Historische Romane von Henryk Sienkiewicz. Henryk Sienkiewicz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henryk Sienkiewicz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075836779
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wenige Minuten, und am Saume des Waldes zeigte sich ein Rudel Wölfe, diese wachsamsten aller Tiere, die daher auch als die ersten versuchten, aus dem sie umschließenden Kreise zu entkommen. Inmitten des freien Platzes angelangt und auch hier die Menschen witternd, verschwanden sie rasch wieder, indem sie sich offenbar einen andern Ausweg aus dem Dickicht bahnen wollten. Eine schwarze Kette bildend, tauchten gleich darauf mächtige Eber auf dem schneebedeckten Platze auf, von weitem einer Viehherde ähnlich, welche, dem Lockrufe der fürsorglichen Hausfrau folgend, mit gespitzten Ohren den Ställen zustrebt. Schnüffelnd und aufhorchend blieben sie plötzlich stehen, machten Kehrt, horchten wieder auf, näherten sich, die Treiber witternd, behutsam und grunzend den Jägern, bis mit einem Male das Knirschen der eisernen Schneller der Armbruste, das Zischen der Pfeile ertönte und die weiße Schneedecke mit dem ersten Blute befleckt ward.

      Mit durchdringendem Gequieke stoben die Eber wie von einem Blitzstrahle getroffen auseinander: einige rannten blindlings davon, andere stürzten dem Netze zu, mehrere liefen vereinzelt hin und her, etliche mengten sich unter die anderen Tiere, die sich inzwischen auf der Waldeslichtung angesammelt hatten. Immer deutlicher ertönten jetzt die Hornsignale, Hundegekläff ward laut, sowie das verworrene Gemurmel einer sich nähernden großen Menschenschar. Aber auch die Zahl der vierfüßigen Waldbewohner, die von allen Seiten, weit und breit, aufgescheucht worden waren, mehrte sich in einer solchen Weise, daß schließlich der freie Platz dicht gefüllt war. Etwas Aehnliches konnte weder in fremden Ländern, noch in andern polnischen Gebieten vorkommen, da es dort nicht solche Waldwildnisse gab wie in Masovien. Wenn nun auch die Kreuzritter häufig in Litauen gewesen waren, wo es zuweilen vorkam, daß das Anstürmen von Auerochsen eine ganze Söldnerschar in Verwirrung gesetzt hatte, erfüllte sie doch dieses Schauspiel ebenso wie den Herrn de Lorche mit dem größten Staunen. Einem Kraniche ähnlich bei der Fürstin und den Hofdamen Wache haltend, hatte der Lothringer sehnlichst dem Beginne der Jagd entgegengesehen, denn er fror nicht nur tüchtig in seiner eisernen Rüstung, sondern er fing auch schon an, sich zu langweilen, da er sich ja nicht verständlich machen konnte. Nun aber sah er mit einem Male ganze Rudel von leichtfüßigen Rehen, von fahlgelben Hirschen und von Elentieren mit ihren unförmigen Geweihen, voll Schrecken, sinnlos vor Angst, dahinstürmen, umsonst einen Ausweg suchend. Die Fürstin, in der sich, als Tochter von Kiejstut, bei diesem Anblick das väterliche Blut regte, schoß Pfeil auf Pfeil auf die buntscheckige Schar ab, jedesmal vor Freude jubelnd, wenn ein Hirsch oder ein Elentier sich zuerst hoch aufbäumte, um dann, zu Tode getroffen, rücklings auf den Schnee zu stürzen. Aber auch ein Hoffräulein nach dem andern hielt jetzt das Gesicht an die Armbrust, denn alle, samt und sonders, wurden von der Jagdlust ergriffen. Zbyszko allein bildete eine Ausnahme. Mit den Armen auf den Knien Danusias lehnend, das Haupt auf beide Hände gestützt, schaute er ihr in die Augen, sie hingegen versuchte, halb lächelnd, halb verschämt, ihm die Lider mit den Fingern zu schließen, gerade als ob sie seinen Blick nicht zu ertragen vermöge.

      Nun aber wurde die Aufmerksamkeit des Herrn de Lorche durch einen gewaltigen, an Genick und Schaufeln grauen Bären erregt, der ganz in der Nähe der Jäger unvermutet aus dem Gestrüppe hervorbrach. Der Fürst schoß sofort die Armbrust gegen ihn ab, sprang dann unverweilt mit dem Speere auf ihn zu und tötete das Tier, das sich, furchtbar brüllend, auf die Hinterpfoten erhob, so rasch und gewandt vor den Augen des ganzen Hofstaates, daß keiner der beiden »Schützer« das Schwert gebrauchen mußte. Unwillkürlich sagte sich nun der junge Lothringer, daß wohl wenige der Herren auf den Höfen, in denen er unterwegs Rast gemacht hatte, sich einen derartigen Zeitvertreib erwählen würden, und daß mit einem solchen Fürsten, mit solchem Manne anzubinden, es wohl dereinst dem Orden schwer fallen würde. Und wenige Augenblicke darnach war de Lorche Zeuge, wie durch andere Jäger ganz auf die gleiche Weise ein grimmiger, mächtiger Eber mit großen weißen Hauern zu Tode getroffen ward, ein Tier, größer und gewaltiger als all’ die, auf welche in den Gehölzen Nieder-Lothringens oder in den deutschen Wäldern Jagd gemacht wurde. Ein ähnliches Vertrauen in die eigene Kraft, eine so geschickte Führung des Speeres hatte der Lothringer noch nie zuvor bei Jägern gesehen. Wie dies aber gewöhnlich zu sein pflegt, ließen sich die Kraft und die Gewandtheit darauf zurückführen, daß alle die inmitten der unermeßlichsten Wälder ansässigen Menschen vom zehnten Jahre an Armbrust und Speer handhaben mußten und sich dadurch die größte Fertigkeit erwarben.

      Der freie Platz war schließlich mit den Kadavern aller möglichen Tiere bedeckt. Von keiner Seite wurde indessen daran gedacht, die Jagd zu beendigen, sollte diese doch jetzt erst recht gefährlich und somit besonders aufregend werden. Von den Treibern gejagt, zeigten sich nämlich mit einem Male eine große Schar von Auerochsen und Bisons. Nicht getrennt, wie dies im Walde der Fall zu sein pflegte, sondern untereinander vermengt, trabten sie daher, weit eher Furcht erregend, als von Furcht oder Schrecken verblendet. Sie überstürzten sich auch nicht; nein, in ihrer ungeheuren Kraft zogen sie siegesgewiß dahin, überzeugt daß sie alle Hindernisse überwinden und einen Ausgang finden würden. Die Erde dröhnte geradezu unter der Schwere ihrer Tritte. Die Spitze des Zuges bildeten die bärtigen Bullen.

      Mit zur Erde gesenkten Köpfen hielten sie zuweilen an, als ob sie darüber nachdächten, auf welcher Seite sie entkommen könnten. Gleich einem unterirdischen Getöse entrang sich ihren ungeschlachten Lungen ein dumpfes Gebrüll, ihre Nüstern dampften, und mit den Vorderfüßen den Schnee aufwerfend, schienen sie mit ihren blutrünstigen, von der Mähne fast ganz bedeckten Augen nach dem Feinde zu spähen.

      Mittlerweile stießen die hinter den Netzen verborgenen Treiber laute Rufe aus, denen von allen Seiten hunderte von Stimmen in donnerähnlichem Geschrei antworteten. Die Hörner, die Pfeifen erklangen. Bis in seine tiefste Tiefe ward der Wald von dem Lärm erschüttert. Doch nicht genug daran! Mit entsetzlichem Geheule jagten die kurpischen Hunde, der Spur folgend, auf die Lichtung. Bei diesem Anblick wurden besonders die Weibchen, welche ihre Jungen bei sich hatten, nahezu rasend. Während sich die Tiere bis jetzt ruhig zu der Herde gehalten hatten, zerstreuten sie sich nun plötzlich in wahnsinniger Flucht über den ganzen Platz. Einer der Auerochsen, ein fahlgelber, gewaltiger Bulle, an Größe die Bisons überragend, raste in schwerfälligen Sprüngen auf die Reihe der Jäger zu. Dann aber machte er plötzlich gegen die rechte Seite der Lichtung Kehrt, blieb jedoch gleich darauf, in geringer Entfernung die Pferde inmitten der Bäume wahrnehmend, stehen und schien sich, brüllend und die Erde mit den Hörnern aufwühlend, zum Sprunge, zum Kampfe zu rüsten.

      Bei diesem Entsetzen erregenden Anblick schrien die hinter den Netzen stehenden Treiber noch lauter auf, aus der Reihe der Jäger aber ertönte der Schreckensruf: »Die Fürstin, die Fürstin! Rettet die Herrin!« Zbyszko riß seinen in dem Schnee steckenden Speer an sich und sprang an den Waldessaum. Ihm folgten etliche Litauer, bereit zum Schutze der Fürstin das eigene Leben zu lassen. Da knirschte die Armbrust in deren Hand, ein Pfeil fuhr zischend über den gesenkten Kopf des Tieres hinweg und drang tief in dessen Genick ein.

      »Bleibt zurück!« rief Anna Danuta, »kommt nicht …«

      Ihre weiteren Worte verklangen indessen ungehört, denn ein solch entsetzliches Gebrüll wurde laut, daß sich die Pferde vor Schrecken aufbäumten. Wie ein Sturmwind raste der Auerochs auf die Fürstin zu. Doch siehe da, im Galoppe kam der tapfere Herr de Lorche einher gesprengt und warf sich, tief über das Pferd gebeugt, mit der Lanze wie bei einem ritterlichen Turniere zum Stoße ausholend, dem Tiere entgegen.

      Die Anwesenden waren Zeugen, wie die Lanze blitzesschnell in das Genick des Bullen eindrang, wie sie sich dann aber sofort gleich einem Haken bog und in kleine Stücke zerbrach. Da mit einem Male verschwand der mit riesigen Hörnern versehene Kopf des Tieres fast vollständig unter dem Bauche von Herrn de Lorches Roß, und bevor noch irgend jemand einen Entsetzensschrei ausstoßen konnte, flog der treffliche türkische Renner mitsamt dem Reiter vogelschnell in die Luft.

      Auf die Seite stürzend, schlug das Pferd mit den im letzten Todeskampfe zuckenden Beinen wild um sich, wobei es sich in die eigenen hervorquellenden Eingeweide verwickelte, während Herr de Lorche in nächster Nähe bewegungslos wie ein eiserner Keil auf dem Schnee lag. Einige Minuten lang schien der Auerochs zu schwanken, ob er sich nicht abwenden und auf das andere Pferd stürzen solle, doch da er sein erstes Opfer dicht vor sich hatte, griff er dieses aufs neue an. Der beklagenswerte Renner diente zur Zielscheibe seiner Wut. Er zermalmte dessen Kopf, er bohrte die ungeheuren Hörner in den offenen Bauch.