Die Dämmerung war hereingebrochen und ein kühler Abendwind kam auf. Fast wie von selbst trugen Josephas Beine sie in den Achnerforst. Die Sehnsucht nach ihrem ehemaligen Daheim wurde übermächtig. Wie viele glückliche Stunden hatte sie dort verbracht und durfte sich geborgen fühlen!
Josepha zog ihr Tuch fest um die Schultern. Wehmütig dachte sie daran, daß sie es damals ebenfalls getragen hatte, als sie Martin Achner zum erstenmal begegnet war.
Das Mädchen hatte es nicht eilig. Ihr war es gleich, wo sie diese Nacht verbringen würde, wenn sie nur in der Nähe des Hofes bleiben konnte.
Plötzlich drangen Schritte an ihr Ohr. Wer mochte um diese Zeit noch im Wald sein?
»Jessas, haben Sie mich erschreckt!« entfuhr es dem Forstmeister Hubert Grasegger, der tief in Gedanken versunken dahingegangen war.
Josepha atmete auf. »Sie mich aber auch!«
Erst jetzt erkannte er das Mädchen. »Sie sind doch Josepha vom Achnerhof! Was tun Sie um diese Zeit mutterseelenallein im Forst?«
Er erhielt keine Antwort, statt dessen wandte sich Josepha ab und wollte weitergehen.
Der Bursch griff nach ihrem Arm. »Hören Sie, Josepha, Sie müssen mir nix sagen, wenn Sie net wollen. Aber hier können Sie net bleiben!«
Josepha kam eine Idee. »Hubert, ich bin auf Stellungssuche. Brauchen Sie net zufällig eine Haushälterin? Sie brauchen mir auch net viel zu zahlen, ich brauch halt nur ein bisserl was zum Essen und Schlafen.« Atemlos wartete sie auf seine Antwort.
Der Forstmeister kratzte sich am Hinterkopf. »Nun ja, eigentlich könnt ich schon jemand brauchen, aber Sie sind jung und wenn wir zwei – ich mein, wir könnten ins Gerede kommen, gell?«
Das Mädchen lachte herzhaft auf. »Das meinen S’ aber net im Ernst, gell, Herr Forstmeister?«
Hubert Grasegger, der für gewöhnlich als sehr zurückhaltend galt, was das weibliche Geschlecht anging, nahm wie selbstverständlich ihre Hand und marschierte mit ihr zur Hütte hinauf. Insgeheim dachte er, daß es auch sein Gutes gehabt hatte, daß er noch einmal spazierengegangen war!
Es sollte sein Schaden nicht sein.
Josepha verhielt sich still und bescheiden, ging nur aus der Hütte, wenn sie sicher sein konnte, daß Hubert so bald nicht zurückkam. Sie hatte sich in dem kleinen Kammerl einquartiert, in das sie sich oft zurückzog, so daß der Bursch sie kaum zu Gesicht bekam. Nur zu den Mahlzeiten gelang es ihm, das fesche Dirndl wohlwollend zu betrachten und sich mit der Zeit einige Gedanken über Josepha zu machen. Sie sprachen niemals darüber, warum sie im Wald gewesen war.
Eines Morgens verkündete Hubert Grasegger, daß er wegen einiger Dinge zum Forstamt in die Stadt fahren müsse. »Magst net mitfahren, Sepherl? Ich mag dich ungern da allein lassen.« Sie waren längst zum »Du« übergegangen.
Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf. »Dank schön, Bertl, aber ich möcht gern ein bisserl für Weihnachten vorbereiten. ’s gibt doch ein paar Menschen, denen ich gern eine Freud machen möcht.«
Hubert verdrehte ergeben die Augen. »Da kann man nix machen.« Er erinnerte sich, daß seine Mutter ebenfalls in den ersten Oktoberwochen mit den Weihnachtsvorbereitungen begonnen hatte.
»Dann werd ich dir noch ein bisserl Holz hacken, damit du’s warm hast.« Der Bursch erhob sich träge, denn das reichhaltige Essen, das ihm Josepha bereitet hatte, machte ihn so recht müd.
An der Tür drehte er sich noch einmal zu dem Mädchen um und meinte nachdenklich: »Ich hab gestern den Martin getroffen. Er hat den Wald am Hirschbichl an den Hochleitner verkauft. Sie waren grad droben und haben verhandelt. ’s war wohl das Gscheiteste, was er hat machen können.« Dann ging er vor die Hütte.
Josephas Herz klopfte bis zum Hals. Hatte er sich also endlich durchgerungen! Oh, Martin, wenn du doch nur net soweit weg wärst! Sie schüttelte sich und zwang sich, nicht mehr an den geliebten Mann zu denken.
Hubert Grasegger hatte es ihr absichtlich gesagt. Er wußte längst, daß Josepha jedes Wort über den Achnerhof in sich aufsog wie eine Ertrinkende. Und daß dies nicht allein an der kleinen Rosemarie lag, war wohl gewiß!
Er nahm die Axt und schlug kräftig auf die Holzscheite ein. Das Dirndl bedeutete ihm weit mehr, als er sich eingestehen wollte, aber es gelang ihm einfach nicht, an ihr Herz zu dringen!
»Dank schön, Bertl!« empfing ihn Josepha lächelnd, als er mit einem Bündel Spaltholz hereinkam.
»Ist schon recht. Gib auf dich acht. ’s ist arg kalt. In wenigen Tagen wird der erste Schnee herunterkommen. Also bleib lieber in der Hütte, versprichst mir das? Am Wochenend bin ich eh wieder zurück.«
»Freilich, Bertl, freilich.« Aber Josepha wußte, daß sie nicht in der Hütte bleiben würde. Immer wieder zog es sie hinunter, doch das konnte der gute Bertl ja nicht wissen!
Aufmerksam sah sie dem jungen Forstmeister nach, bis er außer Sichtweite war. Hastig schlüpfte sie in ihren Wollmantel, stülpte die Mütze über ihren sorgfältig geflochtenen Haarkranz und folgte dann der gleichen Richtung.
*
»Jessas, Bub! Ich fürcht, wir müssen gar noch vor dem Fest jemanden einstellen! Ich mag es nimmer packen. So viele Gäst hatten wir seit dem letzten Herbst net! Traudel jammert mir eh schon die Ohren voll, daß sie mit den Zimmern und der Rezeption net nachkommt.« Die alte Bäuerin fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn.
Martin sah seine Mutter besorgt an. In letzter Zeit sah sie schlecht aus. Ihre Wangen waren eingefallen und und er bemerkte die dunklen Ringe unter den Augen. Sie hatte wohl einige schlaflose Nächte hinter sich. »Ja, Mutterl, ich werd mich drum kümmern.«
Anna konnte es sich nicht verkneifen zu bemerken: »Als Josepha noch da war, hat’s so was net gegeben! Das Dirndl konnt zupacken für drei! Und ums Roserl hat sie sich auch noch kümmern können!«
»Laß mich bitt schön in Ruh damit! Sie ist fort und damit basta!« Sepherl, Sepherl, Sepherl! Ungehalten sprang er auf und lief aus der Stube. Immer wieder Sepherl! Es war net zum Aushalten.
Rosemarie war sehr still geworden. Das Kind tröstete sich damit, daß Josepha ganz gewiß zum Weihnachtsfest bei ihr sein würde, denn sie hatte es doch lieb!
Martin wußte genau, wie es um sein Töchterl stand und es zerriß ihm das Herz. Je länger er darüber nachdachte, desto einsichtiger wurde er. Vor allem quälten ihn dann die Selbstvorwürfe, wenn er in Roserls traurige Äugerln blickte.
Wieder und wieder mußte er ihren Fragen nach Josepha ausweichen, immer neue Ausreden erfinden, weil er nicht den Mut fand, ihr die Wahrheit zu sagen.
Er stapfte um das Haus herum, setzte sich auf die alte Holzbank, die einen neuen Anstrich bitter nötig gehabt hätte. Sein Blick glitt über die kleine Gartenanlage. Trostlos lag das gelbbraune Kraut der letzten Karotten auf dem Beet. Niemand hatte Zeit gefunden, sie vor dem Frost aus dem Boden zu ziehen. Das kleine Gemüsebeet war ebenfalls Josephas Werk gewesen, wie so vieles.
Die Winteräpfel waren längst reif und hätten gepflückt und eingelagert werden müssen. Ab und zu freuten sich einige Gäste an ihnen, aber der Ertrag war so reichlich, daß er bis weit in den nächsten Sommer gereicht hätte.
Martin war so in Gedanken versunken, daß er den kleinen Schatten an seiner Seite kaum bemerkte.
»Vaterl, magst mit mir die Äpfel klauben?« Rosemarie hatte genau beobachtet, wo der Vater hingeschaut hatte.
Der Bursch zuckte zusammen. »Ja, Roserl. ’s wird uns wohl nix anders übrigbleiben.« Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust.
»Ich hol gschwind die Körberl! Josepha hat sie immer ins Kammerl gstellt!« Hurtig lief das Kind zurück zum Haus.
Wieder Josepha! Würde er denn niemals Ruhe finden? Es mußte etwas geschehen, so ging es nimmer weiter!