»Was sagte der Alte dazu? Er mußte euch doch gelegentlich beisammen sehen.«
»Du meinst den Oberst?«
»Ja, ihren Vater.«
»Er war zu Anfang und noch lange Zeit nachher ganz einverstanden. Er lud mich in sein Haus, und soweit ich erkennen konnte, sah er mit freundlichen Blicken mit an, wie sich Dagny und ich einander immer mehr näherten. Er scherzte auch gelegentlich und meinte, wir gäben einmal ein schönes Paar.«
»Warum hast du dann nicht um sie angehalten?«
»Das habe ich getan!«
»Und da hat er also dann ›nein‹ gesagt?«
»Durchaus nicht. Aber er unterbrach mich ganz freundlich und sagte, davon könnten wir später einmal reden. Wir beide, Dagny und ich, sahen die Sache als abgemacht an, und es wurden auch unserem beinahe täglichen Beisammensein keinerlei Hindernisse in den Weg gelegt. Wir hätten am liebsten sofort geheiratet, aber da der alte Herr auf die üblichen Formen hielt, wollten wir uns fügen und waren bereit, uns eine entsprechende Verlobungszeit gefallen zu lassen.
Aber da kam plötzlich die Veränderung in seinem Betragen mir gegenüber.
Wie genau ich mich dieses Tages erinnere! Es war am Abend vor nun gerade vierzehn Tagen. Die Sonne war am Untergehen, und es fing an, kühl zu werden. Ich ließ ›Eva‹, mein neues Reitpferd, satteln, denn ich wollte zum Oberst hinüberreiten, um heute noch einmal ein paar Worte mit meiner Braut zu wechseln. Ich hatte sie schon am Vormittag einige Augenblicke gesprochen, und wir sollten uns eigentlich erst am nächsten Morgen bei unserem gewöhnlichen Ausritt wiedersehen. Aber es war mir wie eine Ahnung. Ich trieb ›Eva‹ an, so sehr ich konnte, und schweißbedeckt langte sie vor der Haustür des Obersten an.
Als ich mich eben aus dem Sattel schwang, trat der Verwalter des Obersten zu mir. Der Mann heißt Hansen. An seiner verlegenen Art sah ich gleich, daß etwas los sein mußte.
›Wünschen der Herr Rittmeister den Herrn. Oberst zu sprechen?‹ fragte er.
›Ja‹, antwortete ich aus alter Gewohnheit. Natürlich wollte ich mit ihr sprechen und nicht mit dem Oberst.
›Komme ich vielleicht ungelegen?‹ fragte ich und erwartete die gewohnte Antwort: ›Durchaus nicht.‹ Denn ich kam sonst niemals ungelegen, ob der Oberst auf seinem Zimmer arbeitete, ob er aus dem Felde war oder eine von seinen kleinen vergnügten Gesellschaften hatte. Aber ich erhielt eine unerwartete Antwort.
›Der Herr Oberst empfängt heute nicht.‹
›So – na – warum denn nicht?‹
›Ich soll den Herrn Rittmeister grüßen und sagen, daß er nicht wohl sei. Er hat den Herrn Rittmeister durchs Fenster herreiten sehen.‹
›Na, na‹, dachte ich. ›Das ist wieder so eine von des Alten kleinen Launen. Da ist nichts zu machen.‹ Ich fragte daher den Mann:
›Wollen Sie mich dann bei dem gnädigen Fräulein melden?‹
›Das gnäd'ge Fräulein kann heute auch nicht empfangen.‹
Ich war so verblüfft über diese Antwort, daß ich die Zügel fallen ließ. Mein erster Gedanke war, daß sich meine Braut in dem naßkalten Frühlingswetter erkältet haben könnte.
›Liegt sie zu Bett?‹ fragte ich.
»Nein.«
›Dann möchte ich sie dennoch sprechen. Wollten Sie ›Eva‹ so lange halten, Hansen?‹
Aber Hansen, der ganz unglücklich und verlegen vor mir stand, machte keinerlei Anstalten, meinem Wunsch nachzukommen. Im Gegenteil, er machte Miene, mir in den Weg zu treten.
Ich begriff nicht, was das sein sollte. Meine Gedanken jagten sich. Sollte ich irgend etwas gesagt oder getan haben, das Mißfallen erregt hatte? Aber ich konnte nirgends einen Grund zu einem derartigen Mißverständnis entdecken. Zu einem war ich jedoch sehr rasch entschlossen: ich wollte nicht heimgehen, ehe ich ergründet hatte, wo das Mißverständnis steckte. Deshalb sagte ich zu Hansen:
›Gehen Sie sofort zum Herrn Oberst und sagen Sie ihm von mir, daß ich den Hof nicht verlasse, ehe ich mit ihm gesprochen habe.‹
Hansen murmelte etwas davon, daß er nur dessen Befehlen gehorche, ging aber doch ins Haus. Rasch kam er wieder zurück und meldete, daß der Oberst mich empfangen wolle.
Sofort ging ich ins Arbeitszimmer des Obersten, und dort wurde mir ein Anblick, der mich aufs tiefste erschreckte.
Vor wenigen Stunden erst hatte ich den Oberst gesehen. Da war er vergnügt und guten Mutes und auf seinem runden, gemütlichen Gesicht war kein Wölkchen zu sehen.
Jetzt stand ein gebrochener Mann vor mir. Seine Haare waren in Unordnung; er sah sehr blaß aus, und man hätte meinen können, er habe geweint. Der Kummer war deutlich in seinen Augen zu lesen. Noch niemals habe ich in so kurzer Zeit eine so schreckliche Veränderung im Aussehen eines Menschen wahrgenommen.
Ja, lieber Krag, wie soll ich dir jetzt nur den Inhalt unserer Unterredung mitteilen! Das stürzte über mich herein, und ich erinnere mich nur an eine entsetzliche Verwirrung, von der wir beide, der Oberst und ich, ergriffen waren.
Als ich bei ihm eintrat, kam er auf mich zu und streckte mir beide Hände entgegen.
›Sie zittern ja am ganzen Leibe,‹ sagte ich erschrocken. ›Ist Dagny etwas geschehen? Wenn sie sehr krank ist, so lassen Sie mich lieber gleich die ganze Wahrheit wissen.‹
›Nein,‹ stammelte er. ›Dagny ist nicht krank.‹
›Warum kann ich sie dann nicht sprechen?‹
›Weil Sie nicht können. Heute ist es unmöglich.‹
Ich fragte, ob ich irgendein Unrecht getan hätte. Da ergriff er meine beiden Hände und sagte: ›Keineswegs. Sie sind uns beiden sehr teuer. Aber jetzt müssen Sie gehen.‹
Ich wollte nur ungern den Gutshof verlassen und war sehr niedergeschlagen. Aber schließlich flehte mich der Oberst mit zitternder Stimme und verhaltenen Tränen an, zu gehen.
›Jetzt ist es sieben Uhr,‹ sagte er. ›Heute abend um zehn Uhr sollen Sie Nachricht von mir bekommen. Sie werden sehen, es kommt alles wieder in Ordnung.‹
Nun blieb mir nichts anderes mehr übrig als zu gehen. Aber ich verließ den Hof mit dem drückenden Gefühl, daß irgend etwas Unerwartetes und Entsetzliches geschehen sein müsse.
Ich schwang mich auf ›Eva‹ und ritt die Landstraße entlang, an den Fenstern des Herrenhauses vorüber.
Als ich an Dagnys Fenster kam, entdeckte ich ein helles Kleid dahinter, und die Vorhänge bewegten sich. Ich hielt mein Pferd an. Da verschwand das Kleid, und ich mußte weiterreiten. Es hatte angefangen zu dämmern.
Das war alles, was an jenem merkwürdigen Tage geschehen ist. Aber noch merkwürdiger war, was später geschah.«
Zweites Kapitel. Ein Unglückstelegramm
Rittmeister Ivar Rye schwieg und versank in trübe Gedanken. Krag weckte ihn nicht aus seiner Grübelei, sondern studierte einstweilen des Freundes Gesichtsausdruck. Merkwürdig, wie plötzlich der Freund dem Aussehen nach mindestens um zehn Jahre älter geworden war.
»Abends um zehn Uhr erhielt ich endlich Bescheid«, erzählte Rye weiter. »Es kam ein Bote von dem Obersten und brachte mir zwei Briefe; einen von ihm selbst und einen von dessen Tochter.
Beide Briefe strömten über von Sorge und Kummer.
Der Oberst schrieb, daß er heute die schwerste Stunde