Eugen Luchs betrat die Halle. Aus dem Wintergarten hörte er die kreischende Stimme des Papageis Habakuk, der mit Begeisterung seine Künste zum besten gab. Mit einem Lächeln auf den Lippen klopfte er an die Tür des Biedermeierzimmers.
»Herein!« Denise war kaum überrascht, als der Schriftsteller vor ihr stand. »Halb und halb haben wir Sie schon heute erwartet, Herr Luchs. Ich freue mich, dass Sie heil wieder bei uns sind. Ihre Erlebnisse in Kärnten waren ein wenig anders als geplant.«
Eugen Luchs küsste Denises Hand. Er verehrte diese schöne gütige Frau aufrichtig. »Dafür bringe ich Ihnen die kleine Gudrun Namenlos, Frau von Schoenecker. Beinahe erscheint es mir fraglich, dass sich die Herkunft des Kindes je herausstellen wird. Deshalb war es mir wichtig, Gudrun zu Ihnen zu bringen.«
»Das haben Sie gut gemacht, Herr Luchs.«
»Es war nicht ganz einfach. Aber ich habe einen friesischen Dickschädel und setze ihn im Allgemeinen auch durch. Genau wie Nick bin ich felsenfest davon überzeugt, dass heimatlose Kinder nirgends auf der Welt besser aufgehoben sind als hier in Sophienlust bei Ihnen.«
»Danke. Das haben Sie lieb gesagt, Herr Luchs. Wo steckt denn Gudrun? Ich möchte sie begrüßen.«
»Die Kinder haben sie mit in den Wintergarten genommen. Peggy hat ihr von Habakuk erzählt. Deshalb wollte sie den Papagei sofort sehen.«
»Das Eis ist also bereits gebrochen, wie mir scheint.«
»Peggy und Gudrun verstehen sich ausgezeichnet. Sie kennen ja Peggys betuliche Art. Trotzdem kommt bei Gudrun immer wieder die Sehnsucht nach ihrer Mutter durch. Das wird wohl ziemlich lange dauern.«
»In der großen Gemeinschaft vergisst sich ein Schmerz leichter als anderswo, Herr Luchs. Wir wollen versuchen, die kleine Gudrun wieder glücklich zu machen.«
Denise ging in den Wintergarten. Die Kinder umringten sie und vergaßen Habakuk, der eben seine schönsten Schimpfworte herunterrasselte. Es war eine beachtliche Sammlung.
»Was soll die arme Gudrun denn von uns denken?«, schalt Denise lachend. Freundlich beugte sie sich zu dem kleinen Mädchen hinab und schloss es in die Arme. »Ich bin Tante Isi und habe dich lieb, Gudrun. Willst du bei uns in Sophienlust bleiben?«
Gudrun schaute sie zutraulich an.
»Bis meine Mutti kommt, Tante Isi«, sagte sie leise.
Denise strich über das weiche Haar des Kindes. »Ja, Gudrun, bis deine Mutti kommt.«
»Nick, altes Mistvieh«, keifte Habakuk höchst unfeierlich.
Gudrun lachte silberhell. »Er ist komisch, Tante Isi. Er bringt alle zum Lachen. Und jetzt möchte ich die kleinen Pferde sehen.«
»Klar, wir zeigen sie dir«, rief Henrik. »Kommt ihr alle mit?«
Die große Kinderschar verschwand mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Denise führte Eugen Luchs wieder ins Biedermeierzimmer und gab einem jungen Mädchen den Auftrag, Tee zu bringen.
»Auf eine gute Tasse Tee bei Ihnen hier in diesem Zimmer habe ich mich gefreut, Frau von Schoenecker«, gestand der Schriftsteller, als er das duftende Getränk vor sich hatte. »Nirgends schmeckt der Tee so gut wie bei Ihnen.«
»Haben Sie etwas Heimweh nach Sophienlust gehabt, Sie unsteter Vagabund?«, scherzte Denise.
»Das habe ich oft, wenn ich unterwegs bin. Doch allzu lange hält es mich trotzdem nicht hier. Ich stamme wahrscheinlich von Zigeunern oder anderen Nomadenvölkern ab und wurde rein zufällig auf der Hallig Hooge geboren. Schon als Junge war ich voller Unruhe und wollte in die Ferne.«
Denise nickte ihm zu. »Ich weiß es, Herr Luchs, Ihrem Fernweh verdanken wir viele schöne Bücher und Erzählungen. Mein Mann und ich rechnen es uns zur besonderen Ehre an, dass Sie Ihren zeitweiligen Wohnsitz hier genommen haben.«
»Sie stellen die Dinge auf den Kopf, Frau von Schoenecker. Das Stückchen Land, das mir von Ihrem Gatten für meinen Wohnwagen zur Verfügung gestellt wurde, könnte ich niemals mit Geld bezahlen. Ich stehe tief in Ihrer Schuld.«
»Sophienlust wäre um eine wichtige Attraktion ärmer, wenn es Ihr Fleckchen Swasiland nicht gäbe, Herr Luchs. Peggy erinnert es an ihre Heimat in Afrika, und für die übrigen Kinder ist es der wunderbare Wohnsitz auf Rädern, in dem der Märchenonkel seine herrlichen Geschichten schreibt. Sie müssen mir versprechen, dass Sie immer wiederkommen, auch wenn Ihre Reisen Sie noch so weit wegführen sollten.«
Eugen Luchs sah Denise fest in die dunklen Augen. »Ich verspreche es, Frau von Schoenecker. Peggy wird größer. Bald muss sie in die Schule. Dann kann ich sie nicht mehr auf meinen Fahrten mitnehmen. Die Liebe zu diesem Kind wird mich immer hierher zurückführen. Deshalb kann ich mein Versprechen mit gutem Gewissen abgeben.«
»Ich bin überglücklich darüber, Herr Luchs. Wollen Sie Peggy jetzt bei uns lassen?«
»Sie soll selbst darüber entscheiden. Ich verlange nicht von ihr, dass sie meine Einsamkeit im Wohnwagen teilt.«
»Ihr Zimmer ist immer bereit. Sie kann wählen.«
Peggy betrachtete sowohl den Wohnwagen ihres Pflegevaters als auch Sophienlust als ihre Heimat. Sie fühlte sich hier wie dort zu Hause, denn sie wusste, dass sie überall gern und mit Liebe aufgenommen wurde. Ihre traurige Vergangenheit, den Tod ihrer Eltern, hatte sie längst überwunden. Es genügte ihr, dass das hübsche Plätzchen, auf dem der Wohnwagen seinen Standplatz hatte, den Namen Swasiland trug.
Damit war die Brücke zur fernen Heimat geschlagen.
Nach einer zweiten Tasse Tee gingen Denise von Schoenecker und Eugen Luchs zu den Kindern, die sie bei den Ställen fanden.
Nick hatte mit Hilfe von Justus, dem pensionierten Verwalter, einige Ponys gesattelt, und die Kinder zeigten ihre Reitkünste. Auch Peggy schüttelte die Reisemüdigkeit ab und schwang sich in den Sattel.
Ein wenig neidvoll, aber doch bewundernd, schaute Gudrun zu.
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