Dem Andenken an meinen Freund Charles L. Grant gewidmet.
Kapitel 1
Höret!, verkündete der Oktoberwind, der durch die Straßen von New York wirbelte und fegte. Ich habe eine Geschichte zu erzählen! Eine Geschichte darüber, wie sich die Witterung und das Geschick der Menschen ändern! Ob dieser da, der spindeldürre Gentleman, sich gegen mein Wüten auf den Beinen halten kann, bis ich ihn an die Wand schmettere – oder ob jener dort mit dem gewaltigen Bauch schnell genug sein wird, um seinen Dreispitz zu fangen, den ich ihm vom Kopf fege! Rempelnd und heulend rausche ich durch die Stadt, und welches schnelle Pferd wird mich überholen können?
Keins, lautete Matthew Corbetts gedachte Antwort.
Genau! Zollt meinem Kommen und Gehen Respekt, und seid Euch gewiss, dass sich etwas Unsichtbares als eine Macht erweisen kann, die kein Mensch zu beherrschen vermag.
Daran hegte Matthew keinerlei Zweifel, denn er hatte den Teufel zu tun, seinen eigenen Dreispitz auf dem Kopf zu behalten und sich von den Böen nicht umwerfen zu lassen.
Es war fast acht Uhr dreißig an diesem Donnerstagabend in der zweiten Oktoberwoche. Der junge Mann war in einer Mission unterwegs. Ihm war gesagt worden, dass er sich um halb neun an der Ecke von Stone Street und Broad Street einfinden sollte, und wenn ihm seine Haut lieb war, würde er sich wie befohlen zur Stelle melden. Hudson Greathouse, seinem Partner und alteingesessenem Mitarbeiter der Herrald Vertretung, war dieser Tage nicht danach, Matthew im Unklaren darüber zu lassen, wer das Sagen hatte und wer … es stimmte schon … der Sklave war.
Allerdings, so dachte Matthew im Sturmschritt während seines Kampfes mit dem Wind auf der Queen Street, wo die in eine Richtung gehenden Einwohner gegen unsichtbare Wände prallten und andere in entgegengesetzter Richtung wie Bündel leerer Kleider an ihm vorbeieilten, hatte der harsche Umgangston von Greathouse in letzter Zeit mehr mit Berühmtheit als Sklaverei zu tun.
Denn Matthew war berühmt.
So aufgeblasen, wie Ihr tut, passt Euch bald der Hut nicht mehr, sagte Greathouse seit der Lösung des Rätsels um die Königin der Verdammten beständig.
Doch, antwortete Matthew dem Mann dann so ruhig wie möglich, denn der stürzte sich auf jedes heftige Wort wie ein Stier aufs rote Tuch. So passt er mir gut. Das reichte nicht aus, um den Stier zum Angriff zu bewegen, aber es veranlasste ihn in unheilvoller Erwartung späterer Gewalt zu schnaufen.
Es stimmte. Matthew war tatsächlich eine Berühmtheit. Seine Heldentaten des Sommers, als er auf der Suche nach der Identität des Maskenschnitzers auf Chapels Landsitz dem Tod nur knapp entronnen war, hatten dem Zeitungsherausgeber Marmaduke Grigsby genügend Material für einen Riesenstapel Ohrenkneifer geliefert und das Blatt beliebter als die Hundekämpfe Samstagsabends an der Peck Werft gemacht. Der erste Bericht, gleich nach dem Ende des Abenteuers im Juli verfasst, war zurückhaltend und sachlich genug gewesen – dank Hauptwachtmeister Gardner Lillehornes Drohungen, die Druckerei niederzubrennen. Doch nachdem Marmadukes Enkelin Berry ihren Teil an dem Ganzen geschildert hatte, heulte der alte Schreiberling vor Matthews Haus vor Verzweiflung fast den Mond an – wobei es sich bei Matthews Behausung bloß um ein möbliertes Kühlhäuschen hinter Grigsbys eigenem Heim und der Druckerei handelte.
Anstandshalber und der Vernunft wegen hatte Matthew sich dagegen gewehrt, Einzelheiten der Geschichte preiszugeben. Doch mit der Zeit war seine Schutzhaltung geschwächt und schließlich überwältigt worden. In der dritten Septemberwoche war Die unsägliche Geschichte der Abenteuer unseres Matthew Corbett mit garstigsten Bösewichten und der Gefahr eines gräulichen Todes, Teil eins gesetzt und gedruckt worden, und Grigsby stand vor Fleiß und Einbildungskraft förmlich in Flammen.
Am Tag vor Erscheinen der Zeitung war Matthew ein dreiundzwanzig Jahre alter Mann gewesen, den das Schicksal und die Umstände vom verwaisten New Yorker Straßenjungen zum Gerichtsdiener und dann zum Ermittler der in London gegründeten Herrald Vertretung befördert hatten. Am folgenden Nachmittag rannte ihm eine immer größer werdende Menschentraube hinterher, die ihm Federn, Tintenfässer und Ohrenkneifer hinhielt, damit er seinen Namen quer über das erste Kapitel des Abenteuers schreiben konnte, das er kaum noch wiedererkannte. Anscheinend hatte Marmaduke einfach alles erfunden, was er nicht wusste.
Als in der vorigen Woche der dritte und letzte Teil herauskam, war Matthew von einem einfachen Einwohner der im Jahre 1702 fast fünftausend Köpfe zählenden Stadt New York zu einem Ritter der Gerechtigkeit geworden, der nicht nur den Zusammenbruch der Kolonialwirtschaft verhindert, sondern auch alle jungen Mädchen der Stadt vor Schändung durch Chapels Schergen bewahrt hatte. Quer durch einen verrottenden Weinberg sei er mit Berry um sein Leben gerannt, verfolgt von fünfzig Mördern und zehn dressierten Geiern. Und er habe mit einem Trio von blutdürstigen preußischen Schwertkämpfern gefochten. Nun ja, in diesen ausgedachten Geschichten steckte tief ein Körnchen Wahrheit drin, doch es rankten sich die Auswüchse von Fantasie drumherum.
Nichtsdestotrotz war die Serie ein Segen für Grigsby und den Ohrenkneifer, und es wurde nicht nur in den Schänken, sondern auch an den Brunnen und Pferdetrögen diskutiert. Man erzählte sich, dass eines Nachmittags sogar der Gouverneur Lord Cornbury am Broad Way beobachtet worden war, wie er, zur Huldigung seiner Base Queen Anne mit blonder Perücke, weißen Handschuhen und Weiberkleidern herausgeputzt, verzückten lilafarben angemalten Auges die neueste Ausgabe las.
An der Kreuzung von Queen Street und Wall Street umwirbelte ein forscher Windstoß Matthew mit einem Geruchsbouquet aus Fisch, Teereimern, Werftpfählen, Vieh und Futter, dem Inhalt der aus den Fenstern auf das Straßenpflaster gekippten Nachttöpfe und dem bittersüßen gärenden Geruch des East River. Wenn Matthews sich schon nicht im Herzen von New York befand, dann zumindest in der Nase der Stadt.
Der Wind hatte in vielen der an den Straßenkreuzungen hängenden Laternen die Flammen ausgelöscht. Es war gesetzlich vorgeschrieben, dass jedes siebte Haus außen eine Laterne hängen haben musste, aber an diesem Abend war kein Mensch in der Lage, dem Wind zu befehlen, einen Docht zu verschonen – weder die ihre Runden ziehenden Wachtmeister noch ihr Vorgesetzter Lillehorne, trotz seiner Arroganz.
Das unaufhörliche Getöse, das um siebzehn Uhr begonnen hatte und keinerlei Anzeichen des Abschwellens zeigte, hatte Matthew zu dem philosophischen Gedankenaustausch mit dem brüllenden Sturm inspiriert. Jetzt musste er sich beeilen, denn selbst ohne die Silberuhr in seiner Westentasche zu konsultieren, wusste er, dass er um einige Minuten zu spät dran war.
Nun mit den Windböen im Rücken überquerte Matthew die Pflastersteine der Broad Street und erspähte im gequälten Licht einer noch flackernden Laterne seinen Zuchtmeister, der bereits auf ihn wartete. Ihre Amtsstube befand sich nur ein kleines Stück weiter in der Stone Street 7, eine schmale Stiege ins Dachgeschoss hoch. Dort spukten angeblich die Vormieter, die einander im Streit über Kaffeebohnen ermordet hatten. Matthew hatte in den letzten Wochen Knarzen und dumpfe Schläge gehört, aber er war sich sicher, dass das lediglich die Altersbeschwerden eines holländischen Gemäuers gewesen waren, das tiefer in die englische Erde sank.
Noch bevor Matthew Hudson Greathouse erreicht hatte, der eine Wollmütze und einen wie Rabenschwingen flatternden langen dunklen Mantel trug, kam dieser