Und plötzlich brach es aus Martin heraus, sprach er zum erstenmal über seine mißglückte Ehe, das Dasein seines geliebten Kindes und über die unglücklichen alten Eltern.
Nachdem er geendet hatte, nickte ihm die geistliche Frau mitfühlend zu. »Ja, mein Sohn, die Wege des Herrn sind unergründlich. Manchmal ist es für uns armselige Menschen schwer zu verstehen, warum wir das Leid tragen müssen, wenn es doch auch anders ginge. Auch wenn dir das wenig Trost gibt, so mußt du einfach daran glauben, daß alles seinen Sinn hat – was auch geschieht! Nun, ich werde dir helfen, obwohl ich selbst nicht weiß, ob es der richtige Weg ist.«
Erleichtert atmete Martin auf. »Danke, Mutter Oberin!«
Die Oberin ging mit leichten Schritten zur Tür. »Schwester Maria, hol bitte Josepha. Du findest sie sicher bei den Kleinen.« Lächelnd nahm sie Martins kräftige Hände in die ihren. »Du wirst zufrieden sein. Nur eines mußt du mir versprechen: Sei gut zu Josepha. Sie ist noch sehr jung und empfindsam. Ein unschuldiges Dirndl, das niemals ein rechtes Elternhaus gekannt hat. – Ah, Josepha, komm nur herein.«
Als Martin das zierliche, blonde Madl erblickte, hätte er am liebsten auf der Stelle kehrtgemacht! Dieses blutjunge Ding sollte sein Töchterl erziehen?
»Josepha, dies ist der Bauer Martin Achner. Er sucht ein Madl für seine kleine Rosemarie, auf das er sich verlassen kann. Wenn du diese Stellung annimmst, wirst du viel Kraft brauchen. Aber ich glaube, daß dir die Eltern des Bauern zur Seite stehen werden. Möchtest du dich um das kleine Dirndl kümmern, Sepherl?«
Josepha Schwarzenberger empfand es als große Ehre, daß die Mutter Oberin ihr diese verantwortungsvolle Aufgabe zutraute. Ihre wasserblauen, großen Augen ruhten einen Augenblick lang auf dem schmalen, sympathischen Gesicht des jungen Bauern. »Wenn der Bauer mich will – ja!« erwiderte sie strahlend. Wie sehr hatte sie sich danach gesehnt, endlich eine richtige Aufgabe zu haben!
»Dann pack deine Sachen zusammen. Du fährst noch heut mit aufs Land.« Die geistliche Frau war zufrieden. Josephas leuchtende Augen waren ihr Antwort genug.
Die Tür schloß sich hinter dem Dirndl und Martin konnte nicht mehr an sich halten. »Mutter Oberin, bitte verzeiht, aber ist das Dirndl net ein bisserl arg jung?«
»Das schaut nur so aus, weil sie etwas mager ist. Nein, mein Sohn, Josepha ist grad zweiundzwanzig Jahre alt geworden. Sie hat die Hauswirtschaftsschule mit sehr guten Noten hinter sich gebracht und kümmert sich seither mit den Kinderschwestern um unsere Kleinsten. Glaub mir, du kannst keinen besseren Menschen finden für dein Töchterl!«
Martin wand sich unter dem forschenden Blick der Mutter Oberin. Sie mochte ja recht haben, aber er hatte sich alles ganz anders vorgestellt. Es sollte schon ein Dirndl sein, das sich auch gegen Marianne durchsetzen konnte. Er sah nur allzu deutlich das verweinte Gesichterl dieser Josepha vor sich!
Als hätte die Oberin seine Gedanken gelesen, sprach sie leise: »Josepha hat weitaus mehr Leid ertragen, als du ermessen kannst, Martin Achner. Sie wird dir niemals zu einer Last werden und weiß sich sehr gut zur Wehr zu setzen!«
Beschämt senkte Martin den Kopf. Insgeheim hoffte er, daß er den richtigen Weg gewählt hatte.
*
Schwer atmend blieb die junge Bäuerin vor der Holzhütte stehen. Sie war den beschwerlichen Weg hinabgestiegen, um dem Sägewerksbesitzer Xandl Hochleitner ihre Aufwartung zu machen. Jetzt klopfte sie ungeduldig gegen die verschlossene Türe.
»Jessas, ich komm ja schon!« Augenblicke später stand ein zerzauster, verschlafen dreinblickender, vierschrötiger Mann vor ihr. »Du?«
»Warum, um alles in der Welt, schläfst denn am hellerlichten Tag?! Hast nix andres zu tun? Auf geht’s, Xandl, ich hab net viel Zeit. Richt dich ein wengerl her. Wir müssen hinauf in den Wald, wennst noch ein Geschäft machen willst! Der Martin ist in der Stadt und ich muß mich nun selbst um den Holzhandel kümmern. Magst noch immer ein paar Bäume von uns?« Obwohl sie die Antwort kannte, genoß sie es, wie der Xandl mit offenem Mund um seine Fassung rang.
»Freilich, freilich! Aber woher der Sinneswandel? Weiß der Martl überhaupt was von der Sach?« fragte er endlich mißtrauisch. Irgendwas war faul an der Geschichte!
Marianne lächelte ihr gewinnendstes Lächeln. »Geh, Xandl! Willst jetzt einen Reibach machen oder net?« Damit hatte sie ihn an seiner schwächsten Stelle gepackt.
»Ist schon recht«, brummte er, verschwand im Bad und hielt mit widerstreitenden Gefühlen seinen Brummschädel unter den Wasserhahn. Einerseits wollte er den Bauern Martin Achner nicht zum Feind haben, andererseits war er schon so lange erpicht auf das gute Holz, daß er Mariannes Angebot nicht abschlagen konnte!
»Endlich! Hat lang genug gedauert. Wir nehmen den Aufstieg zum Hirschbichl. Unterhalb der Hütte hat’s einen dichten Bestand, da fallts net arg auf, wenn ein paar Bäume fehlen!« erklärte Marianne dem schweigsamen Mann neben sich.
Das riesige Waldstück der Achners zog sich vom Wiesengrundstück um das Bauernhaus bis zum etwa ein Kilometer weit entfernten Hirschbichl hin und führte von dort noch einige Kilometer hinauf zum Jenner. Es war nur verständlich, daß der Achnerbauer von jedermann um dieses reiche Areal beneidet wurde. Auch der Sägewerksbesitzer war davor nicht gefeit. Er tröstete sich jetzt damit, daß der Martl den Baumbestand des großen Besitzes gar nicht überprüfen konnte!
Der Weg war tatsächlich sehr beschwerlich. An manchen Stellen mußten sie die steilen, schroffen Felswände hinaufkraxeln, um wieder in ein bewaldetes Bergstück zu gelangen.
»Hättest net den Aufstieg nehmen können, Mariandl?« ächzte Xandl, nachdem wieder einmal ein von Geröll übersäter Felsen genommen war.
»Zu gefährlich. ’s sind zu viele Wanderer droben, die bei uns Quartier haben.«
»Also doch!« brüllte Xandl zornig. »Der Martl weiß nix! Hast Angst, daß ihm wer was zutragen könnt, gell?«
»Reg dich ab. Jetzt sind wir hier und haben’s gleich geschafft. Wie soll er’s denn merken, wenn’s keiner weiß?« erwiderte Marianne eingeschnappt.
»Du vergißt, daß ich das Holz net allein schlagen kann! Ich brauch mindestens sechs von meinen kräftigsten Männern. Und ob die das Maul halten, wag ich zu bezweifeln!« brauste der Mann weiter auf.
»Dann zahlst ihnen halt ein Schweigegeld. Verdienst eh genug an dem Holz.« Marianne zog sich an einer dicken Wurzel über einen kleinen Vorsprung, kroch vorsichtig auf dem schmalen Steig entlang, bis sie erleichtert die Lichtung erreicht hatte. Von nun an konnten sie bequem weitergehen. Sie nahm sich vor, den rückwärtigen Abstieg über die Alm zu nehmen. Er war zwar weiter, machte aber bei dieser Hitze längst nicht soviel Mühe!
»Schau, Xandl! Droben, unterhalb von der Hütte, ist der Streifen, den ich mein. Ihr braucht von dort aus nur die Stämme in die Schlucht abzulassen. Das Wildwasser treibt’s dann direkt zu der Stelle, wo ihr die anderen hinunterlaßt!« Triumphierend schaute sich Marianne um, holte weit mit den Armen aus und ließ keinen Zweifel daran, daß sie sich alles bereits gut überlegt hatte.
Widerwillig mußte Xandl die schöne Frau bewundern. Geschäftstüchtig war sie, das mußte er zugeben. »Gut. Jetzt mußt mir nur noch sagen, was ich schlagen darf. Du bist der Boß!«
Marianne lachte ihn an. »Geh, Xandl. Das weißt du besser als ich. Ich muß wieder zurück, sonst fällt’s noch auf. Du steigst hinauf, schaust dir alles an, sagst mir, wieviel du abholzen kannst und machst mir einen gscheiten Preis, gell?« Sie klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter, wandte sich um und war gleich darauf hinter der Lichtung verschwunden.
Xandl Hochleitner wunderte sich darüber, daß sie nun doch das Risiko einging und den markierten Wanderweg nahm. Er zuckte mit den Schultern und machte sich auf zur Hütte.
Marianne unterdessen hatte es sich anders überlegt. Es gab noch eine dritte Möglichkeit, zum Hof zu gelangen. Sie erinnerte sich, daß ein schmaler Pfad im Schutz der Fichten und Kiefern an der