Im Schatten der Titanen. Braun Lily. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Braun Lily
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118464
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Schwestern, und diesen, den jüngsten, vor allen; aber in ihrer Mitte hatte nur ein Wille zu gelten: der seine; wohl wollte er sie glücklich sehen, aber nur das Glück aus seinen Händen galt ihm als solches. Die Nachricht, daß Jerome eigenmächtig, ohne seine Zustimmung abzuwarten, die Ehe mit Miß Patterson geschlossen habe, traf in dem Augenblick in Paris ein, als Frankreich dem ersten Konsul die kaiserliche Würde verlieh und seine Brüder und Schwestern zu Prinzen und Prinzessinnen erhob. Sie war der bittere Tropfen in dem Kelch seines Ruhms, und da das französische Gesetz die Rechtsgültigkeit der ohne Einwilligung der Eltern geschlossenen Ehe Minorenner nicht anerkannte und Lätitia, die stolze Mutter eines Geschlechts von Herrschern, auf der Seite Napoleons stand, erklärte Napoleon die Ehe für null und nichtig und schloß Jerome aus der kaiserlichen Familie aus. Jeromes Hoffnungen waren damit noch nicht zerstört; der hinreißende Liebreiz seines Weibes mußte, so glaubte er, auch den eisernen Willen eines Napoleon brechen. Im März 1805, anderthalb Jahre nach seiner Heirat, schiffte er sich mit ihr nach Portugal ein. Aber der Arm des Kaisers reichte bis Lissabon; französische Agenten verweigerten der jungen Frau die Landung, nur Jerome erhielt die Erlaubnis, den Weg nach Italien einzuschlagen.

      Wie anders fand er Europa, als da er es verließ. Die drei Jahre seiner Abwesenheit, die ihn eingesponnen hatten in stilles Liebesglück, hatten den Bruder, hatten Frankreich emporgeführt zum Gipfel des Weltruhms. Konnte sein eigenes Geschick, sein Kampf um Anerkennung seiner Liebe, jenem Manne, der die Geschicke der Völker in seinen Händen hielt und um die Kronen Europas kämpfte, anders erscheinen als wie das Spiel eines Kindes? Im Augenblick, da Napoleon sich zu Mailand Italiens Krone aufs Haupt setzte und zum Gedächtnis der Schlacht von Marengo die Böllerschüsse krachten, die Glocken läuteten, die Fahnen wehten und Tausende und aber Tausende dem Rausch der Festesfreude sich hingaben, betrat Jerome — er, der den Säbel von Marengo trug! — ein Unbekannter, ein Ausgeschlossener, den Boden Italiens. In Alessandria empfing ihn der Kaiser. Weit mehr als der Zorn ihn geschreckt haben würde, — er hätte vielleicht nur seinen Stolz und seinen Eigensinn geweckt —, mußte ihn die Zärtlichkeit Napoleons erschüttern. Alle sah er wieder, die Brüder, die Freunde, geschmückt mit dem immergrünen Lorbeer des Ruhms, während in seinen Händen die welkenden Rosen der Liebe schon entblätterten. Er stand vor der Wahl, — denn unerbittlich blieb der Kaiser —, auf der einen Seite der Weg empor zu den Höhen der Menschheit, zu höchsten Siegespreisen, zur Königskrone, auf der anderen das Leben im Dämmerschein stillen Familienglücks, ohne Zweck und Ziel. So sehr sich ihm auch das Herz zusammenkrampfte, — wie er Elisabeth liebte, dafür zeugen seine Briefe aus jener Zeit —, er wählte den Ruhm, nicht die Liebe. Welch ein Jüngling von 21 Jahren hätte anders zu wählen vermocht?![11]

      Um die Stimme des Herzens zu übertönen und nachzuholen, was er versäumt hatte, stürzte er sich mit Feuereifer in die Aufgabe, die ihm gestellt wurde.

      Im Sommer des Jahres 1806 kommandierte er in der Flotte des Admirals Willaumez den "Veteran" und nahm mit ihm von Brest aus neun englische Schiffe die zwei Kriegsschiffe eskortierten. Auf der Höhe von Concarneau erreichte ihn die englische ihn verfolgende Flotte; die Situation war verzweifelt; auf der einen Seite der überlegene Feind, auf der andren Sandbänke und Riffe. Entschlossen, eher zu sterben als sich zu ergeben, ergriff Jerome der Mut der Verzweiflung, und unter den Augen der englischen Flotte vollzog sich jene Tat unwahrscheinlicher Tollkühnheit, von der ein englisches Journal der Zeit folgendes berichtete: "Jerome Napoleon hat allen unseren Maßregeln zu trotzen gewußt und alle Anstrengungen unserer braven Matrosen nutzlos gemacht; daß er den Hafen sicher und ohne Verluste erreichte, ist ein neues Beispiel für das unglaubliche Glück, das sich an die Schritte der Bonapartes zu heften scheint und alle ihre Operationen begleitet."[12]

      Nun erst verlieh Napoleon dem Heimkehrenden den Titel eines französischen Prinzen, und als Anerkennung seiner Tapferkeit den Rang eines Kontreadmirals. Als höhere Auszeichnung noch empfand es Jerome, daß Napoleon ihm für den bevorstehenden preußischen Feldzug die bayrische und württembergische Division anvertraute und es ihm nun endlich vergönnt war, unter den Augen des bewunderten kaiserlichen Bruders zu fechten. Jerome bewährte sich. Trotz seiner 24 Jahre wußte er sich den Respekt der Truppen und ihrer Führer zu gewinnen, aber mehr noch das Herz der Soldaten durch seine Sorge für ihr Wohl.[13] Am Tage, als die letzte schlesische Stadt vor ihm kapitulierte, erreichte ihn die Nachricht vom Tilsiter Waffenstillstand. Der Friede folgte. Napoleon hatte Preußen unterworfen und seinem Bruder ein Königreich erobert. Mit ein paar Federstrichen warf er die Länder links von der Elbe zu einem Staat zusammen und ernannte Jerome zum König von Westfalen; mit ein paar gewechselten Briefen gewann er ihm in Katharina, der Tochter des Souveräns von Württemberg, die Königin. Das Herz der also durch kaiserliche Allmacht Vereinigten wurde nicht gefragt, und als das blonde, rosige Prinzeßlein aus altem Fürstenstamm dem dunkeln, blassen Jüngling aus dem Geschlecht der korsischen Usurpatoren gegenübertrat, da wußte es noch nicht, wie rasch, wie dauernd der Sieggewohnte es erobern würde.

      Mit dem ganzen Prunk des kaiserlichen Hofes, in einer Gesellschaft, in der Vertreter alter Dynastien sich mit den neugeschaffenen Aristokraten, Fürsten und Königen von Napoleons Gnaden vereinigten, wurde am 28. August 1807 die Hochzeit des jungen Paares gefeiert. Aber die bunten Lichter, die ganz Paris am Abend erleuchten sollten, verlöschten in strömendem Wolkenbruch, und die Raketen, die bestimmt gewesen waren, prasselnd gen Himmel zu steigen, verstummten vor dem Grollen des Donners ...

      Inzwischen war die Organisation des jungen Königreichs erfolgt, mit dem Code Napoléon die neue Administration im Lande eingeführt, zum Empfang des Herrscherpaares alles vorbereitet. Mit einem Brief, der dem Bruder die Prinzipien, nach denen er regieren sollte, nochmals auseinandersetzte, entließ ihn Napoleon. "Schenke denen kein Gehör, die Dir sagen werden, daß Deine Völker, an Sklaverei gewöhnt, unserer Gesetze nicht würdig sind," so heißt es darin, "das ist nicht wahr. Sie erwarten vielmehr mit Ungeduld, daß ein jeder, den das Talent dazu befähigt, — nicht nur der Adlige —, zu jeder Stellung Zugang finden kann, daß jede Form der Dienstbarkeit und Abhängigkeit ein für allemal abgeschafft werde. Ich baue, was die Sicherung Deiner Monarchie betrifft, weit mehr auf die Folgen dieser Maßregeln, als auf die Resultate großer Eroberungen. Dein Volk muß sich einer Freiheit, einer Gleichheit, eines Rechtsschutzes erfreuen, die in Deutschland nicht ihresgleichen haben. Diese Art, zu regieren, wird zwischen Dir und Preußen eine zuverlässigere Grenzscheide bilden als die Elbe, als Frankreichs Festungen und sein Schutz. Welches Volk, das die Segnungen einer liberalen Herrschaft kennen gelernt hat, wird in die Bande des Absolutismus zurückkehren wollen? Sei darum ein konstitutioneller König. Du schaffst Dir damit ein natürliches Übergewicht über Deine Nachbarn."[14]

      In den Empfindungen der großen Masse des Volkes schien sich Napoleon nicht zu täuschen. Mochte der Bruder des Korsen ihm fremd erscheinen, seine Person ihm zunächst gleichgültig, vielleicht sogar antipathisch sein, es begrüßte in ihm den endlichen, heißersehnten Frieden, geordnete Verhältnisse, gesicherte wirtschaftliche Entwicklung.[15] Darum war sein Empfang ein überraschend freudiger, den die persönliche Freundlichkeit des Herrscherpaares nur noch steigern konnte. Die Proklamation des Königs, vor der in jedem Dorf des Landes sich die Neugierigen sammelten, verhieß die Sicherstellung der Konstitution, die Abschaffung der Adels- und Kirchenprivilegien, der Leibeigenschaft und aller Personaldienste, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Gleichberechtigung aller Religionsbekenntnisse, die Aufhebung der Sonderstellung der Juden, die Neuordnung des Gerichtsverfahrens. "Lange genug hat Euer Land unter den Vorrechten des Adels und den Intriguen der Fürsten gelitten. Alle Leiden der Kriege mußtet Ihr tragen, von den Segnungen des Friedens bliebt Ihr ausgeschlossen. Einige Eurer Städte erwarben die unfruchtbare Ehre, daß Verträge und Traktate in ihren Mauern geschlossen wurden, in denen nichts vergessen war, als das Schicksal des Volkes, das sie bewohnte."[16] War dies nicht ein Widerhall der Prinzipien von 1789, unter deren Einfluß das neue Frankreich sich entwickelt hatte, und deren Verwirklichung in Deutschland an der Ohnmacht des Volkes und der Macht der Fürsten gescheitert war? Sie bedeuteten diesmal mehr, als Fürstenproklamationen und Versprechungen sonst zu bedeuten hatten. Küster, der Geschäftsträger Preußens in Westfalen, der dem Berliner Hof regelmäßig Bericht zu erstatten hatte und neben dem Grafen Reinhard, dem Bevollmächtigten Napoleons und geistvollen Korrespondenten Goethes, der zweifelfreieste Zeuge war, sah mit Erstaunen, wie rasch die neuen Einrichtungen Wurzel zu fassen vermochten. Weite Kreise der Bevölkerung empfanden die