir in großer Angst und Pein, und wissen nicht wo aus und ein, und finden weder Hilf noch Rat“; da gingen alle ihre Gedanken rundum und wußten immer nur bis zu dieser Stelle zu sagen. Das währte eine lange Zeit. Da fand sie eines Morgens die Wärterin, wie sie ein kleines Bündel aus Tüchern sorgfältig zusammenwickelte und es an die Brust drückte. „Schlaf, Kindlein, schlaf,“ sang sie leise. Das tat sie nun immer. Sie ließ das Bündel nicht mehr aus den Armen, niemand durfte es berühren. Seitdem weinte sie nicht mehr. Sie sang und lächelte, und trug das Bündel umher. Wenn sie nicht hie und da mit großen, suchenden Augen, wie in sich selbst hineinschauend gestanden wäre, so hätte man nun denken können, sie habe es aufgegeben, nach Licht auszugehen. Aber auch das kam nur noch selten vor.

      Da, nach Jahren, kam einer mit einer blanken Axt, der hatte den Auftrag, ihr die Wände ihres dunklen Hauses einzuschlagen. Er zerstörte es nicht ganz und gar auf einen Hieb. Er stieß ein Loch hinein, da flog viel Staub und Lehm und Mörtel davon, und etwas Helle kam zu dem Bewohner herein. Dann wartete er ein paar Tage. Er war kein Feind, er handelte, wie schon gesagt, im Auftrag, und nun sollte er seinen letzten, stärksten Hieb noch sparen. Vielleicht wäre das Licht sonst gar zu blendend gewesen, wer kann das wissen? Also wartete der Tod noch. Es kam eine Krankheit an die junge Frau, eine von denen, die man eine Erlösung nennt, weil sie rasch und sicher die Körperkraft aufzehren, und ein sanftes Ende der Pein bringen. Sie hatte ein paar Tage im Fieber gelegen und fast nichts geredet. Nun schlug sie die Augen auf; es war mitten in der Nacht. Oder, es ging schon etwas gegen den Morgen hin. Das Fenster stand offen. Draußen in den Bäumen wehte ein sachter Wind, sie rauschten leise. Die Welt lag in tiefem Schlaf, es war ganz still ringsum. Die Kranke hob den Kopf ein wenig und wandte die Augen nach dem Fenster. Da stand der Morgenstern hoch am Himmel über den Baumkronen. Die waren in tiefem Schatten, oben aber leuchtete in der fast durchsichtigen Glocke des Sommernachthimmels der Stern in wunderbarem Glanz. Den hatte sie lang nicht gesehen. Sie hatte in den trüben Nächten ihrer Krankheitsjahre keine Augen für die Schönheiten der Welt gehabt; sie hatte immer ins Dunkel gesehen.

      Sie strich sich über die Stirn. Da war so etwas Freies. War da nicht ein Band gewesen? Wo mochte das hingekommen sein? Wer war sie, und wo?

      Da sah sie das Gitter am Fenster; hinten in der Stube brannte ein kleines Nachtlicht, nur eines Funkens groß. Aus dem anstoßenden Gemach, dessen Tür offen stand, verkündeten kräftige Atemzüge, daß dort jemand schlief, das war die Wärterin. Auf dem Stuhl am Bett lag ein Paket, aus Tüchern zusammengebunden, mit einem Band umwickelt. Da kamen ihr die Gedanken wieder, schreckhaft und schwer. Aber doch anders, als seit langem. Sie griff nicht nach dem Bündel. Die Furcht, die ihr ans Herz kroch, war die Furcht vor etwas Gewesenem. Ob es vorbei war? Ob das abziehende Schatten waren, die wie wogende Nebel durch ihren Kopf zogen? Abziehende und nicht kreisende, die nur einen Augenblick frei ließen, um dann wieder desto fester einzuziehen? Wie war das nur? Sie war so müde, sie konnte kaum eine Hand rühren. Aber als sie so hinaussah in die stille Sommernacht, und das milde Licht des Sterns auf ihr Lager fiel, da versuchte ihr Geist, sich zu regen. Man weiß nicht, was sie erlebte, bis der Morgen kam. Der Arzt sagte, als er die Veränderung sah, das sei von dem Fieber. Aber, sagte er draußen, das helfe nun nichts, denn die Lebenskraft sei am Erlöschen. Das sei hie und da, daß solch ein heller Schein komme vor dem Ende. Denn sie lag mit einem stillen, sanften Gesicht da, und in den Augen war geistiges Leben, kein irres Flackerlicht mehr. Und sie hatte vorhin gefragt, wie das denn sei, sie habe doch zwei kleine Buben, und, nach einigem Zögern, und einen Mann? Die lebten ja doch noch? Und klagte, mit einem Lächeln, das wie um Entschuldigung bittend war, daß sie sich auf nichts recht besinnen könne, ihr Kopf sei so müde. Da ging der Tag so hin, und gegen den Abend sagte sie, schüchtern wie ein Kind, das zaghaft eine Bitte tut, von der es denkt, daß sie ungeheuer sei, — ob das denn möglich wäre, daß die Ihrigen herkämen? Oder ob das gar zu weit sei? Denn sie wußte nicht recht, ob sie in der gleichen Welt lebe mit denen, nach denen ihr aufwachendes Ich mit seinen ersten Regungen verlangte.

      Ja, sagte man ihr, das könne freilich wohl sein. Gut könne das sein, sie solle ruhig einschlafen und morgen werden sie wohl da sein, denn es gehe heut in der Nacht noch ein Brief ab.

       Inhaltsverzeichnis

      Den folgenden Tag haben die Ehrenspergerskinder mit allen Einzelheiten im Gedächtnis behalten. Es war der Feiertag Petri und Pauli, und sie zogen so recht in der Morgenfrische aus, um den Kirschbäumen in der Wingerthalde einen Besuch zu machen. Jungfer Liese sah ihnen mit Behagen nach. Sie hatte beiden Brüdern tags zuvor das Haar glatt abgeschoren und sie heute, den Kirschbäumen zulieb, in verwaschene Drilchkleider, mit neueingesetzten Ellbogen und Hosenböden gesteckt. Es rührte sie in ihrem eigenen Busen, daß sie dem Herrn Vetter, der ja ihr Nächster unzweifelhaft war, so getreulich „sein Gut und Nahrung helfe fordern und behüten“. „Denn,“ sprach sie zu sich selbst, „wo viel ist, will mehr hinkommen,“ und meinte damit die Ehrenspergershabe, deren Vermehrung sie mit erbautem Gemüt zusah. Sie glaubte nicht befürchten zu müssen, daß ihr dieser erfreuliche Lebenszweck abhanden komme, auch nicht im Fall, daß, wie sie sagte, „unser Herrgott nun richtig ein Einsehen habe, wie das ja an der Zeit sei mit der Frau.“ Denn der Herr Vetter war allmählich ein bißchen bequem, und ein bißchen sehr korpulent geworden, und er ließ sich die brave Fürsorge der Jungfer Liese sowohl für sich selbst als für sein Haus immer behaglicher gefallen. Es muß bezeugt werden, daß sie nicht daran dachte, die Nachfolgerin der ersten Frau zu werden. So hoch verstiegen sich ihre Gedanken nicht. Das wäre ja außer aller Standesordnung gewesen und solche Durchbrechung der bürgerlichen Schranken begehrte sie nicht für sich. Auch war ihr jüngst der letzte breite Schaufelzahn, der noch ihren Oberkiefer geschmückt hatte, entfallen. Das gemahnte ans Altwerden, wie das fallende Laub an den Winterschlaf der Natur. Es sollte ihr lieb sein, wenn alles seinen Gang weiterging, und daß das geschehe, hoffte sie mit Zuversicht.

      So waren die Gedanken, die sie den Söhnen des Hauses nachsandte, freundlicher und gedeihlicher Art und kamen auch nicht ans Stocken, als an der Ecke noch Gertrud und Lore sich zu den Beiden gesellten. Warum sollten sie sich nicht Gesellschaft mitnehmen? Die Kirschbäume standen zum Brechen voll, es kam auf ein paar Spatzen mehr oder weniger nicht an. Als die leuchtenden blaugrauen Flicken, das Werk ihrer Hände, verschwunden waren, kehrte sie ins Haus zurück.

      Es führte ein steiler Weg zwischen Weinbergen zu der sonnigen Höhe empor, auf der das Baumgut lag. Georg wußte später noch genau, als ob ihm das lebendige Bild vor der Seele stünde, wie ihnen beim Aufsteigen die hellroten Herzkirschen aus dem grünen Laub entgegenleuchteten, gleich einem freudigen, ersprießlichen Lebenszweck, der dem Wanderer zuruft: „Hoch, immer höher, Mühe ist nichts, Schweiß ist nichts, denn hier bin ich, hier oben. Nun komm.“

      Das und anderes gehörte für ihn zu dem Inhalt des Tages, der ihm in seinem Verlauf noch einmal und dann nicht wieder seine Mutter zeigte und der ihm darum kostbar vor andern Tagen war. Er konnte es die wenigen Male, die er in seinem Leben davon redete, nur schwer unterdrücken, alle Einzelheiten dazu zu erzählen.

      Er mußte von diesem Tag zehren, so oft sein Herz zu seiner Mutter wollte. Da konnte er nichts entbehren, was damit zusammenhing.

      Zwei