6.
Ich trat, fuhr Abbé Dillon erzählend fort, an das Lager des unglücklichen Weisen, drückte gerührt seine harte Hand und sprach: »Du hast Recht, Alamontade! Alles, was auch der strengste Zweifler über diesen großen Gegenstand sagen kann, ist höchstem ein: Ich begreif' es nicht. Es läßt sich kein anschaulicher Beweis, weder dagegen, noch dafür geben. Ich fühl's, Alamontade, mit Dir, wir sind ohne Schwingen für die übersinnliche Welt! Aber Gott aus dem ewigen, unendlichen, prächtigen Weltall stolz hinwegläugnen wollen ist die überspannteste Anmaßung eines Träumers, dem mehr Schul- als Mutterwitz gegeben ward. Der menschliche Geist, durch die Gesetze seines Wesens gezwungen, muß ein höchstes Wesen glauben, obgleich er dasselbe nicht sinnlich wahrnahmen, nicht mathematisch beweisen kann. Wäre Gott sinnlich schaubar, so wäre er ein unendliches Wesen, so wäre er Staub, nicht Gott, Dieser Glaube ist mit der Vernunft so innig und eins, daß ihn zerstören, die Vernunft zerrütten heißt, dies fühlen alle Weltalter. Kein Völkerlehrer und kein Volk sprach auf Erden jemals: Ich weiß Gott! sondern in allen Zungen heißt es: Ich glaube Gott!«
Dillons Rede bewegte auch mich mit sonderbarer Gewalt. In Roderich's Augen glänzte eine Thräne. Wir breiteten die Arme aus, umarmten den Greis, küßten seine Wangen und riefen: Es ist ein Gott!
Ein leises Abendlüftchen wehte über die Blumen des Gartens durch die offenen Fenster, unsere glühende Schläfe kühlend, daher. Der Mond umfloß die Welt mit zauberhaftem Scheine. und eine Million fremder Sonnen funkelte in verworrenen Sternbildern vom Himmel herab.
Nach einer kleinen Weile nahm der Abbé Dillon das niedergelegte Heft auf und las:
»Und damit,« rief Alamontade, »ist's genug! Was will ich denn weiter? Es ist ein Gott, die höchste Güte, die höchste Macht – es ist kein willenloses, totes, mechanisches Wesen – denn sonst wäre ich, der ich mit Bewußtsein und freiem Willen ausgerüstet bin, mehr als Gott! . . . Ich bin Ausfluß dieses höchsten Wesens voller Heiligkeit und Güte . . . ich bin seines Geschlechts! Mehr bedarf ich nicht zu meiner Ruhe. Ich will sterben – der Tod macht mich nicht zittern. Kann ich denn vergehen? Kann, was ist, nichts werden? Das Nichts ist ein Gedankending, kein sachlich wirkendes vorhandenes Wesen. Kann ein reiner Gedanke zur vorhandenen Sachlichkeit werden? Sind Kräfte, welche wechselnde Erscheinungen bewirken, vernichtbar? So wäre das Weltall vernichtbar, so wäre Gott selbst vernichtbar? Welch ein Wahnsinn! Tod ist Ablösung des Geistes von gewissen Naturkräften, mit denen er sich vereint hatte, die wir Körper heißen. Der Geist aus Gott ahnet seine Heimat. Sie ist in Gott. Dahin zieht ihn die Sehnsucht, immer vom Endlichen zum Unendlichen, vom Wandelbaren ins Ewige. Diese Sehnsucht, wieder Eins zu werden mit dem, welchem unsere Natur näher als den sich unbewußten Kräften steht, diese Sehnsucht nach Vollendung ist keine Erfindung, kein kindisches, willkürliches Gelüsten, sondern naturnotwendiger Zug des Verwandten im Weltall zum Verwandten, gleichwie der Magnet das ihm verwandte Eisen anziehen muß. In allen Sterblichen waltet diese Sehnsucht; sie spricht nur verschiedene Sprachen, wenn sie Himmel und Hölle, Elysium und Tartarus nennt. Diese Sehnsucht beweiset mir nichts, als daß sie ist. Die Unvernichtbarkeit aber des göttlichen Wesens ist Bürgin für die Unvernichtbarkeit unseres Geistes. Ich sehe wohl überall im Reich der Natur die Formen sich ändern, aber nicht das Wesen derselben oder die Ursachen selbst aufhören, welche jene hervorgebracht. Ich sehe überall wohl die Erscheinungen wandelbar, aber nicht die Kräfte, welche im Dunkeln in diesen Erscheinungen liegen und sie bewirken. Warum soll ich nun meines Glaubens an Gott spotten, und mir einbilden, es wäre mir jene Sehnsucht vergebens in das Herz gelegt, und jenes Gesetz, welches auf die Ewigkeit hinzeigt, vergebens der Vernunft eingeflößt? Warum soll ich über das von ihren eigenen Wirkungen verschleierte Reich der Urkräfte klügeln, da ich's nie entschleiern, und also auch nie darthun kann, die Kraft, die ich mein Selbst nenne, höre auf zu sein, wenn die Form meines Körpers auseinander fällt? Warum soll ich glauben, daß diejenige tote Kraft, welche eine Erscheinung bewirkt, die ich Sonnenstäubchen nenne, vom Anbeginn der Dinge war und ewig bleiben wird; daß hingegen die Kraft, welche ich mein Ich nenne und welche die erhabensten Wirkungen hervorbringt, bald und für immer anhöre? Es war von jeher ein unendlicher Mißgriff der Schulgelehrten, wenn sie Kenntnisse über die Natur des menschlichen Geistes und über die wechselseitigen Einwirkungen der Seele und des Körpers sammeln wollten, um zu Beweisen für oder wider die Unsterblichkeit zu gelangen. Diese weisen Meister sahen die Seele etwa so wie ein Gebäude an, dessen längere oder kürzere Dauer sich aus der Zusammensetzung der Materialien, oder deren Güte erkennen ließe. Alle jene Bemühungen sind bis auf den heutigen Tag fruchtlos geblieben, weil sie unbesonnen und kindisch waren; die Natur der Seele an