Ferien an der Adria: Bilder aus Süd-Österreich. Jakob Christoph Heer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jakob Christoph Heer
Издательство: Bookwire
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Жанр произведения: Путеводители
Год издания: 0
isbn: 4064066113254
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Das war mein Onkel, und die vier Kinder, die sich an mich drängten, sein blühender Nachwuchs.

      Das Direktionshaus der erst vor wenigen Jahren gegründeten großen Baumwollspinnerei im Osten des Städtchens war mir nun während drei Monaten freundliches Asyl, wo ich herzliche Gastfreundschaft genoß.

      Ich war frei und von jeher kein Stubenmensch; ich suchte von Land und Volk so viel zu erfassen, als in der kurzen Frist möglich war. Hier die Eindrücke, mit denen mich das sonnige Meer, das üppige Tiefland, die grottendurchwühlten Berge, das italienische Volksleben, die mehr als zweitausendjährige Geschichte des österreichischen Südens gefesselt haben.

      »Du kleine Stadt, du weites Land, du blinkendes Meer, grüß euch Gott. Hier ist gute Wanderrast!«

      Als ich's rief – oder vielmehr war's nur ein halblauter Gedanke – stand ich auf einem jener steinigen Hügelrücken, welche vom innersten Winkel der Adria bis nach Görz und noch ein Stück weiter die nordadriatische Tiefebene begleiten. Ein klarer, wundervoller Morgen, wie ich während meines Aufenthaltes im Küstenland noch manchen, aber keinen schönern erlebt, lag über der regennassen Erde, die im Sonnenschein lächelte, wie ein Kind, dem noch die Tränen an den Wangen perlen.

      Mir zu Füßen lag, von West nach Ost, die kleine Stadt, und von dem großen, viereckigen Platz in ihrer Mitte tönte der Lärm des südlichen Marktes; allein nicht Stadt, nicht Markt fesselten mich; mein erster Blick war gebannt von jenem lieblichen Stück des »alten, heil'gen, ew'gen Meers«, welches bis gegen das Städtchen hin vordringt.

      Das ist der Golf von Monfalcone, der innerste Busen der Adria. An seiner felsenstarrenden Ostküste stehen die herrlichen Schlösser Duino und Miramare, weiter nach Süden, wo sich der Golf zur offenen See ausweitet, schimmert Triest an grünen Uferhügeln, und die dunkeln Küsten Istriens grüßen mit ihren blinkenden Hafenpunkten meerherüber.

      Dem Zauber des Meeres entzieht sich kein Sohn des Binnenlandes; denn es liegt etwas unendlich Träumerisches, Auflösendes im Anblick seiner ruhsamen, azurenen Flut, und immer wieder kehrt der Blick zu seinem sonnigverklärten Blau zurück.

      Allein kaum weniger mächtig reizte mich gebirgsgewohnten Mann die Ausschau auf die im Süden und Südosten sich unübersehbar dehnende, von keiner Erdwelle durchsetzte Ebene des untern Friauls, aus deren frühlingszartem Grün, wohin ich blickte, graziöse Kirchtürme gegen den tiefblauen Südhimmel aufstiegen. Am Horizonte dämmerte, zugleich Grabmonument einer der größten Römerstädte und weithin sichtbares Wahrzeichen des Friauls, der Campanile von Aquileja, der acht Jahrhunderte kommen und gehen sah.

      Meer und Tiefland sind schön durch ihre ahnungsvolle, träumerische Einförmigkeit; doch ebenso schön sind die Berge. In den wilden Häuptern der Alpen ist nichts Gleichartiges, da liegt in jeder Falte, in jeder Linie ein origineller Gedanke, wie ihn die geniale Natur gefaßt und zu Stein verhärtet hat.

      Die julischen Alpen sind zwar keine Schweizerberge, dafür fehlen ihnen die ewigen Firnen und die donnernden Gletscher, doch tragen sie bis weit in den Sommer hinein den Hermelin des Winters; sie stehen über den Hügeln des Karsts und den Fichtenwäldern des Tarnovanerwalds als achtungfordernde Pioniere nordischer Herrlichkeit und sind ein Schmuck der nördlichen Adria, gegen welchen die Südgestade dieses Meeres nichts zu vergleichen haben.

      Auf der höchsten Erhebung des Karstrückens, den ich erklommen, steht eine Ruine, ein runder Turm auf einem breitern, runden Grundbau. Das ist die Rocca von Monfalcone, die älteste Burg des Küstenlandes. Die Geschichte kennt nicht Ursprung, nicht Schicksal; die dichtende Sage aber verknüpft ihren Namen mit demjenigen Theodorichs, des Ostgotenkönigs. Ich kletterte über die äußere Mauerbrüstung und durchstöberte das einzige Gelaß der Burg; allein im Halbdunkel war außer vielem Schutt und einigen morschen Knochen nichts zu entdecken.

      Das war mein erster Spaziergang in Monfalcone, und nachmals bin ich noch oft auf die Höhe gewandert, um auszuschauen in die sonnigen Weiten; doch mein Lieblingsplätzchen wurde ein in der Nähe unseres Wohnhauses an den Hügel sich lehnender Garten, der früher einem Grafen Asquini gehörte, jetzt aber vernachlässigt ist. Da blühen ungehegt und ungepflegt Mandel- und Olivenbaum; Weinreben und Rosen ranken sich um die Stämme breitschirmiger Pinien, und im ungehindert wuchernden Grün stehen feierliche Zypressen. Mitten in die Romantik dieser Wildnis, in ein blühendes Lorbeerwäldchen, ließ ich mir ein Tischchen setzen. Da las ich in den Morgenstunden meinen Goethe, und er liest sich noch einmal so schön in dem ihm geistig heimischen Land.

      Manch eine Frucht seiner tiefen, geläuterten Lebensanschauung, um die ich im Norden vergebens rang, senkte sich unter dem grünen Laubdach leicht und zwangslos in die Seele.

      Dann wanderte ich hinunter in die Stadt, von der ich gerne viel Schönes und Interessantes schreiben würde; doch ist Monfalcone nicht anders als irgend eine italienische Kleinstadt der Lombardei oder der Toskana. Vor mancher andern zeichnet sie sich durch eine gewisse Reinlichkeit vorteilhaft aus, obwohl sich noch italienischer Absonderlichkeiten genug vor den Blick des Fremden drängen.

      Die alten römischen Städte hatten ihr Forum, die neuen italienischen, auch die kleinsten, wollen nicht ohne ihre »Piazza grande« sein. Auf derjenigen von Monfalcone steht, vielleicht in Nachahmung der drei Mastbäume auf dem Markusplatz zu Venedig, eine hohe Stange mit dem Wappentier der Stadt, dem Falken, auf der Spitze.

      Es erinnert daran, daß die Burg, jene verwitterte Rocca, im Mittelalter, als von der Longobardenzeit her noch ein deutscher Adel über die Gegend herrschte, die »Falkenburg« hieß. Ihren ins Italienische übersetzten Namen hat dann mit dem Emporkommen italienischer Volkselemente das Städtchen selber angenommen, während sein ursprünglicher deutscher – Neuenmarkt – in Vergessenheit geriet.

      Einige Gebäude unter dem Häuserviereck, welches die Piazza grande umschließt, sehen recht gedeihlich aus. Der schönste Schmuck des Platzes indes ist das in schlichtem Tempelstil gehaltene Stadthaus mit einem daran stoßenden kleinen Park.

      Das Kasino im Erdgeschoß des Gebäudes und die Vortreppe desselben bilden den Sammelort der vornehmen Welt von Monfalcone, doch beschränkt sich diese auf einige reiche Grundbesitzer, einige Rittmeister außer Diensten, einige Handelsleute und ein paar kleine Rentiers.

      Auf der Piazza entfaltete sich in den Morgenstunden ein lebhafter Markt, besonders stellen sich die Karstbauern mit ihren Fuhren von Wurzelwerk und Staudenholz ein; denn der Holzbedarf einer furlanischen Städterfamilie wird entweder täglich oder wöchentlich, selten aber durch große Einkäufe gedeckt. Der Mangel an diesem so unentbehrlichen Feuerungsmaterial ist fühlbar, die Qualität des Holzes sehr gering, da es fast ausnahmslos aus zehn- oder zwanzigjährigem Niederwald stammt. Längs des Stadthausparkes sind die Stände des Fischmarktes; doch kommen in Monfalcone selber nur die geringsten Sorten der Seeflosser, am häufigsten der Tintenfisch und der Aal, zum Verkauf; die schmackhafteren wandern fast alle auf binnenländische Märkte, besonders nach Wien.

      Östlich von der Piazza liegt der Kern des Städtchens, ein Viereck älterer Gebäude. Aus der Mitte steigt der Campanile der Parochialkirche, ein zierlicher Bau, dessen achteckiger Helm von acht Säulen getragen wird. Vier schöne Glocken schimmern zwischen denselben durch.

      Ich war entzückt, als ich das reine volle Geläute zum erstenmal hörte, allein es hat den Fehler eines Plauderers: man hört es zu viel; es ist keine Stunde in der Morgenfrühe, keine im Tag und keine am Spätabend, wo nicht Glockenklänge über das Städtchen hallen. Dazu hat der Italiener eine bewundernswerte Virtuosität, Mannigfaltigkeit in die Tonregister des Geläutes zu bringen, eine Virtuosität, die in abgebrochenen kurzen Klängen und in wimmerndem Gebimmel das Höchste leistet.

      Nur in der Charwoche, wenn die katholische Christenheit auch den Bilderschmuck ihrer Kirchen mit Tüchern verhängt, blieben, ein hübsches Sinnbild der Trauer, die Glocken stumm. Selbst der Stundenschlag hörte auf; aber an seine Stelle trat das weithin tönende Geklapper einer im Glockenhaus aufgestellten Maschine, das von der mit Handklappern durch das Städtchen schwärmenden Jugend verstärkt wurde.

      Am Ostende des die Kirche umschließenden Quartiers ist eine schöne Kastanienallee, die von der Zeit an, wo sie in der Pracht ihrer rötlichen Blütenkandelaber steht, bis in die letzten