MIDNIGHT SOLITAIRE. Greg F. Gifune. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Greg F. Gifune
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353343
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Hörer wieder auf, ohne ein Wort gesagt zu haben.

      Anschließend verlässt sie ihren Platz, nimmt das Geschirr mit und macht sich auf den Weg über den Flur, wobei ihre Absätze leise auf den Fliesen klicken.

      Am Ende stößt sie auf eine geschlossene Tür. Sie zögert nicht, sondern betätigt sofort mehrere Knöpfe auf einem Tastenfeld rechts daneben.

      Daraufhin öffnet sich die Tür leise, und sie geht in ein kleines, schwach beleuchtetes Zimmer hinein. Darin steht ein langer Versammlungstisch vor einer hohen, breiten Glasscheibe. Sechs Personen sitzen daran – fünf Männer und eine Frau – und unterhalten sich nervös vor Anspannung in einem gedämpften Tonfall. Vor ihnen allen liegen offene Aktenordner oder -Koffer, und während einer der Männer, der Älteste im Raum, eine Militäruniform trägt, scheinen die übrigen Anzugträger Zivilisten zu sein. Die Männer und die Frau sind älter – mindestens sechzig – doch einer, ein regelrechter Zwerg, ist etwas jünger, schätzungsweise Ende dreißig. Hinter der großen Scheibe herrscht nichts als Finsternis, und ihre geisterhaften Spiegelbilder lassen sich in dem schwarzen Glas kaum erkennen.

      Die junge Frau mit der Teetasse tritt nun hinter ihnen näher und stellt die Tasse mit dem Untersetzer vor einem aufgedunsenen Grauhaarigen mit Knopfaugen und ungesund teigig aussehender Haut ab. Er beteiligt sich nicht an dem Gespräch der anderen, sondern schaut gebannt auf die Fensterscheibe, so als versuche er, allein durch schiere Willenskraft ein Ereignis zu bewirken. Neben ihm steht ein rotes Telefon mit Wählscheibe, so wie jenes auf dem Schreibtisch draußen im Flur.

      Er scheint gar nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass die Frau ihm gerade seinen Tee gebracht hat.

      Sie dreht sich um und verlässt das Zimmer kommentarlos wieder.

      Dann erst greift der Mann zur Tasse, führt sie an seinen Mund – vorsichtig, als würde sie andernfalls zerbrechen – und nippt laut schlürfend daran. Nachdem er die Flüssigkeit hinuntergeschluckt hat, stellt er die Tasse ab, beugt sich nach vorn und stützt sein hängendes Kinn in einer Hand auf; sein Blick auf das Glas bleibt so stechend wie zuvor.

      »Ich darf jetzt um Ihre Aufmerksamkeit bitten«, sagt nun eine unnatürlich gelassene, monotone Frauenstimme aus einem Deckenlautsprecher. »Es beginnt.«

      Die anderen brechen ihre Konversationen sofort ab und wenden sich der Scheibe zu.

      Dahinter wird nun ein Raum sichtbar, der einem Operationssaal ähnelt.

      Auf einem Tisch in der Mitte liegt nackt und auf dem Rücken eine dunkelhaarige Frau. Sie ist bewusstlos und mit einem Schlauch intubiert worden, der zu einem Beatmungsgerät führt.

      Außerdem ist sie ganz offensichtlich über den achten Monat hinaus schwanger.

      Zwei

      Der Mann beeilt sich nach Kräften, indem er auf einem Bein humpelt und das andere hastig hinter sich herzieht; es schlackert dabei unbrauchbar hin und her, als wenn es gequetscht und gebrochen wäre, denn das ist es auch. Er schleppt sich trotz seiner quälenden Schmerzen immer weiter, so zügig wie er nur kann, also ganz und gar nicht schnell, und schleicht mitten auf der Straße vorwärts, an deren Mittelspur er sich orientiert, um im Dunkeln nicht vom Weg abzukommen, denn jetzt bei Nacht und einsetzendem Schneefall hält sich die Sichtweite schließlich sehr in Grenzen. Der Sturm kommt zwar gerade erst auf, doch schon jetzt gleiten dünne, gewundene Verwehungen über den Straßenbelag wie Schlangen aus Salz, die der Wind von einer Spur zur nächsten treibt. Er hat heftiges Herzklopfen, röchelt und leidet aufgrund der bitteren Kälte bereits unter Lungenstechen, bemüht sich aber dennoch, nicht zu husten, da irgendetwas tief in seinem Körper offenbar gebrochen ist. Er weiß instinktiv, dass dies seine Verletzung nur umso schlimmer machen würde. Er wagt jetzt einen schnellen Schulterblick zurück in die Dunkelheit. Keine Lichter. Keine Spur von jemandem, der ihm nachstellt, oder überhaupt irgendein Lebenszeichen, sondern nur pechschwarze Nacht, besprenkelt mit Schneeflocken und einem Atemhauch, der wie Dampf aus seinem Mund aufsteigt. Allerdings ahnt er, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist. Er weiß, sein Verfolger lauert dort hinter ihm in der Finsternis und spielt lediglich mit ihm, so wie die Katze die Maus bis zum äußersten Rand ihres Einzugskreises fliehen lässt, bevor sie zwanglos zuschnappt und ihr einfach das Genick bricht.

      Sein lahmes Bein schleift immer noch über den Asphalt, ein Geräusch, das sich mit seinem angestrengten Keuchen und dem gelegentlichen Stöhnen vor Schmerz vereint. Der pfeifende Wind geht ihm durch Mark und Bein, hallt über den ansonsten verlassenen Highway. Ein endloser Strom fiebriger Gedanken flutet jetzt seinen Geist: Bin ich wach? Geschieht das hier wirklich? Wo ist er? Wie weit liegt er jetzt zurück? Warum jagt er mich denn nicht mehr weiter? Worauf wartet er denn noch? Oder ist er vielleicht verschwunden? Habe ich es tatsächlich geschafft? Wird mich jemand retten? Früher oder später kommt bestimmt jemand hier vorbei, nicht wahr? Letzten Endes muss doch irgendwann ein Auto auftauchen und – Carey! Was ist mit Carey passiert? Oh mein Gott, Carey, wo … wo steckt sie jetzt? Hält er sie fest? Kümmert er sich deshalb nicht mehr um mich?

      Er hält kurz inne, vornübergebeugt, und während er zu verschnaufen versucht, schaut er zurück auf den langen Streckenabschnitt, den er bereits zurückgelegt hat. Dunkelheit, nichts als Dunkelheit. Langsam kehrt die Erinnerung an den Angriff wieder zurück … an den Wagen, der sie wie aus heiterem Himmel gerammt hat, und an die Schreie, während Carey an ihren Haaren in die Nacht hinaus gezogen wurde, als sei die Dunkelheit selbst zum Leben erwacht, um sie zu rauben. Sie trat wild um sich und rief laut um Hilfe, die aber nie kam. Ihm fällt wieder ein, wie er mit klingelnden Ohren und verschwommenem Blick, benommen und blutüberströmt aus dem Auto gesackt war, und dass der schwarze Wagen anschließend erneut zurückgekehrt war, aus der Finsternis schnellte und ihn dieses Mal erfasste. Die unvorstellbare Wucht beim Aufprall hatte ihn abheben lassen, und er entsinnt sich daran, wie eine Stoffpuppe auf die Straße geschleudert worden zu sein, wo er schließlich liegen blieb und hinauf in den Nachthimmel schaute, während er sich fragte, ob er jetzt an diesem Ort und auf diese Weise sterben müsse. Dann kam ihm Carey wieder in den Sinn, und ihm wurde klar, dass er unbedingt aufstehen musste – um sich zu bemühen, sie zu retten. Er strengte sich an, auf die Beine zu kommen, wobei er sich allerdings schwertat, nicht ohnmächtig zu werden, doch zu dem Zeitpunkt, als er sich in Bewegung setzen konnte und sich wieder einigermaßen zurechtfand, war sie schon längst fort und ihre Schreie nicht mehr zu hören. Gerade als er sich vollkommen allein wähnte, schälten sich plötzlich die Umrisse eines Mannes aus der Dunkelheit. Dieser kam mit langen, zielstrebigen Schritten auf ihn zu, während seine Schuhsohlen auf der Fahrbahn leise Geräusche verursachten und das Leder seines langen Staubmantels im Wind flatterte. Besonders eindrücklich im Gedächtnis geblieben sind ihm allerdings die Augen des Kerls: gelb und inhuman, unmöglich leuchtend in der Nacht.

      Von diesem Moment an weiß er nur noch, dass er weglief beziehungsweise so schnell davon hinkte, wie er nur konnte … schockiert und unter Schmerzen … überwältigt von Entsetzen und Verwirrung. Was ging da – was geht hier immer noch vor sich?

      Jetzt widmet er sich wieder dem langen Stück Weg vor sich. Irgendwann muss er auf diesem gottverlassenen Highway doch auf eine Tankstelle, ein Motel oder etwas in der Art stoßen. Ihm ist klar, dass er es nicht mehr viel weiter schaffen wird. Die Schmerzen werden zu schlimm, er friert und schaltet allmählich innerlich ab – vor Kälte und weil er zu viel Blut verloren hat. Soweit wie möglich richtet er sich auf und wischt sich die Feuchtigkeit aus den Augen.

      Plötzlich erscheint etwas im Finsteren. Wie konnte …

       Wie hat er mich überholt? Er … er war doch hinter mir …

      Die gleichen Umrisse und langen Schritte erschienen, nur dass die Augen jetzt nicht leuchten, sondern im Schatten unter der flachen Krempe eines Cowboyhutes verborgen bleiben. Die Arme hängen seitlich am Körper herab. In einer Hand hält er ein langes Messer, dessen geschliffene Stahlklinge im Gewirr der Schneeflocken funkelt.

      Er weiß instinktiv, dass es dieses Mal keinen Zweck hat, einen Fluchtversuch zu starten. Es gibt hier keine Hilfe; er befindet sich mutterseelenallein mit diesem Kerl mitten im Nirgendwo. Er wird hier sterben – hier in diesem Albtraum, auf