Sie hatte nur zwei Zimmer. Der Salon war klein, aber sehr elegant. Möbel von der teuersten Art. Als der Detektiv den Luxus sah, mit dem sie sich umgab, fiel ihm ein, was man sich vor einigen Jahren von der gefeierten Schönheit erzählt hatte. Man flüsterte damals von dem Sohn eines der reichsten Männer der Stadt, der für sie im Laufe eines Jahres hunderttausend Kronen hinausgeworfen hatte, indem er sie mit Geschenken überschüttete. Vermutlich stammte dieses elegante Ameublement aus dieser goldenen Zeit.
Jetzt war sie also durch ihre Bekanntschaft mit dem Sekretär in eine neue Periode eingetreten.
Die Dame kam heraus und begrüßte Krag freundlich. Er konnte sich ganz gut denken, daß ein Mann, wie Sekretär Ström, eine heftige Leidenschaft für sie empfinden konnte. Sie war noch sehr schön, sie hatte große, strahlende, dunkle Augen und ein wunderbares Lächeln.
»Womit kann ich Ihnen dienen?« fragte sie. »Bitte nehmen Sie Platz.«
»Das Ganze ist in ein paar Augenblicken erledigt,« erwiderte Krag, »ich komme eben von dem Perückenmacher in der Grönlandstraße, von dem Sie sich die rote Perücke ausgeborgt haben! Er will sie wiederhaben.«
»Was sagen Sie da?« fragte sie, im höchsten Grade überrumpelt. »Ausgeborgt?«
»Ja, eben. Und er will sie nun wiederhaben.«
»Ja, wieso, die habe ich doch schon längst bezahlt.«
»Das kann ich mir wirklich nicht denken. Der alte Perückenmacher hat behauptet, daß Sie sie sich ausgeliehen haben.«
»Nein,« erwiderte die Dame bestimmt, »ich habe sie doch mit zwanzig Kronen bezahlt, als ich sie kaufte.«
Krag heuchelte Verblüffung. Er brachte einige allgemeine Redensarten vor, hier muß ein Mißverständnis vorliegen, bitte zu entschuldigen usw. Und entfernte sich schleunigst.
Er sah, daß das Mißtrauen der Dame erwacht war. Sie war unruhig und nervös geworden.
Als der Detektiv aus die Straße hinunterkam, warf er einen verstohlenen Blick zu dem Fenster der Varietédame hinauf.
Da stand sie hinter dem Vorhang und guckte zu ihm hinunter.
In demselben Moment, in dem ihre Augen sich begegneten, sah Krag, daß eine tödliche Blässe sich über ihr Gesicht verbreitete. Sie zog sich rasch vom Fenster zurück.
Ah, dachte Krag, sie versteht schon! Das hatte ich ja auch erwartet. Aber überrumpelt habe ich sie doch.
Er lief die Straße hinunter – dem nächsten Standplatz zu.
Jetzt heißt es, das Eisen schmieden, solange es warm ist, dachte er, die Zeit ist gekommen.
VIII
Die Verhaftung
Im Laufe von fünf Minuten war Krag im Polizeigebäude.
»Ist die Frucht reif?« fragte der Polizeichef.
Krag nickte.
»Ich habe die Dame mit den stahlblauen Handschuhen gefunden,« sagte er. »Sie ist sofort in die Falle gegangen.«
»Wie denn?«
»Ich fragte sie nach einer roten Perücke, die der alte Zigarrenhändler Corneliussen in der Grönlandstraße zwei Tage vor dem Mord einer Dame verkauft hat.«
»Ich beginne zu verstehen. Können wir zur Verhaftung schreiten?«
»Sicherlich. Und so bald als möglich.«
»Wer soll arretiert werden?«
»Sekretär Ström und die Varietedame Bella.«
»Wen wollen Sie übernehmen?«
»Ich nehme Ström.«
»Gut, so bin ich für die Dame verantwortlich. Wo wohnt sie denn?«
Krag sah auf seine Uhr.
»In einer Viertelstunde geht der Zug nach dem Süden,« sagte er; »ich denke, da können Sie sie treffen. Sie kennen ihr Aussehen?«
»Ja, aber reist sie denn ab?«
Der Detektiv lächelte.
»Ich habe Ihnen doch erzählt, daß sie in die Falle gegangen ist,« sagte er; »aber das ging so zu, daß ich mich gleichzeitig verraten mußte. Jetzt ahnt sie das Ganze. Wahrscheinlich wird sie verduften wollen.«
Der Polizeichef gab seine Weisungen.
»Geben Sie mir drei Mann mit,« bat Krag.
»Fürchten Sie, daß der Sekretär Widerstand leisten wird?«
»Nein.«
»Was wollen Sie dann mit drei Mann?«
»Das werde ich Ihnen schon später erzählen. Jetzt gilt es nur, sich zu beeilen.«
Der Detektiv bekam seine drei Mann, bestieg eine Droschke und fuhr in das öffentliche Amt, wo der Sekretär angestellt war.
Als Krag dort vorfuhr, sprang er selbst rasch aus der Droschke, während er die drei Polizisten zurückließ. Er gab ihnen eine Weisung.
»Fahrt so rasch als irgend möglich«, sagte er, »in die Wohnung des Sekretärs Ström.«
Er gab ihnen die Adresse.
»Legt auf die ganze Wohnung Beschlag. Laßt niemand hinaus und niemand hinein. Sorgt dafür, daß drinnen an nichts gerührt wird.«
Die Polizisten fuhren davon, und Krag eilte in das Amt.
Er kam zuerst in einen Vorraum. Von dort in ein großes Bureau. Vor einem Mahagonipult saß Ström und blätterte in einem Stoß Dokumente. Der Sekretär sah Krag mit seinen kalten, fühllosen Steinaugen ganz ruhig an.
Krag bat um eine Unterredung unter vier Augen, und sie gingen in den Vorraum.
»Nun,« sagte der Sekretär ungeduldig, »was will die Polizei von mir?«
Krag zuckte zusammen.
»Sie kennen mich also?« fragte er.
»Ja.«
»Sehr wohl. Ich komme, um Sie zu arretieren.«
Sah der Detektiv fehl, oder wich nicht für eine Sekunde alles Blut aus dem Gesicht des Sekretärs?
Aber im nächsten Augenblick zeigte er jedenfalls das unverhohlenste Erstaunen.
»Mich arretieren,« rief er, »das ist doch das stärkste Stück, das ich noch erlebt habe! Was will denn da die Polizei schon wieder für eine Dummheit anstellen?«
Asbjörn Krag zuckte die Achseln.
»Die Sache ist eilig,« sagte er, »ich muß Sie bitten, mitzukommen.«
»Selbstverständlich. Sie haben ja Ihre Order zu befolgen.«
Ein unendlich höhnisches Lächeln kräuselte seine Lippen.
Er holte seinen Ueberrock, und die beiden gingen zusammen aus dem Hause und die Straße hinunter. Sie sprachen kein Wort miteinander.
Als sie im Polizeigebäude angelangt waren, saß die Varietédame schon da, blaß, nervös, und starrte ängstlich vor sich hin.
Der Sekretär stutzte, als er sie erblickte, aber er behielt seine Fassung vollständig bei. Er murmelte nur etwas von »dieser Polizei, die nicht einmal Damen in Frieden läßt«. Der Polizeichef saß da und wartete auf Krag. Er war sehr ernst.
»Wo haben Sie die Dame getroffen?« fragte der Detektiv.
»In einem Coupé erster Klasse des Kontinentalzuges, zwei Minuten