Es ergibt sich aber als eine der Grundtatsachen für die Förderung unserer Menschenkenntnis, daß wir mit den immanenten Spielregeln einer Gruppe, wie sie sich auf diesem Planeten bei der beschränkten Organisation des menschlichen Körpers und seiner Leistungen von selbst ergeben, als mit einer absoluten Wahrheit rechnen müssen, der wir uns nur langsam, meist nach Überwindung von Fehlern und Irrtümern nähern können.
Ein bedeutsamer Anteil dieser Grundtatsachen ist in der materialistischen Geschichtsauffassung festgehalten, die Marx und Engels geschaffen haben. Nach dieser Lehre ist es die ökonomische Grundlage, die technische Form, in der ein Volk seinen Lebensunterhalt erwirbt, die den »ideologischen Überbau«, das Denken und Verhalten der Menschen bedingt. Soweit reicht der Einklang mit unserer Auffassung von der wirkenden »Logik des menschlichen Zusammenlebens«, von der »absoluten Wahrheit«. Die Geschichte, vor allem unsere Einsicht in das Einzelleben, unsere Individual-psychologie, lehrt uns aber, daß das menschliche Seelenleben gern mit Irrtümern auf die Impulse der ökonomischen Grundlagen antwortet, denen es sich nur langsam entwindet. Unser Weg zur »absoluten Wahrheit« führt über zahlreiche Irrtümer.
2. Der Zwang zur Gemeinschaft.
Die Forderungen des gemeinschaftlichen Lebens sind eigentlich genau so selbstverständlich wie jene Forderungen, die etwa Witterungseinflüsse an den Menschen stellen, Forderungen des Kälteschutzes, des Wohnungsbaues u. dgl. Wir erblicken den Zwang zur Gemeinschaft — wenn auch noch in einer unverstandenen Form — auch in der Religion, wo die Heiligung von gesellschaftlichen Formen an Stelle des verstehenden Gedankens als Bindemittel der Gemeinschaft dient. Sind die Lebensbedingungen im ersten Fall kosmisch, so sind sie im letzteren Fall sozial bedingt, bedingt durch das Zusammenleben der Menschen und die sich daraus von selbst ergebenden Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Die Forderungen der Gemeinschaft haben die Beziehungen der Menschen geregelt, die schon ursprünglich als selbstverständlich, als »absolute Wahrheit« bestanden haben. Denn vor dem Einzelleben der Menschen war die Gemeinschaft. Es gibt in der Geschichte der menschlichen Kultur keine Lebensform, die nicht als gesellschaftlich geführt worden wäre. Nirgends sind Menschen anders als in Gesellschaft aufgetreten. Diese Erscheinung ist leicht erklärlich. Durch das ganze Tierreich geht das Gesetz, der Grundzug, daß jene Gattungen, die sich der Natur gegenüber nicht in besonders hohem Grade gewachsen zeigen, durch Zusammenschluß erst neue Kräfte sammeln und dann in neuer, eigenartiger Weise nach außen wirken. Auch der Menschheit dient zu diesem Zweck der Zusammenschluß, und so kam es, daß das seelische Organ des Menschen ganz durchdrungen war von den Bedingungen eines Lebens in der Gemeinschaft. Schon Darwin weist darauf hin, daß man nie schwächliche Tiere findet, die allein leben. Und hierher muß man ganz besonders auch den Menschen rechnen, denn er ist nicht stark genug, um allein leben zu können. Er kann der Natur nur geringen Widerstand bieten, er bedarf einer größeren Menge von Hilfsmitteln, um sein Dasein zu führen, um sich zu erhalten. Man braucht sich nur die Lage eines Menschen vorzustellen, der sich allein und ohne Hilfsmittel der Kultur in einem Urwald befände. Er würde ungleich bedrohter erscheinen als jedes andere Lebewesen. Er hat nicht die Schnelligkeit der Beine, verfügt nicht über die Muskelkraft der starken Tiere, er hat nicht die Zähne des Raubtiers, nicht die Feinhörigkeit und die scharfen Augen, um sich in solchem Kampfe zu behaupten. Es bedarf für ihn eines ungeheuren Aufwandes, um seine Daseinsberechtigung erst sicherzustellen und ihn vor dem Zugrundegehen zu bewahren. Seine Nahrung ist eigenartig und seine Lebensweise bedarf eines ganz intensiven Schutzes.
Nun ist es begreiflich, daß sich der Mensch nur erhalten konnte, wenn er sich unter besonders günstige Bedingungen stellte. Diese hat ihm aber erst das Gruppenleben verschafft, das sich als eine Notwendigkeit erwies, weil nur das Zusammenleben den Menschen ermöglichte, in einer Art Arbeitsteilung Aufgaben zu bewältigen, bei denen der Einzelne unterliegen mußte. Nur die Arbeitsteilung war imstande, dem Menschen Angriffs- und Verteidigungswaffen und überhaupt alle Güter zu verschaffen, die er brauchte, um sich zu behaupten, die wir heute unter dem Begriff der Kultur zusammenfassen. Wenn man nun bedenkt, unter welchen Schwierigkeiten Kinder geboren werden, wie hier ganz besondere Aufwendungen notwendig werden, die der Einzelne vielleicht nicht einmal unter den größten Mühen leisten könnte und die eben nur bei Vorhandensein einer Arbeitsteilung herbeigeschafft werden können, wenn man sich vorstellt, welchem Übermaß von Krankheiten und Gebrechen ein menschliches Wesen besonders im Säuglingsalter ausgesetzt ist — mehr als dies im Tierreich der Fall ist —, dann hat man ungefähr einen Begriff von dem ungeheuren Maß an Obsorge, die zu treffen war, um den Bestand der menschlichen Gesellschaft zu sichern, und fühlt deutlich die Notwendigkeit dieses Zusammenhanges.
Auf Grund der bisherigen Ausführungen müssen wir feststellen: Vom Standpunkt der Natur aus gesehen ist der Mensch ein minderwertiges Wesen. Aber diese Minderwertigkeit, die ihm anhaftet, die ihm als ein Gefühl des Verkürztseins und der Unsicherheit zum Bewußtsein kommt, wirkt als ein fortwährender Reiz, einen Weg ausfindig zu machen, um die Anpassung an dieses Leben zu bewerkstelligen, vorzusorgen, sich Situationen zu schaffen, wo die Nachteile der menschlichen Stellung in der Natur ausgeglichen erscheinen. Und da war es wieder sein seelisches Organ, das die Fähigkeit hatte, die Anpassung und Sicherung durchzuführen. Viel schwerer wäre es gewesen, aus diesem ursprünglichen Tiermenschen durch Zuhilfenahme von Wachstumserscheinungen, wie Hörnern, Kraller. oder Zähnen ein Exemplar zu erzeugen, das der feindlichen Natur hätte standhalten können. Wirklich rasch konnte nur das seelische Organ Hilfe schaffen, welches ersetzte, was dem Menschen an organischer Wertigkeit fehlte. Und gerade der Reiz, der von dem ununterbrochenen Gefühl der Unzulänglichkeit ausging, machte es aus, daß der Mensch eine Voraussicht entwickelte und seine Seele zu einer Entwicklung brachte, wie wir sie heute als Organ des Denkens, Fühlens und Handelns vorfinden. Und da bei diesen Hilfen, bei diesen Anpassungsbestrebungen auch die Gesellschaft eine wesentliche Rolle spielte, mußte das seelische Organ von Anfang an mit den Bedingungen der Gemeinschaft rechnen. Alle seine Fähigkeiten sind auf einer Grundlage entwickelt, die den Einschlag eines gesellschaftlichen Lebens in sich tragen. Jeder Gedanke des Menschen mußte so beschaffen sein, daß er einer Gemeinschaft gerecht werden konnte.
Wenn man sich nun vorstellt, wie der Fortschritt weiterging, dann kommt man zu den Ursprüngen der Logik, die in sich die Forderung der Allgemeingültigkeit trägt. Logisch ist nur, was allgemeingültig ist. Ein weiteres deutliches Resultat des gemeinschaftlichen Lebens finden wir in der Sprache, einem Wunderwerk, das den Menschen vor allen andern Lebewesen auszeichnet. Man kann sich von einer Erscheinung, wie sie die Sprache ist, den Begriff der Allgemeingültigkeit nicht wegdenken, was darauf hinweist, daß sie im sozialen Leben der Menschen ihren Ursprung hat. Sprache ist für ein einzeln lebendes Wesen ganz überflüssig. Sie rechnet mit dem gemeinsamen Leben der Menschen, sie ist ein Produkt desselben und Bindemittel zugleich. Ein starker Beweis für diesen Zusammenhang liegt darin, daß Menschen, die unter Bedingungen aufwachsen, unter denen der Anschluß an andere Menschen erschwert oder verwehrt ist oder die diesen Anschluß selbst verweigern, fast regelmäßig an ihrer Sprache und Sprachfähigkeit Mangel leiden. Es ist, als ob dieses Band nur gebildet und erhalten werden könnte, wenn der Kontakt mit der Menschheit gesichert ist. Die Sprache hat eine überaus tiefe Bedeutung für die Entwicklung des menschlichen Seelenlebens. Logisches Denken ist nur möglich unter der Voraussetzung der Sprache, die uns durch die Möglichkeit der Begriffsbildung erst in die Lage versetzt, Unterscheidungen vorzunehmen und Begriffe zu schaffen, die nicht Privateigentum sind, sondern Gemeingut. Auch unser Denken und Fühlen ist nur begreiflich, wenn man Allgemeingültigkeit voraussetzt, und unsere Freude am Schönen erhält ihre Grundlage nur durch das Verständnis, daß das Gefühl und die Anerkennung für das Schöne und Gute Gemeingut sein muß. So kommen wir