»Natürlich«, gab sie flüsternd zu.
»Du wünschst dir einen Mann, der dich liebt und umsorgt und deine zarte Seele zum Klingen bringt.«
»Woher weißt du das denn?«
Schmunzelnd legte er den Arm um sie. »Weil ich meine Marie kenne, Anette. Wir haben uns vor Jahren angesehen und wussten, da lauert ein bisschen Glück. Dass es groß und größer wurde, verdanken wir unserem gemeinsamen, unverbrüchlichen Vertrauen.« Sie nickte, und er fuhr fort: »Du bist kein Typ, der sein Glück im Internet findet. Du solltest lieber eine Anzeige in einer seriösen Zeitung aufgeben. Und wenn die Zuschriften hereinflattern, helfe ich dir gern, einen anständigen Mann – auch einen zum Träumen – herauszupicken. Wenn du willst, bleibe ich auch in der Nähe, wenn du dich das erste Mal mit ihm triffst.«
Sie blies ihren Atem heftig aus. »Eine Anzeige? Und was schreibe ich dort hinein? Ich kenne mich ja kaum noch selbst.«
Binnen Minuten fanden sich ein Block Papier und zwei Stifte.
»Wunderhübsch, zärtlich, hingebungsvoll, groß- und warmherzig, gebildet, kinderlieb, kultiviert, interessiert an Musik und ernsten Gesprächen, an Reisen, besonders in die südliche Sonne …«, schrieb er ihr schnell auf, weil er hoffte, doch noch zum Stammtisch zu kommen.
»Das alles stimmte doch gar nicht«, unterbrach sie ihn. Stefan lachte.
»Siehst du, du kennst deine guten Eigenschaften gar nicht. Dabei trifft alles haargenau auf dich zu.« Er sah zur Uhr. »Ich muss los, und du musst dir genau überlegen, welche Art von Frau du bist. Lass dir Zeit, Anette. Die Suche nach dem Glück ist zu wichtig, um damit herumzupfuschen.« Damit riss er das Blatt vom Block, faltete es zusammen und steckte es in seine Jackentasche.
»Lass es mir doch bitte hier, Stefan. Damit ich abschreiben kann, wenn mir nichts einfällt.«
»Keine Chance!«, erwiderte er entschlossen. »Du sollst selbst herausfinden, was an Gutem in dir steckt.« Und damit hauchte er ihr ein Küsschen aufs Blondhaar, schlüpfte in seine dicke Jacke und machte sich auf den Heimweg zu seiner Marie.
Auf der Landstraße grinste er vor sich hin. Was Marie wohl sagte, wenn er ihr von seiner Begegnung mit dem Weichei und der Lack- und Leder-Wäsche in der Plastiktüte erzählte? Aber nein, er durfte nichts von Anettes Nöten verraten. Das hatte er mit seinem großen Ehrenwort versprochen und hielt es auch. Und weil es ihn jetzt doch heim zu seiner Marie zog, fuhr er ohne Umwege zurück zum Weißenberg-Hof.
*
Am Sonntagmorgen fuhr Marie mit den Kindern zum Gottesdienst in St. Nicolai in Altendorf. Stefan hatte mal wieder einen Grund gefunden, sich vor dem Kirchgang zu drücken. Diesmal erwartete er einen Ingenieur, der ihn bei der Umgestaltung einiger Gewächshäuser beraten sollte.
Als sie Dany in dem neu erstandenen roten Anorak sah und wie Reserl und Jossi sich über die kunterbunten Mützen und Schals aus München freuten, verflog ihr Unmut sofort. Ihre Shopping-Tour hatte sich gelohnt. Danys Anorak war etwas groß. Der konnte auch noch den nächsten Winter überstehen, und die buntgestreiften Gummistiefel für die Mädchen kamen erst an sommerlichen Regentagen zum Einsatz. Aber alles war von bester Qualität! Und was für Augen würden die drei machen, wenn sie erst mit dem lustigen Faschings-Krims-Krams herausrückte!
Tatsächlich lag wieder eine Schneeschicht auf den Wiesen und Feldern. Ging der Winter nie zu Ende? Sie dachte an Anette, die wahrscheinlich doch verreist war und sich für das Wochenende einen Trip in den Süden geleistet hatte. Und prompt stieg der Ärger wieder in ihr hoch.
Die Notenvorlage für die dritte Stimme eines Choral kriegte sie ohne Anette einfach nicht hin. Und der Münchner Einkaufsbummel war ohne die Freundin auch kein rechter Spaß gewesen. Wenn Anette heute zum Chorsingen auftauchte, musste sie wirkich ein Hühnchen mit ihr rupfen.
Vor der kleinen Barockkirche St. Nicolai wartete schon die Gemeindeschwester Isolde. Jeden Sonntag scharte sie die Kinder um sich und verschwand mit ihnen im Nebengebäude, wo sie ihnen während des Gottesdienstes Heiligenlegenden vorlas. Reserl, die sich manchmal schon erwachsen fühlte, hätte lieber wie einige der Dorfkinder vor der Kirche herumgehangen. Aber ein Blick in Maries Gesicht und sie nahm Dany an der Hand und folgte Jossi brav, die schon an Schwester Isoldes Hand gut gelaunt Richtung Gemeindesaal hüpfte.
»Baronin, guten Morgen!«
Auf Marie kamen die Zwillingsschwestern Ruth und Hilde Schönbauer zu. Sie waren fünfzig, führten die Altendorfer Apotheke und gehörten mit ihren schönen Altstimmen zum Chor.
»Guten Morgen, die Schönauers.« Maries Gesicht hellte sich im Nu auf. »Wissen Sie, ob Frau Lichtner heute kommt?«
Weil Anette über ihnen wohnte, mussten sie das doch wissen.
»Gewiss doch!«, sagte Ruth.
»Heute ist ja kein Unterricht«, gab Hilde dazu, um dann gleich nach der Partitur für die dritte Stimme zu fragen.
»Ich hab’s nicht hinbekommen«, gab Marie freimütig zu, worauf die Apothekerinnen einen vieldeutigen Blick tauschten.
Der Kirchentraum war gut gefüllt, wie immer, wenn der Chor sang. Marie begrüßte ihre achtzehn Schützlinge. Anette war also wieder nicht dabei. Wie tröstlich, dass die Choräle auch ohne sie und die dritte Stimme gut klangen! Pfarrer Rieder blickte anerkennend zu ihr hinüber und wies seine Messjungen an, es ihm nachzutun. So recht konnte Marie sich nicht darüber freuen. Die Frage, was werden sollte, wenn Anette sich ganz vom Chor zurückzog, beschäftigte sie schon wieder.
Eine Stunde später, als die Gemeinde schon ins Schmuddelwetter hinausgetreten war, musste Marie noch mal erklären, warum die Noten für die dritte Stimme immer noch nicht fertig waren.
Als Pfarrer Rieder sie zu sich in die Sakristei winkte, nickte sie ihm nur kurz und knapp zu. Hoffentlich kam er nicht auch noch auf die dritte Stimme zu sprechen! Dann rastete sie aus vor Wut – sogar in der Sakristei.
»Baronin, bitte, kommen Sie doch noch mit in die Sakristei!«, erhob er doch tatsächlich seine Stimme.
Sie rief ihren Chorfreunden noch schnell ›einen schönen Sonntag‹ zu, hüllte sich in ihren Lodenmantel, drückte sich die Baskenmütze aufs Haar und trat ein. Pfarrer Rieder war ein freundlicher und rundlich gemütlicher Mensch, und sie ahnte schon, worum es ging. Bestimmt kam er wieder auf die verwaiste Praxis des verstorbenen Landarztes zu sprechen.
Er würde sie wieder fragen, ob es in der weitläufigen Verwandtschaft der Weißenbergs nicht einen Mediziner gebe, der sich hier in der herrlichen Landschaft als Arzt niederlassen wollte, damit seine Gemeindemitglieder nicht wegen jeden Hustens und Zipperleins die Fahrt nach Rosenheim oder Traunstein antreten mussten.
Aber Marie irrte sich gewaltig. Denn der Pfarrer überreichte ihr zwei Gläschen Honig. Sie sah ihn fragend an.
»Einmal Birkenhonig, einmal Waldhonig. Beides von der Witwe Matuschek, Baronin.«
»Für uns?«, freute sie sich. Die Witwe Matuschek wohnte in der Umgebung und galt für ihre weit über Sechzig als ungewöhnlich tatkräftig. Sie kleidete sich bunt und schrill wie eine Zirkusmitarbeiterin und verstand es immer noch, Männerherzen für sich einzunehmen.
»Frau Matuschek hat uns gestern zum Stammtisch im Seehof Kostproben ihres Honigs mitgebracht. Wirklich vorzüglich, was sie als Imkerin schafft, Baronin.« Seine Zunge fuhr sich über die weichen Lippen.
»Das ist sehr nett von ihr«, stellte Marie aufrichtig fest.
»Sie bat mich, Ihnen heute die Kostproben zu überreichen. Sie wissen ja, wenn etwas aus Ihrem Projekt Weißenberg-Hofladen wird, sollten Sie eine reichhaltige Auswahl unserer guten Produkte anbieten.«
»Ach so.« Marie verstand.
»Und zu unser aller Bedauern war der Baron ja gestern Abend nicht da.«
»Wie …? Er war nicht da?«
Pfarrer Rieder sah sie geduldig an. Und schon lächelte