Die andern aber hielten jetzt Rat mit einander.
»Es unterliegt keinem Zweifel,« ließ sich Jagienka vernehmen, daß wir nun nach Spychow statt nach Szczytno gehen müssen, denn dort, an diesem sicheren Orte können wir ihn der Obhut und Pflege der Seinigen überlassen.«
»Welch merkwürdige Anordnungen Du triffst!« entgegnete Macko. »Nach Spychow müssen wir ihn schicken, aber es ist doch nicht unumgänglich nötig, daß wir alle mitgehen; ein Wagen genügt, um ihn hinzubringen.«
»Ich will gar keine Anordnungen treffen, ich meine nur, wir könnten durch ihn viel von Zbyszko und Danusia hören.«
»Und wie willst Du mit ihm reden, da ihm die Zunge fehlt?«
»Und wer hat es Euch gezeigt, daß ihm die Zunge fehlt, wenn nicht er selbst? Ihr seht, daß wir auch ohne Sprache alles erfuhren, was uns zu wissen notthat; wie wird es also erst sein, wenn wir an seine Zeichen mit dem Kopfe und mit den Händen gewöhnt sind? Fragt ihn zum Beispiel, ob Zbyszko von Marienburg nach Szczytno zurückgekehrt ist, und er wird entweder bejahend nicken oder eine verneinende Bewegung machen. So wird es auch bei allen andern Fragen sein.«
»Das ist richtig!« rief der Böhme aus.
»Ich leugne ja auch nicht, daß dies richtig ist,« erklärte Macko, »und mir selbst ist der gleiche Gedanke gekommen, aber bei mir heißt es immer, zuerst überlegen und dann das Mundwerk gebrauchen.«
Nach diesen Worten gab er Befehl, die Wagen gegen die masovische Grenze zu lenken. Unterwegs ritt Jagienka von Zeit zu Zeit an den Wagen heran, worauf Jurand lag, aus Furcht, er könne aus dem Schlaf in den Tod hinübergeschlummert sein.
»Ich habe ihn nicht erkannt,« hub Macko wieder an, »aber dies ist auch kein Wunder. Er ist ja früher so stark wie ein Auerochse gewesen. Die Masovier sagten, er sei der einzige von ihnen, der sich mit Zawisza messen könne – und jetzt gleicht er einem Skelett.«
»Es ging schon das Gerücht,« sagte der Böhme, »daß sie ihn durch Martern zu Tode gequält haben, aber manche Leute wollten nicht glauben, daß Christen derart mit einem gegürteten Ritter verfuhren, welcher überdies den heiligen Georg zum Schutzpatron hat.«
»Gott wird sie strafen!« rief Jagienka aus.
Macko wendete sich zu dem Böhmen.
»Wieso hast Du ihn erkannt?«
»Ich erkannte ihn auch nicht sogleich, wenn schon dies leichter für mich gewesen wäre als für Euch, Herr, da es noch nicht lange her ist, daß ich mit ihm zusammengetroffen bin. Doch etwas Eigentümliches fiel mir an ihm auf, und je länger ich ihn ansah, desto mehr verstärkte sich dieser Eindruck. Früher hatte er keinen solchen Bart und keine weißen Haare, er war ein mächtiger Herr und ein vielvermögender, wie war es also möglich, ihn in diesem Bettler zu erkennen? Aber als die Jungfrau sagte, daß wir nach Szczytno gehen, und er zu heulen begann, da wurden mir plötzlich die Augen geöffnet.«
»Von Spychow sollte man ihn zu dem Fürsten bringen, welcher das einem Mann von solchem Ansehen zugefügte Unrecht nicht ungestraft hingehen lassen kann.«
»Sie werden ihre Schuld nicht eingestehen, Herr. Sie werden sagen, daß der Gebieter von Spychow im Kampfe die Zunge und die Hand und das Auge eingebüßt habe.«
»Das ist wahr!« erwiderte Macko. »Haben sie doch seiner Zeit den Fürsten mit sich fortgeführt. Er kann nicht gegen sie ausziehen, weil er nicht siegen würde, es sei denn, daß unser König ihm zu Hilfe käme. Die Leute schwatzen auch gar viel von einem großen Kriege, und ich habe noch nicht einmal etwas von einem kleinen gesehen!«
»Mit dem Fürsten Witold wird aber Krieg geführt.«
»Gelobt sei Gott, daß wenigstes dieser bereit ist, es mit dem Orden aufzunehmen. Hei! Fürst Witold, das ist mein Mann! Und an Schlauheit sind sie ihm nicht gewachsen, denn er ist schlauer, als sie alle zusammen. Gar oft bedrängten die Schufte ihn dermaßen, daß die Schlinge schon über seinem Haupte hing, und jedesmal wußte er sich gleich einer Schlange herauszuwinden, wußte er sie mit seinem Biß zu verwunden. Hüte Dich vor ihm, wenn er auf Dich losschlägt, aber hüte Dich noch mehr vor ihm, wenn er Dir schmeichelt.«
»Zeigt er sich jedem so?«
»Nein, nicht jedem, nur den Kreuzrittern zeigt er sich so. Gegen andere ist er ein guter und freigebiger Knas!«
Hier sann Macko ein wenig nach, wie wenn er sich Witold besser vergegenwärtigen wolle.
»Er ist ein ganz andrer Mensch als die hier ansässigen Fürsten,« sagte er schließlich. »Es war notwendig, daß Zbyszko sich zu ihm begab, denn unter seiner Führung und durch ihn vermag er am meisten gegen den Orden auszurichten.«
Nach einer Weile fügte er hinzu: »Wer weiß, ob wir ihn dort nicht finden, denn dann kann man Rache nehmen, wie sich’s gebührt.«
Hierauf sprachen sie wieder von Jurand, von dessen unglückseligem Lose, von der ihm durch die Kreuzritter zugefügten Unbill, durch die Kreuzritter, welche einstmals ohne jeden Anlaß seine heißgeliebte Gattin getötet, ihm dann, Rache mit Rache vergeltend, die Tochter entrissen und ihn schließlich selbst durch so furchtbare Qualen gemartert hatten, wie selbst die Tataren sie nicht schlimmer hätten aussinnen können. Macko und Hlawa knirschten mit den Zähnen bei dem Gedanken, daß sogar die Freilassung Jurands eine neue, wohlberechnete Grausamkeit war. Der alte Ritter gelobte sich daher im Innern, genau zu erforschen, wie alles gewesen war, und es dann mit Zinsen zurückzuzahlen.
Unter solchen Gesprächen und Erwägungen verbrachten sie den Weg nach Spychow. Dem heitern Tage war eine stille, sternhelle Nacht gefolgt, so daß sie nirgends ein Nachtlager aufschlugen, die Pferde aber dreimal reichlich fütterten. Es war noch dunkel als sie zur Greuze gelangten, und in der Frühe erreichten sie – unter der Führung eines gedungenen Boten – das Gebiet von Spychow. Offenbar hielt der alte Tolima hier alles unter eiserner Hand, denn kaum waren sie in den Wald eingedrungen, als zwei bewaffnete Mannen ihnen entgegentraten; sobald diese jedoch erkannten, daß sie keine Krieger, sondern einen Ritter mit Gefolge vor sich hatten, ließen sie die kleine Schar unbehelligt vorüber, ja sie geleiteten sie sogar über die Stellen, welche, überschwemmt und sumpfig, für die des Orts Unkundigen wohl sonst unzugänglich gewesen wären.
In der Burg wurden die Ankömmlinge von Tolima und dem Pater Kaleb empfangen. Die Kunde, daß der Gebieter zurückgekehrt war, daß gottesfürchtige Menschen ihn zurückgebracht hatten, verbreitete sich blitzesschnell durch die Besatzung. Erst als Jurands Leute wahrnahmen, wie er aus den Händen der Kreuzritter hervorgegangen war, da überkam sie eine solche Wut, daß sie in eine wahre Flut von Drohungen ausbrachen, und wenn sich in dem unterirdischen Gefängnisse von Spychow noch ein Kreuzritter befunden hätte, dann wäre es keiner Macht der Erde gelungen, ihn vor einem sicheren Tode zu bewahren.
Die berittenen Mannen wollten sich sofort zu Pferde setzen, an die Grenze sprengen, alle Ritter ergreifen, die ihnen entgegentreten würden, und deren Köpfe dann vor des Herrn Füße legen, aber Macko hielt sie von ihrem Vorhaben ab, weil er wußte, daß die Deutschen in Städten und Burgen wohnten, das Landvolk hingegen demselben Stamme angehörte wie er und Jurands Leute, obwohl es unter fremder Herrschaft lebte. Aber weder Lärm noch Geschrei seiner Leute, noch das Knarren des Brunnenschwengels vermochte Jurand zu erwecken, der auf einem Bärenfell vom Wagen in seine Stube getragen und dort auf das Lager gebettet ward. Pater Kaleb, der Genosse seiner Jugendjahre, sein Milchbruder, der ihn wie ein leiblicher Bruder liebte, blieb bei ihm und begann ein inbrünstiges Gebet zu sprechen, der Erlöser der Welt möge dem unglücklichen Jurand die Augen, die Zunge und die Hand wieder geben.
Die ermüdeten Reisenden gingen zur Ruhe, nachdem sie einen Morgenimbiß zu sich genommen hatten. Macko erwachte, als es schon spät am Nachmittag war, und befahl einem Knechte, Tolima zu rufen.
Da er zuvor schon durch den Böhmen erfahren hatte, daß Jurand, ehe er seine Burg verließ, allen Mannen Gehorsam gegen Zbyszko anempfohlen und daß er diesen durch den Mund des Pater Kaleb zum Erben von Spychow eingesetzt hatte, sagte er zu dem Alten im Tone eines Vorgesetzten: »Ich bin der Oheim Eures jungen Herrn, und bis er zurückkehrt,