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Susanne träumte. Sie träumte von ihrer Hochzeit mit Jonas, sah sich am Altar stehen – gekleidet in diesen Traum aus weißer Spitze, den sie vor einigen Tagen in einem Modejournal gesehen hatte.
Jonas stand neben ihr… nein, er ging weg. Er ging und ließ sie stehen… einfach so. Ohne ein Wort zu sagen… Sie hörte ganz deutlich die Kirchentür ins Schloß fallen.
Als sie sich nach ihm umdrehen wollte, konnte sie das nicht. Sie war nicht in der Lage, den Kopf zu bewegen. Sie konnte sich gar nicht bewegen!
Panik erfaßte sie, und obwohl diese furchtbare Szene nur in ihrem Traum stattfand, wurde die junge Frau so unruhig, daß die junge Lernschwester Sina, die man ihr als Sitzwache ans Bett gegeben hatte, Alarm auslöste.
Wenig später kam Dr. Julia Martensen, und nachdem sie den Zustand der Schwerkranken kontrolliert hatte, gab sie ihr noch ein leichtes Beruhigungsmittel, und Susanne konnte wieder tiefer schlafen.
»Armes Ding«, murmelte die Ärztin. »Sie hat den Leichtsinn ihres Freundes teuer bezahlen müssen.«
Schwester Sina sah auf. »Das ist doch der Rennfahrer, nicht? Jonas Johannson heißt er.«
»Stimmt. Und er hat den Unfall ohne allzu schwere Verletzungen überstanden. Allerdings gibt es Zeugen dafür, daß er die Kreuzung zu schnell überfahren hat. Der Unfallgegner ist zwar der Hauptschuldige, aber… Herr Johannson als versierter Autofahrer hätte besser reagieren können, wenn er nicht so gerast wäre.«
»Er hat wohl seinen Privatwagen mit dem Rennwagen verwechselt«, meinte Schwester Sina, die überhaupt nichts für Autos übrig hatte. Sie fuhr Rad, und in ihrer Freizeit ging sie reiten. Ein Hobby, für das sie ihr letztes Geld ausgab.
»Passen Sie weiter gut auf, Schwester Sina«, bat die Ärztin. »Und alarmieren Sie mich sofort, wenn sich der Zustand von Frau Burgmer verändert.«
»Selbstverständlich, Frau Doktor.« Sina nahm wieder ihren Platz dicht am Krankenbett ein. Sie legte Susanne leicht die Hand auf die unruhig über die Bettdecke gleitenden Finger, und tiefes Mitleid mit der Patientin überkam sie.
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Der Eingriff dauerte jetzt schon über zwei Stunden. Die Instrumentenschwester reichte dem Operateur gerade die letzte Klemme, und eine unsterile Schwester tupfte ihm den Schweiß von der Stirn.
Das war nicht ungewöhnlich. Jeder Operateur schwitzte während seiner Arbeit. Das kam teils durch die große Konzentration, teils durch die hellen OP-Lampen, die Hitze verströmten.
»Nähen«, wies Dr. Winter seinen Kollegen jetzt an und machte ein paar kleine Schritte vom Tisch zurück.
Dr. Schäfer übernahm seinen Platz und begann, die einzelnen Hautschichten sorgfältig zu vernähen. Dann legte er noch eine Drainage, durch die das Wundsekret abfließen konnte.
Als auch das erledigt war und auch der Anästhesist seine Arbeit beendet hatte, konnte der Patient zur Aufwachstation gebracht werden. Hier würde Dr. Roloff weiter betreuen und dafür sorgen, daß er die lange Narkose gut verkraftete.
»Sieht so aus, als hätte der Mann Glück im Unglück gehabt«, meinte Adrian Winter, als er sich gemeinsam mit den Kollegen im Vorraum von der beschmutzten OP-Kleidung befreite.
»Ja, sieht so aus. Und ich wünsche es ihm von Herzen«, sagte Dr. Schäfer. »Aus seinen Papieren geht hervor, daß er von Beruf Architekt ist. Wäre ziemlich schlimm für ihn, wenn er eine Behinderung zurück behielte. Ein Architekt muß beweglich sein, muß auf Baustellen herumlaufen und auf Gerüsten klettern können.«
»Wir haben jedenfalls getan, was in unserer Macht stand«, gab Adrian zurück. Dann sah er auf die Uhr. »Mein Gott, schon neun Uhr am Abend!«
»War dann wohl mal wieder nichts mit einem pünktlichen Feierabend«, kommentierte Dr. Schäfer.
»Da hast du recht. Jetzt mache ich noch rasch eine kleine Visite, dann ist aber endgültig Schluß für heute.« Damit verließ er die OP-Abteilung und machte sich auf den Weg zu den Patienten, die ihm für einige Tage oder Wochen anvertraut waren.
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Seit zehn Tagen lag Susanne Burgmer jetzt bereits in der Kurfürsten-Klinik, und erst heute kam Jonas Johannson zum ersten Mal zu Besuch.
Er betrat die Klinik durch einen Seiteneingang, weil er nicht wollte, daß irgend jemand auf ihn aufmerksam wurde und vielleicht sogar die Presse informierte. Bisher war es ihm und seinem Manager gelungen, die Meldungen über den Unfall ziemlich klein zu halten. Niemand ahnte, daß Susanne schwer verletzt worden war. Offiziell hieß es, der Rennfahrer sei mit ein paar Schrammen, seine Beifahrerin und Freundin mit einem harmlosen Knochenbruch davongekommen.
Als er die Station, auf der Susanne lag, erreicht hatte, wickelte Jonas die lachsfarbenen Rosen aus dem Papier.
Eine junge Krankenschwester kam schüchtern auf ihn zu. »Darf ich Ihnen das Papier abnehmen, Herr Johannson?« fragte sie.
»Danke.« Jonas zögerte. Er überlegte, ob er die Schwester um Diskretion bitten sollte, entschied sich aber dann dagegen. Wenn er so tat, als sei es ganz normal, daß er einen Krankenbesuch machte, gab es sicher auch keine Spekulationen.
Er überlegte nicht einen Augenblick lang, daß es eigentlich nichts Selbstverständliches gab, als daß er sich um Susanne kümmerte, die schließlich durch seine Schuld so schwer verletzt worden war. Außerdem hatte er ja selbst ein paar Tage lang in der Klinik gelegen, einige der Pflegerinnen kannten ihn genau.
Jonas jedoch machte sich keine Gedanken darüber, was andere empfanden oder mutmaßten. Er dachte nur an sich, an seinen Ruf, seine Karriere. Und so fragte er die junge Schwester mit charmantem Lächeln: »Wenn Sie möchten, können Sie ein Autogramm bekommen. Was soll ich schreiben?«
»Für Jasmin«, hauchte Schwesterschülerin Jasmin Magert und wurde vor Verlegenheit rot.
Jonas nahm eine seiner Autogrammkarten aus der Jackettasche und schrieb das Gewünschte darauf. Als er das Blatt der jungen Frau reichte, meinte er: »So, und jetzt muß ich zu meiner Freundin. Sie wartet sicher schon auf mich. Wissen Sie zufällig, wie es ihr geht?«
Jasmin schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, das weiß ich leider nicht. Mit so schweren Fällen bin ich noch nicht betraut. Aber wenn Sie möchten, kann ich Dr. Winter für Sie ausfindig machen, er kann Ihnen bestimmt das Meiste sagen. Oder die Oberschwester. Sie betreut Frau Burgmer oft selbst.«
»Danke, aber nicht nötig«, winkte Jonas rasch ab.
Das Blut stieg ihm zum Herzen. Susanne ging es also so schlecht, daß nur bestens geschultes Personal zu ihr durfte. Mein Gott, wie sollte es mit ihnen weitergehen? Er mochte nichts mit Krankheiten zu tun haben. Er hatte eigentlich ja nicht mal Zeit gehabt, heute herzukommen. Das Training in Budapest wartete. Bei dem Unfall war er selbst schließlich auch verletzt worden und hatte ein paar Tage hier in der Klinik liegen müssen. So war wertvolle Trainingszeit verlorengegangen. Die galt es jetzt aufzuholen.
Aber… so ganz konnte er Susanne nicht abschieben. Sie gehörte irgendwie ja doch zu seinem Leben. Er liebte sie… oder – hatte er sie geliebt? War dieses Gefühl bei dem Unfall zerstört worden?
Jonas war viel zu feige, um sich diese Frage ehrlich zu beantworten. Er wußte nur, daß er ein schlechtes Gewissen hatte, weil er sich bisher nicht um Susanne gekümmert hatte, die doch durch seine Schuld hier liegen mußte. Aber da war noch dieser Tumorverdacht, von dem Dr. Winter gesprochen hatte… ob er sich erhärtet hatte? Ob Susanne inzwischen wußte, wie es um sie stand?
Wenn du dich gekümmert hättest, wüßtest du Bescheid und müßtest jetzt nicht so elend hier herumstehen, schimpfte er im Geist mit sich selbst. Doch dann gab er sich einen Ruck. Es half nichts – er mußte sich jetzt den Tatsachen stellen!
Er klopfte