»Wo sind die andern Toten? Und die Verwundeten?«
»Die Toten liegen im Schnee, damit sie vor Verwesung bewahrt bleiben, bis die Särge verfertigt sind, und die Verwundeten werden im Hospital verpflegt.«
Zygfryd schlug abermals die Hände über dem Haupt zusammen.
»Und all dies hat ein einziger Mensch gethan! Gott, nimm den Orden in Deine Obhut, wenn es zu einem großen Kriegszuge mit dieser Wolfsbrut kommt.«
Daraufhin richtete Rotgier den Blick nach oben, als ob ihm plötzlich eine Erinnerung käme, und bemerkte: »Bei Wilna habe ich gehört, wie der Vogt von Samland zu seinem Bruder, dem Meister, sagte: ›Wenn Du keinen großen Kriegszug unternimmst und sie nicht so ausrottest, daß selbst ihr Name der Vergessenheit anheimfällt, dann wehe uns und unserm Volke!‹«
»Gott gebe, daß es zu einem solchen Kriege, zu einem heftigen Zusammenstoß mit ihnen komme!« sagte einer, der edlen Novizen.
Zygfryd sah in durchdringend an, wie wenn er Lust hätte zu sagen: »Du hattest ja heute Gelegenheit, mit einem von ihnen zu kämpfen!« aber als er die zarte, jugendliche Gestalt des Novizen betrachtete, da kam ihm wohl der Gedanke, daß ja auch er selbst, der seines Mutes wegen berühmt war, sich nicht dem sicheren Verderben hatte aussetzen wollen, und er sprach sich nicht aus, sondern fragte nur: »Wer unter Euch hat Jurand gesehen?«
»Ich!« entgegnete de Bergow.
»Lebt er noch?«
»Er lebt und liegt noch in demselben Netze, worin wir ihn zu Fall gebracht haben. Als er zum Bewußtsein kam, wollten ihn die Knechte erschlagen, doch der Kaplan duldete es nicht!«
»Erschlagen darf er nicht werden. Er ist wohlangesehen bei seinen Stammesgenossen und man würde einen fürchterlichen Lärm erheben,« entgegnete Zygfryd. »Doch wird es nicht möglich sein, das zu verbergen, was vorgegangen ist, da zu viele Zeugen anwesend waren.«
»Was sollen wir also sagen und was haben wir zu thun?« fragte Rotgier.
Zygfryd bedachte sich und schließlich sprach er folgendermaßen: »Ihr, edler Graf de Bergow, begebt Euch nach Marienburg. Ihr seufztet in der Gefangenschaft Jurands und seid ein Gast des Ordens. Da Ihr nun als Gast nicht unbedingt die Partei der Ordensbrüder nehmen müßt, wird man Euch um so eher glauben. Sagt daher, was Ihr mit angesehen habt, sagt, daß Danveld, der an der Grenze irgend ein Mädchen aus den Händen von Räubern befreit hatte, in der Meinung, dies Mädchen sei Jurands Tochter, dem Gebieter von Spychow, welcher nach Szczytno gekommen war, Mitteilung davon gemacht habe, und daß – nun, was weiter geschah, wißt Ihr selbst!«
»Verzeiht, Komtur,« antwortete de Bergow. »Schwer ist die Gefangenschaft in Spychow gewesen, und gerne würde ich als Gast für Euch zeugen, doch um meiner Seelenruhe willen sagt mir nur das eine: ist denn Jurands Tochter nicht in Szczytno gewesen und hat nicht Danvelds Verrat den Wahnsinn des furchtbaren Mannes herbeigeführt?«
Zygfryd de Löwe schwankte einen Augenblick mit der Antwort. Ein tiefer Haß gegen den polnischen Stamm erfüllte ihn, seine Grausamkeit übertraf sogar die Danvelds, er war voll Hochmut und Habsucht, wenn es sich um die Angelegenheiten des Ordens handelte, aber einer offenbaren Lüge machte er sich nicht gerne schuldig. Mit der größten Bitterkeit nahm er daher wahr, wie sich in der letzten Zeit diese Angelegenheiten durch den Leichtsinn und die Zügellosigkeit einiger Ordensritter gar schlimm gestaltet hatten. Deshalb berührte de Bergows Frage einen wunden Punkt in seiner Seele, und erst nach langem Schweigen erwiderte er: »Danveld steht vor Gott, Gott wird ihn richten! Und wenn man Euch, edler Graf, nach Eurer Ansicht fragt, dann sagt, was Ihr wollt, und wenn man darnach fragt, was Eure Augen mit angeschaut haben, dann erzählt, daß bevor wir noch das Netz über dem Rasenden zusammenziehen konnten, Ihr schon neun Tote und viele Verwundete auf diesem Fußboden saht, unter ihnen die Leichname Danvelds, Bruder Gofryds, von Brachts, Hugos und zweier edlen Jünglinge. Gott gebe ihnen die ewige Ruhe. Amen!«
»Amen! Amen!« wiederholten abermals die Novizen.
»Und sagt auch,« fügte Zygfryd hinzu, »daß wenn schon Danveld den Feind des Ordens demütigen wollte, doch niemand hier zuerst das Schwert gegen Jurand gezogen hat.«
»Ich werde nur das berichten, was ich mit eigenen Augen ansah!« entgegnete de Bergow.
»Findet Euch vor Mitternacht in der Kapelle ein. Auch wir werden kommen, um für die abgeschiedenen Seelen zu beten,« antwortete Zygfryd.
Und er streckte die Hand gegen ihn aus zum Zeichen, daß er ihm danke und ihn zugleich verabschiede, denn er wünschte mit dem Bruder Rotgier, den er liebte und dem er großes Vertrauen schenkte, allein zu sein.
Nachdem de Bergow sich entfernt hatte, schickte Zygfryd auch die beiden Novizen fort, unter dem Vorwande, sie sollten die Arbeit der Knechte überwachen, welche die Särge für die von Jurand Erschlagenen verfertigen mußten. Als die Thüre sich hinter den beiden geschlossen hatte, wandte er sich zu Rotgier und sprach: »Höre, was ich Dir sage: keine lebende Seele darf jemals erfahren, daß die wirkliche Tochter Jurands hier bei uns ist.«
»Es wird nicht schwer sein, das Geheimnis zu bewahren,« entgegnete Rotgier, »denn außer Danveld, Godfryd, uns beiden und dem Weibe, unter dessen Obhut sie sich befindet, hat niemand erfahren, daß sie hier ist. Die Leute, welche sie aus dem Jagdhofe hierher geleiteten, ließ Danveld betrunken machen. Unter der Besatzung hegten wohl manche anfangs Argwohn, aber schließlich verwechselten sie doch Jurands Tochter mit der Blödsinnigen und wissen nicht mehr, ob auf unserer Seite ein Irrtum begangen, oder ob Jurands Tochter in der That durch irgend einen Schwarzkünstler verwandelt worden ist.«
»Was thun wir aber mit Jurands Tochter und wie können wir rechtfertigen, was in Szczytno geschehen ist?«
»Darüber müssen wir noch zu Rate gehen!«
»Ueberlaßt sie mir!«
Zygfryd blickte ihn forschend an und erwiderte: »Nein! Höre, junger Bruder! Wenn es sich um den Orden handelt, darf man weder gegen Männer noch gegen Weiber, aber auch nicht gegen sich selbst nachsichtig sein. Danveld wurde von Gottes Hand getroffen, weil er nicht nur das dem Orden zugefügte Unrecht rächen, sondern auch die eigenen Gelüste befriedigen wollte.«
»Gar schlimm beurteilt Ihr mich!« sagte Rotgier.
»Seid nicht nachsichtig gegen Euch selbst,« unterbrach ihn Zygfryd, »denn Geist und Körper sind verweichlicht bei Euch und jenes harte Volk wird Euch dereinst so zu Boden drücken, daß Ihr Euch nicht mehr zu erheben vermögt!«
Wieder stützte er das Haupt in die Hände und versank in düsteres Schweigen, aber offenbar lauschte er nur den Einflüsterungen seines eigenen Gewissens und dachte nur an sich selbst, denn nach einer Weile sagte er: »Auch auf mir lastet viel vergossenes Blut, lasten viele Schmerzen, viele Thränen. Doch wenn es sich um den Orden handelt und wenn ich sehe, daß ich mit eigener Kraft nichts ausrichten kann, da bedenke ich mich nie lange, ich wende mich an Gott den Herrn, ich sage ihm: siehe, dies that ich für den Orden und hier ist, was ich für mich selbst erwählt habe!«
Bei diesen Worten schob er vorn auf der Brust das dunkle Tuchgewand auseinander, unter dem das härene Bußhemd sichtbar ward. Dann drückte er beide Hände an die Schläfen, hob den Kopf empor und rief aus: »Entsagt Eurer Wollust und Eurer Leichtfertigkeit, stählt Eure Körper und Eure Herzen, denn in den Lüften sehe ich weiße Adlerfedern und Adlerkrallen, die von dem Blute der Kreuzritter gerötet sind …«
Seine Rede wurde durch das Tosen des Sturmes unterbrochen, hoch oben über der Galerie ging klirrend ein Fenster auf, heulend und pfeifend fuhr die Windsbraut durch den Saal, einen Haufen Schneeflocken mit sich führend.
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Welch eine Nacht ist das!« sagte der alte Kreuzritter.
»Eine Nacht, in der die bösen Geister Gewalt haben!« versetzte Rotgier.
»Und