6. Kapitel Kinder, die sich nicht vertragen
7. Kapitel Ein fortgejagter Schüler
9. Kapitel Mit dem Zippel-Zappel-Zeppelin
10. Kapitel Im Zoologischen Garten
11. Kapitel Am grünen Strand der Spree
12. Kapitel Klinglingling – der Milchjunge kommt
14. Kapitel Nesthäkchen lernt Stricken
16. Kapitel Kindergesellschaft
1. Kapitel
Hurra – fünfzig Kinder!
An das Fenster schlug der Aprilregen. Klitsch – klatsch – tromtromtrom – klitsch – klatsch – tromtromtrom.
Hüit – hüi – it – heulte der Sturm im Ofen, er rüttelte an den Fensterscheiben, daß sie laut zu klirren begannen.
Nesthäkchen, das den Blondkopf noch tief in den Kissen vergraben hatte, warf sich bei dem wilden Konzert unruhig hin und her. Es rieb sich die Blauaugen und sah sich verschlafen in der Kinderstube um.
Da lag sie – die neue Schulmappe! Mitten auf dem weißen Tisch; ernst mahnend blickte sie zu der kleinen Langschläferin herüber.
Richtig, der erste Schultag war ja heute! Aber Klein-Annemarie war noch ganz schrecklich müde, die mochte noch nicht an Aufstehen und Schule denken. Es war ja ihr Geburtstag gestern gewesen, da war sie später als gewöhnlich ins Bett gekommen. Und dann war es doch auch solch häßlicher, grauer Regenmorgen.
Warm und fest kuschelte sich die Kleine wieder in ihre Kissen ein, während draußen Regen und Wind weiter pladderten und heulten. Klitsch – klatsch – tromtromtrom – hüi – it – ach, wie schön war es im molligen Bettchen!
Da trat Fräulein an Nesthäkchens Lager.
»Annemie – Liebling – es ist Zeit, du mußt aufstehen.« Zärtlich streichelte ihre Hand die wirren Blondlöckchen der Kleinen.
Aber Annemarie, die erst vor kurzem wieder eingeschlafen war, atmete sanft und gleichmäßig weiter. Sie rührte sich nicht.
»Liebling, du gehst ja heute das erstemal in die Schule, wach auf, sonst kommst du zu spät«, so versuchte Fräulein das müde Kind zu ermuntern.
Unverständliches Grunzen war Annemaries Antwort auf Fräuleins Mitteilung, daß sie heute das erstemal in die Schule ginge. Dabei hatte die Kleine doch den wichtigen Tag gar nicht erwarten können.
Fräulein stand ratlos. Alles Streicheln, Liebkosen und Zureden wollte nichts nützen. Nesthäkchen rührte sich nicht.
Da griff Fräulein schließlich zu dem großen Schwamm. Klitsch – klatsch – spritzte sie der kleinen Schlafenden ein paar Tropfen ins Gesicht.
»Fräulein – Fräulein – es regnet – es regnet in mein Bett rein!« Entsetzt fuhr Annemarie jetzt endlich hoch.
Vor ihr stand Fräulein und lachte die mit dem Ärmel des Nachthemdchens im Gesicht herumwischende Kleine aus.
»Na, bist du jetzt endlich munter, Annemie, willst du nun aufstehen und in die Schule gehen?«
»Nee«, gähnte Nesthäkchen mit aller Gemütsruhe und machte Miene, sich auf die andere Seite zu legen.
»Aber Liebling, du hast dich doch so auf heute gefreut?«
»Es ist mir zu schlechtes Wetter, ich will lieber zu Hause bleiben«, erklärte die Kleine, in das Regengrau hinausblinzelnd.
»Denk’ nur, Annemiechen, wenn alle Kinder so sprechen würden, dann blieben sie alle dumm, und die Lehrerin säße allein in der Klasse und könnte die leeren Bänke und Tische unterrichten«, stellte Fräulein vor.
Annemie mußte bei dieser Vorstellung hell auflachen, und das machte sie noch munterer als der Schwamm. Hops – da sprang sie mit beiden Beinen aus dem Bett heraus, denn dumm wollte die Annemarie doch nicht bleiben!
Wie schön die neue Schulmappe aussah, die Großmama ihr gestern zu ihrem siebenten Geburtstag geschenkt hatte!
Die Kleine war so in die braunlederne Schönheit der Mappe versunken, daß sie nicht einmal merkte, wie kalt und naß der Schwamm war, mit dem Fräulein sie gerade bearbeitete. Und als ihr das grünschottische Schulkleidchen nun übergezogen wurde, als die schwarze Schulschürze mit roter Stickerei darüber prangte, da klopfte Nesthäkchens kleines Herz wieder in freudigem Stolz. Vergessen war alle Müdigkeit, vergessen das häßliche Regenwetter – klitsch – klatsch – tromtromtrom – wie lustig die Musik da draußen jetzt dem kleinen Schulmädel klang.
Noch einen Abschiedsblick auf ihre Puppen, die bis zum heutigen Tage Klein-Annemaries einzige Sorge gewesen. Da saßen sie alle und staunten ihre kleine Mama mit der Schulmappe voll unverhohlener Bewunderung an. Puppe Gerda, ihr Nesthäkchen, streckte ihr sogar beide Arme entgegen. Einen zärtlichen Kuß gab Annemarie noch schnell ihrem Liebling. Sie schwankte – sollte sie Gerda mit in die Schule nehmen? Aber nein, die Puppe war zu groß, sie ging nicht in die neue Schulmappe hinein.
»Seid brav, Kinder, bis ich wiederkomme, denn ich habe heute keine Zeit für euch, ich muß in die Schule«, sagte die Kleine wichtig. Dann ging es, die Mappe auf dem Rücken, eiligst ins Speisezimmer.
Dort saßen Vater und Mutter beim Kaffee, während Annemaries ältere Brüder, Hans und Klaus, bereits eine Stunde früher zur Schule gegangen waren.
»Na, Lotte, schon gestiefelt und gespornt, soll es nun wirklich Ernst werden?« Zärtlich klopfte Vater dem Töchterchen die rosige Wange. Vater und Mutter riefen ihr Nesthäkchen fast immer mit dem Kosenamen »Lotte«.
Mutti aber schaute mit nassen Augen in den nassen Aprilmorgen hinaus. Es wurde ihr unsagbar schwer, nun auch ihr Kleinstes, ihr Nesthäkchen, zur Schule zu geben.
»Erkälte dich nur nicht, meine Lotte, bei dem gräßlichen Wetter; zieh Gummischuhe an, daß du mir keinen Schnupfen kriegst!« sagte sie besorgt.
»Ach was, dann macht Vater mich wieder gesund; er ist ja ein Doktor«, lachte Nesthäkchen.
Aber als Mutti ihr jetzt Kakao in die Tasse goß und ein Brötchen mit Butter strich, schüttelte die Kleine, die sonst immer bei bestem Appetit war, das Köpfchen.
»Ich kann heut’ wirklich nichts essen, ich bin ganz satt, und es ist auch schon viel zu spät – da klingelt die Schulglocke ja schon – ach Gott, ich komme sicher nicht mehr zur rechten Zeit!« Damit wollte Annemarie ohne Hut und Mantel zur Tür hinaus, denn von der Straße herauf klang es deutlich »klinglinglingling«.
Vater