Nebeneinander turnten Dan O’Flynn und Arwenack an den Wanten herunter. Der Seewolf konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Je länger das Bürschchen sich mit Arwenack dort oben im Mars aufhielt, desto ähnlicher schien er ihm zu werden. Auf jeden Fall hatte er von dem Schimpansen schon eine Menge gelernt. Er kletterte jetzt noch eleganter in der Takelage herum als früher. Manchmal schien es, als wollen sich die beiden im Wettstreit messen.
Die Männer, die an Deck blieben, sicherten sich mit langen Leinen, die verhindern sollten, daß sie von den Brechern über Bord gerissen wurden.
Blitze zuckten durch die näherrükkenden Wolken, die bereits die südliche Hälfte des Himmels bedeckten und die Sonne verschluckt hatten.
Und dann brach das Inferno wie ein schwarzes, wirbelndes Ungeheuer über die „Isabella“ herein.
Die Brecher schlugen mit unvorstellbarer Gewalt von achtern über das Deck der „Isabella“. Schon die ersten größeren Wellen hatten das kleine Boot, das die „Isabella“ an einer Leine hinter sich herzog, gegen den Rumpf der Galeone geschleudert und fast das Ruder in Mitleidenschaft gezogen.
Der Seewolf hatte geflucht wie ein Fuhrknecht, weil niemand mehr an das Boot gedacht hatte. Zu schnell war das Ungewitter über die hereingebrochen. Hasard und Ben Brighton hatten sich an der Quarterdeckgalerie festgezurrt.
Der Seewolf sah mit einem Auge die grünschwarzen Wellenlawinen, die die schlanke Galeone vor sich herhetzten und sich dann schäumend und brüllend auf den wehrlosen Feind stürzten. Mit dem anderen Auge erfaßte der Seewolf die schwankende Masse des Schiffes, das immer wieder tief in die Wellentäler hinabstieß. Jedesmal sah es so aus, als ob die Blinde wegtauchen würde, doch dann riß das zum Zerreißen gespannte Segel die Galeone förmlich wieder hoch.
Hasard wußte, daß er richtig kalkuliert hatte. Sie liefen genau vor dem Wind, und durch die Blinde, die das Schiff förmlich nach vorn riß, verringerte sich die Gefahr für die Galeone, querzuschlagen. Sie gierte zwar bei heftigen Brechern, doch die vier Männer am Kolderstock brachten sie mit harten Ruderlagen schnell wieder auf Kurs.
Der Seewolf schrie dem neben ihm stehenden Ben Brighton etwas zu, doch in dem Heulen des Windes und dem unvorstellbaren Dröhnen der Wellen und Brechern war kein Wort zu verstehen. Hasard wies mit dem rechten Arm auf das Sturmsegel, das sie statt der normalen Fock fuhren.
Ben Brighton schüttelte den Kopf, denn es war stockdunkel, obwohl es erst Mittag sein konnte. Nur die grellen Blitze, die unablässig aus der schwarzen Hölle herabzuckten, rissen das Schiff immer wieder für Augenblicke aus der Finsternis.
Im weißen Licht des nächsten Blitzes sah Ben Brighton, was den Seewolf beunruhigte. Das Focksegel drohte am Steuerbordliek zu reißen. Er hob die Schultern und blickte Hasard an. Sie konnten nichts tun. Jetzt einen Mann hinaufschicken, war Mord. Die Brecher, die auf das Deck schlugen, würden ihn zerschmettern.
Vier Stunden tobte dieser Sturm jetzt, aber die Männer an Bord der „Isabella“ hatten das Gefühl, als wären schon Tage vergangen. Riesige Wassermassen strömten aus den tiefhängenden Wolken. Knöchelhoch stand das Wasser auf allen Decks. Es konnte nicht so schnell aus den Speigatten ablaufen, wie der Regen und die gischtenden Wellen es wieder aufs Deck warfen.
Der nächste zuckende Blitz enthüllte dem Seewolf das, was er schon erwartet hatte. Das Sturmsegel am Fockmast hing in Fetzen herab. Durch das Brausen der Elemente meinte Hasard das Schreien Pete Ballies zu vernehmen. Er spürte, wie die schlanke Galeone zu gieren begann.
Ben Brighton begann mit den Armen zu fuchteln. Hasard sah, wie sich seine Augen an einer hohen, schaumgekrönten Welle festsogen, die mit dumpfem Dröhnen von schräg achteraus auf die Steuerbordseite zurollte.
Die „Isabella“ krängte nach Backbord.
„Gegenruder!“ brüllte der Seewolf aus Leibeskräften, doch er wußte, daß es zwecklos war. In dieser Hölle drangen seine Worte nicht weiter als bis zu seiner Nasenspitze.
Hasards Hände krallten sich in das Holz der Galerie. Wenn die Welle sie in dieser Lage überrollte, war es um die „Isabella“ und ihre Besatzung geschehen. Er schloß die Augen, die vom Salzwasser brannten.
Gib Gegenruder, Pete! betete er lautlos.
Die Decksplanken erzitterten unter dem Druck der tobenden Elemente. Hasard merkte, wie sich die „Isabella“ aufrichtete. Er öffnete die schmerzenden Augen und sah, daß sich die riesige Wellenlawine jetzt genau achterlich der Galeone befand.
Pete Ballie und seine drei bärenstarken Männer hatten es geschafft, das Ruder im letzten Moment herumzureißen.
Und dann war das Wasser über ihnen. Der Seewolf fühlte sich wie eine Fliege, nach der mit einer nassen Fliegenpatsche geschlagen wird. Die Wassermassen waren hart wie Holz. Sie schleuderten ihn gegen die Quarterdeckgalerie und preßten ihm die Luft aus den Lungen. Keuchend wollte er Atem schöpfen, aber überall um ihn herum war Wasser. Er schluckte hart, und als er endlich wieder Luft in die gequälten Lungen saugen konnte, fühlte er sich wie zerschlagen.
Er warf einen Blick über die Kuhl. Im Zucken des Blitzes sah er, wie sich die Männer an den Steuerbord- und Backbordbrassen wieder erhoben. Hart preßte er die Zähne aufeinander. Im Widerschein des Blitzes, der noch in seinen Pupillen nachflackerte, sah er das Bild, das er erwartet hatte: Die Männer an den Schoten und Brassen blickten zu ihm hinauf. Sie warteten auf seinen Befehl, das Ersatzsturmsegel, das Will Thorne unter Deck bereithielt, an der Fockrah anzuschlagen.
Der Seewolf warf einen Blick auf die Blinde. Würde sie dem ungeheuren Druck des Sturmes standhalten? Hasard bezweifelte es. Wenn er sich darauf verließ, spielte er mit dem Feuer, denn wenn sie ebenfalls zerfetzt wurde, waren sie endgültig verloren.
Der Seewolf wußte, daß jeder seiner Männer seinem Befehl gehorchen würde, ohne auch nur einen Lidschlag lang zu zögern. Aber es ging ihm wider die Natur, in dieser Situation seine Männer die selbstmörderische Arbeit allein ausführen zu lassen.
Er legte Ben Brighton kurz die Hand auf die Schulter. Dann löste er die Leine, mit der er sich an der Galerie festgezurrt hatte. Ben Brighton wollte ihn zurückhalten, doch Hasard war schon auf dem Weg zur Kuhl.
Seine Hände krampften sich um das Holz einer Nagelbank und dann um die Taue, mit denen der Baum des Gaffelsegels festgezurrt war. Schritt für Schritt mußte er sich vorkämpfen, bis er endlich unten in der Kuhl stand und sich die Leine um den Leib band, die ihm eine Hand aus dem Dunkel reichte.
Im grellen Schein des nächsten Blitzes erkannte der Seewolf das breite Grinsen des Schweden Stenmark. Die langen blonden Haare klebten auf seiner Stirn.
Andere Männer tauchten auf. Smoky, Batuti und Gary Andrews. Und der Ire O’Driscoll, den der Seewolf zum erstenmal grinsen sah. Dieser Teufel schien sich im Augenblick sauwohl zu fühlen.
Mit wenigen Handbewegungen erklärte der Seewolf den Männern, daß sie keine andere Wahl hatten, als ein neues Focksegel zu setzen, wenn die „Isabella“ von den Brechern nicht zu Kleinholz geschlagen werden sollte.
Es war ein Kampf auf Leben und Tod. Manchmal glaubte der Seewolf, die See würde sie mitsamt dem Ersatzsegel verschlingen, doch schließlich hatten sie es geschafft.
Hasard arbeitete sich von der Nock der Fockrah zum Fockmars vor. Im Licht der unablässig herabzuckenden Blitze sah er, daß die gesamte Mannschaft an Deck war. Auf Handzeichen von Ben Brighton hin wurde das neue Sturmsegel gebraßt. Die Blinde hielt zum Glück immer noch. Sie riß die „Isabella“ weiter nach vorn und verhinderte, daß die schlanke Galeone querschlug.
Als der Seewolf wieder in der Kuhl stand und von den anderen Männern in Empfang genommen und unter die Back geführt wurde, glaubte er, auf seinen zitternden Beinen nicht mehr stehen zu können. In seinem rechten Arm hatte er einen Krampf, der sich nur langsam löste.
Schwer keuchend lagen die anderen fünf Männer neben ihm, die ihm geholfen hatten, das Focksegel anzuschlagen.
Es war ein Sturm, der den Männern das Mark aus den Knochen sog, und der