Die Häuser von Falmouth waren graue, schweigende Klötze in der Nacht. Nur hier und dort wurden eine Gasse oder ein kleiner Hof durch Laternen erhellt. Auf den Kais war kaum ein Mensch zu sehen, keine Neugierigen rotteten sich zusammen, es war nichts los in Falmouth. Aber auf Arwenack-Castle würde bald etwas los sein, das hatte sich Hasard geschworen.
Ja, er wollte jetzt seine ungeheure Schatzbeute endlich dorthin bringen, wohin sie gehörte: nach London, zu Ihrer Majestät Elizabeth I., Königin von England. Drei Viertel, so hatte er beschlossen, sollte sie erhalten, den Rest wollte er unter der Crew verteilen. Nach dem wüsten Überfall durch Crocker und seine Komplicen waren sie aus der Bucht bei Bude an der Nordküste von Cornwall ausgelaufen. Das war vor vier Tagen gewesen. Sie hatten Land’s End gerundet, waren mit halbem Wind aus Südost bis nach Lizart Point gesegelt und hatten dann fast nördlichen Kurs nehmen können, also auch einen weniger mühseligen Törn.
Hasard hätte nun direkt nach London segeln sollen. Aber vorher wollte er die Sache mit Sir John Killigrew erledigen. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, jetzt aufs Ganze zu gehen. Seinem vermeintlichen Vater wollte er die Leviten lesen und sich für all die Intrigen, die Heimtücke und die Angriffe bedanken, mit denen der Alte ihn traktiert hatte.
Außerdem wollte er ihn endlich über seine eigene Herkunft befragen. Ein Geheimnis lag über dem Namen Philip Hasard Killigrew. Sir John nannte ihn einen Bastard, Shane hatte gesagt, daß er, Hasard, kein „echter“ Killigrew sei. Was hatte es damit auf sich?
Nun, Hasard wußte, daß er die Höhle des Löwen betrat. Sir John hatte ihm übel mitgespielt, weil er ihn haßte und nach der Schatzbeute der „Isabella“ gierte. John Malcolm, der Narr, hatte Hasard auf dem Weg von Portugal nach Plymouth töten wollen, und Big Old Shane hatte ihn deswegen erschlagen, wie er es schon damals, auf Arwenack, prophezeit hatte.
Deswegen hatte Sir John Rache geschworen. Er vergaß, daß er alles nur sich selbst und seinen dunklen Machenschaften zuzuschreiben hatte. Er vergaß, was Hasard für ihn getan hatte. Er war ein Mann, der nur den eigenen Vorteil kannte und dafür über Leichen ging.
Hasard störte dies alles nicht. Er blickte zur Kuhl, wo seine Crew vorsichtshalber Posten hinter den Geschützen bezogen hatte. Ein Ruf genügte, und die Stückpforten würden fallen. Dann spuckten die 17-Pfünder Tod und Verderben und deckten Falmouth mit einem wahren Geschoßhagel ein. Hasard hatte eine Mannschaft von eisenharten Kämpfern, auf die er sich verlassen konnte. Und außerdem genoß er den Schutz einer Kriegskaravelle Ihrer Königlichen Majestät, auch wenn deren Kapitän nur ein Bootsmann war. Sullivan hatte gezeigt, was er zu leisten imstande war. Und er war ein treuer, kompromißloser Verbündeter, der selbst eine Stinkwut gegen Sir John hegte.
Die Schaluppe wirkte lächerlich klein im Vergleich zur Galeone und Karavelle. Aber sie trug zwei Drehbassen, und unter der kundigen Führung von Carberry hatte sie im Kampf gegen die spanischen Eindringlinge vor Pendennis Castle ja auch bewiesen, wie bedeutend ihre Unterstützung werden konnte. Bei der Auseinandersetzung mit Crocker und dessen Halunken war sie allerdings nicht zum Einsatz gelangt, da hatte sie vertäut am Ufer der versteckten Bucht bei Bude gelegen. Da Stenmark, Matt Davies, Al Conroy und Gary Andrews sie in Plymouth sozusagen „gekauft“ hatten, wollte aber auch jetzt keiner auf die Schaluppe verzichten. Was man bezahlt hatte, dazu noch mit Diamanten und Perlen, ließ man nur ungern im Stich.
Hasard sah, daß sich auf den Kais nun doch ein paar Schaulustige eingefunden hatten. Würde jemand auf die Idee verfallen, Sir John zu warnen? Hatte man sie schon erkannt? Egal – Hasard kehrte nicht um und änderte auch nichts an seinem Plan.
Immerhin liefen zwei Neugierige zur Außenpier, bereit, die Leinen der Schiffe wahrzunehmen. Hasard ließ die Segel aufgeien. Er korrigierte den Kurs und gab noch einen kurzen Ruderbefehl an Pete Ballie. Dann glitt die „Isabella V.“ im sanften Auslauf entlang der Pier. Die beiden Wurfleinen flogen hinüber, die beiden Männer auf der Pier fingen sie auf und holten sie Hand über Hand durch. Die an die Leinen angesteckten Trossen klatschten ins Wasser, wurden herangezogen und um klotzige Holzpoller belegt.
Die „Isabella“ lag im Hafen von Falmouth fest.
Hasard wartete nicht erst darauf, daß auch die „War Song“ und die Schaluppe das gleiche Anlegemanöver vollzogen. Er hatte seinen Platz auf dem Achterdeck bereits verlassen und eilte zur Kuhl hinunter. In seinem Gurt steckte die doppelläufige sächsische Reiterpistole, die er einem bretonischen Freibeuter abgenommen hatte. Der Degen in seinem Wehrgehänge und der Dolch, den er trug, waren frisch geschärft. Er war zum Landgang bereit.
Seine Männer blickten ihn erwartungsvoll an. Daß es jetzt dem alten Killigrew an den Kragen ging, war ganz nach ihrem Geschmack.
„Kommt jetzt“, sagte Hasard zu den fünfen, die er ausgewählt hatte. „Wir dürfen keine Zeit verlieren. Ehe hier überhaupt jemand richtig kapiert, was läuft, müssen wir von Bord sein und in der Dunkelheit untertauchen.“
Der junge Dan O’Flynn grinste. „Aye, aye, Sir. Ich kann’s kaum erwarten, Sir Johns verdattertes Gesicht zu sehen.“
„Gib bloß auf dich acht, du grüner Hering“, sagte sein Vater. „Wenn ich vernünftig laufen könnte, hätte ich euch begleitet, denn schließlich hab ich mit dem alten Schlitzohr und Halunken auch noch ein Hühnchen zu rupfen. Aber ich wäre euch bloß hinderlich. Nehmt jedoch wenigstens meinen Rat an: Hütet euch vor Sir Johns Tücken. Er kennt tausend Tricks.“
„Das geht in Ordnung“, erwiderte Shane. „Du vergißt, daß ich mit von der Partie bin.“
Hasard war auf der Gangway und huschte an Land. Shane, Dan, Stenmark, Batuti – der riesige Gambia-Neger – und Matt Davies folgten ihm dichtauf. Der alte Donegal Daniel O’Flynn sah ihnen richtig entsagungsvoll nach. In diesem Moment verfluchte er, daß er ein Holzbein hatte und mit zwei Krücken durch die Weltgeschichte laufen mußte. Was hätte er darum gegeben, so beweglich wie die anderen zu sein! Er hätte Sir John am Kragen gepackt und die ganze Schlechtigkeit aus ihm gebeutelt, die in ihm steckte. Schließlich hatte er es dem alten Schurken zu verdanken, daß er von den Spaniern bis nach Santo Domingo auf Hispaniola verschleppt worden war. Nach dem gelungenen Überfall der Dons auf Falmouth im Jahre 1578 waren mehr als ein Dutzend Gefangene zuerst nach Spanien, dann zur Zwangsarbeit in die Karibik gebracht worden, und Sir John hatte sich einen Ast gelacht und sich den Teufel darum geschert – Hauptsache, er wurde nicht behelligt! Wenn der Seewolf und seine Crew die Gefangenen nicht aus dem Kerker von Santo Domingo befreit hätten, säßen sie heute noch dort.
Donegal Daniel O’Flynn und Big Old Shane, der auch mit zu den Gefangenen gehört hatte, hatten sich seitdem offen gegen Sir John Killigrew gewandt und fuhren nun unter Hasard.
Die Gestalten von Hasard und seinen fünf Begleitern wurden von der Nacht geschluckt. Die Männer, die auf der Außenpier die Wurfleinen und Trossen in Empfang genommen hatten, blickten ihnen etwas verblüfft nach. Dann aber wurde ihre Aufmerksamkeit durch die „War Song“ gefesselt, die nun auch die Leinen warf.
Fünf, sechs Neugierige aus Falmouth hatten sich auf der Außenpier eingefunden. Aber keiner von ihnen stellte Fragen über den davoneilenden Trupp bewaffneter Männer. Noch verfiel keiner auf den Gedanken, hier könnte sich etwas Unheilvolles zusammenbrauen.
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