Blut!
Bei den Schüssen, die die Capone-Wächter nach dem Überfall aus ihren Maschinenpistolen auf den eigenen Wagen abgegeben hatten, war Frank getroffen worden.
Er hatte es die anderen beiden nicht merken lassen. Seltsam, daß er nicht umfiel, daß er noch auf den Beinen stehen konnte, wo das Geschoß doch in seinem Körper steckte. Aber das Bewußtsein, daß er getroffen war, vielleicht tödlich getroffen, hatte ihn so niedergeschmettert, daß er lautlos, ohne von den beiden bemerkt zu werden, Scarepas Wohnung verließ.
Die beiden bemerkten sein Verschwinden erst nach einer Stunde.
Ric gab Joe den Auftrag, nach ihm zu suchen. Aber Joe hatte keinen Erfolg.
Als der nächste Morgen graute, hatte Scarepa erneut den Auftrag von Ric bekommen, sich vorsichtig nach Frank umzusehen.
Scarepa verließ den Blinddarm, und an der übernächsten Straßenecke wurde er von einem hageren Mann, der in einem Schnellimbiß stand, entdeckt. Dieser Mann trug den namen James Mc-Lean. McLean gehörte seit anderthalb Jahren zur Capone-Gang. Er war zwar nur eines der Bauernmitglieder, wie man die unteren Leute nach Capones Beispiel vom Schachspiel zu nennen pflegte, aber er war ein gefährlicher Mann. Seine Wachsamkeit war vorbildlich. Nach dem Überfall auf die Buchmacherei in der Cicero Avenue hatte der große Boß persönlich Anweisung gegeben, die Täter um jeden Preis zu finden. Seitdem schwirrten Hunderte von Gangstern umher und suchten nach den drei Männern. Bekannt war ihnen nur Joe Scarepa – und den hatte der lange McLean jetzt entdeckt.
Der Bandit lockerte seinen Revolver im Schulterhalfter und gab dann einem Mann, der auf der anderen Straßenseite zeitunglesend an einer Haltestelle stand, ein Zeichen. Dieser Mann war der Gangster Aldo Porcees; mit richtigem Namen hieß er Porcese. Ein Italo-Amerikaner wie so viele Mitglieder der Capone-Gang.
Porcees und McLean folgten Scarepa unauffällig. Der ehemalige Schokoladenfabrikarbeiter nahm einen Bus in Richtung Stickney. Als er ihn verließ, waren die beiden, die einen Wagen zur Verfügung hatten, noch immer auf seiner Fährte.
Plötzlich blieb Joe stehen. In einer großen Spiegelscheibe hatte er den langen McLean entdeckt. Er erkannte ihn und begriff, daß er verfolgt wurde. In diesem Augenblick aber sah er auf der anderen Straßenseite einen Mann, bei dessen Anblick er die Furcht vor dem Capone-Gangster vergaß. Der Mann, der da drüben stand, jagte ihm einen siedendheißen Schrecken ein. Es war ein hochgewachsener Mensch von sicher 1,90 Größe, mit breiten Schultern und einer muskulösen Gestalt. Er hatte ein kantiges, scharfgeschnittenes Gesicht, in dem ein helles, waches Augenpaar stand. Unauffällig wirkten sein graubrauner Trenchcoat und sein grauer Hut. Aber Joe Scarepa hatte ihn erkannt: Zu oft hatte er in den Zeitungen schon das Bild des jungen FBI-Chefs gesehen; es war Eliot Ness!
Scarepa verschwand im nächsten Hauseingang, stieg über zwei Mauern, und als er Minuten später in einer Nebenstraße auftauchte, glaubte er, seine Verfolger abgeschüttelt zu haben. Aber das war ein Irrtum. Eliot Ness, der seinen Weg geahnt und selbst einen ganz ähnlichen genommen hatte, stand einen Türeingang weiter und verfolgte seinen Weg mit scharfen Augen. Als Scapera an der nächsten Straßenecke verschwand, verließ auch der Inspektor seinen Platz und folgte ihm. Es ließ sich nicht vermeiden, daß er dabei einen Kellerkiosk passierte, in dem ein untersetzter Mann mit einer Zeitung am Fenster stand und mit halb geschlossenen Augen die Straße scharf beobachtete.
Es war der Gangster Carlo »Charlie« Sommers, auch ein Halbitaliener und Mann der Capone-Gang. Ein kleines Licht bis zu diesem Tag – aber jetzt sah er seine Stunde gekommen. Zwar hatte er Scarepa nicht gesehen, wohl aber den G-man. Sofort verließ er den Kiosk und blieb ihm auf den Fersen.
Der Polizei-Offizier konnte den Verfolger nicht bemerken, da er selbst genug damit zu tun hatte, Scarepa nicht aus den Augen zu verlieren und Ausschau nach den beiden Gangstern zu halten, die vorhin hinter Scarepa her und jetzt wieder in seinem Blickfeld aufgetaucht waren: McLean und Porcees.
Joe mochte bemerkt haben, daß er weiter verfolgt wurde, schlug noch mehrere Haken und war schließlich nach einer halsbrecherischen Flucht im Hof des Hauses gelandet, nach dessen Hinterfront das Küchenfenster von Frank Dillingers Wohnung lag.
Er hatte von Ric den Auftrag bekommen, Frank zu suchen und augenblicklich zurückzubringen. Da er nicht wußte, wohin er sich sonst wenden sollte, hatte er den Weg hierher gesucht. Frank hatte ja schließlich nicht allzuviel Auswahl.
Daß Scarepa auf seinem Weg von einem Capone-Mann verfolgt wurde, hatte ihn anfangs natürlich erschreckt; aber das Auftauchen von Eliot Ness hatte ihm einen regelrechten Schock versetzt.
Als er den schmalen, gepflasterten Hof, der von himmelragenden grauen Hinterhausfronten umgeben war, betreten hatte, begann jene furchtbare Minute, die in der Kriminalgeschichte Chicagos unvergessen bleiben wird.
Es geschah vieles zu gleicher Zeit. Scarepa, der die Hofmitte etwa erreicht hatte, sah in diesem Augenblick drüben in der Tür zu Frank Dillingers Haus McLean auftauchen.
Beide feuerten sofort, und in der gleichen Sekunde schwang sich von rechts über die mannshohe Mauer der Gangster Procees.
Auch er schoß sofort. Aber da wurde oben aus dem Küchenfenster Frank Dillingers ein Schuß abgegeben, der Procees niederstreckte. Es war Frank selbst, der gefeuert hatte.
Eliot, der den Hof nur wenige Sekunden hinter Scarepa betreten hatte, war instinktiv über eine Hoftreppe, die zu einem Keller führte, gesprungen, duckte sich nieder – und keinen Augenblick zu früh, denn Charlie Sommers schoß gerade auf ihn.
Der FBI-Agent wirbelte herum, schnellte hoch und feuerte auf den Mann, der jetzt heranstürzte und eben versucht hatte, ihn in den Rücken zu schießen.
Der Bandit stürzte nieder.
Das Inferno in diesem Hinterhof hatte nur wenige Sekunden gedauert. Als sich der Pulverrauch legte, blickte Eliot Ness vorsichtig über den Rand der Kellertreppenbrüstung und sah rechts auf dem Pflaster die Gestalt des kleinen Gangsters Sommers liegen. Weiter vorn lag der lange McLean. Procees kauerte drüben an der Mauer.
Eliot nahm ihnen die Waffen weg und stellte fest, daß die beiden Männer, die von Frank Dillinger und Joseph Scarepa niedergeschossen worden waren, tot waren. Sommers gab noch Lebenszeichen von sich.
Mit entsetzensbleichen Gesichtern starrten die Menschen aus den Fensten in den Hinterhof hinunter.
Wo war Scarepa?
Er war nicht unter den Getroffenen, die im Hof lagen. Eliot ging auf die Hoftür zu, die zu Franks Haus führte und in das sich Scarepa hatte retten wollen. In diesem Augenblick gellte ein Schrei aus einer Frauenkehle in den Hof:
»Vorsicht!«
Instinktiv ließ der G-man sich wie ein Stein nach vorn fallen, rollte ab, und die beiden Geschosse, die der Mann, der jetzt an der Mauer drüben aufgetaucht war, auf ihn abgegeben hatte, klatschten über ihn weg auf die Terrazzosstufen, die zum Parterregeschoß führten.
Noch vom Boden her feuerte der G-man zurück.
Der Gangster Niles Riperta, der da plötzlich aufgetaucht war, bekam einen Stoß wie von einem Balken, wurde mehrmals um seine eigene Achse gewirbelt, prallte mit einem dumpfen Dröhnen gegen die Mülltonnen und rutschte zwischen ihnen nieder.
Eliot blickte an den Fassaden der grauen Hinterhäuser hinauf und hielt Ausschau nach der Frau, die ihn gewarnt hatte; er vermochte aber niemanden zu entdecken.
Mit raschen Schritten eilte er die drei Treppen zu Franks Wohnung hinauf.
Die Tür war nur angelehnt. Mit gezogenem Revolver schob er sie auf, betrat den düsteren, muffigen Korridor und stand dann in der Wohnzimmertür, die ebenfalls nicht ganz geschlossen war. Als er sie aufgeschoben hatte, hielt er inne. Denn das Bild, das sich ihm bot, ließ seinen Fuß stocken.
Drüben auf der abgewetzten alten Couch lag mit kalkigem Gesicht der Gerätevertreter Franklyn Dillinger. Neben ihm am Boden kniete eine Frau, die ihren Arm unter seinen Kopf geschoben und um seine Schultern