Das Feuer. Henri Barbusse. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henri Barbusse
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783849605438
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aus wasserdichtem Stoff hergestellt und eignen sich vorzüglich zum Aufbewahren des Knasters. Andere aber bergen ihren Tabak einfach in den Tiefgründen ihrer Manteltasche.

      Die Raucher spucken im Kreis herum gerade auf den Eingang des Unterstandes zu, in dem das Gros des halben Zuges haust und überschwemmen mit gelber Nikotinspucke gerade die Stelle, wo man auf Händen und Knieen ein- und auskriecht.

      *

      Ein Brief, den Marthereau von seiner Frau erhalten hat, bringt das Gespräch auf die Lebensmittelfrage.

      – Meine Alte hat mir geschrieben, sagt Marthereau. Wisst ihr, was ein leibhaftiges Mastschwein kostet, jetzt?

      … Die volkswirtschaftliche Frage artet in einen heftigen Streit zwischen Pépin und Tulacque aus.

      Die endgültigsten Worte sind ausgetauscht worden, und schliesslich meint einer:

      – Mir doch Wurst, was du sagst und was du nicht sägst. Halt's Maul!

      – Wenn's mir passt, Scheisskerl!

      – Ein drei Liter-Krug möcht dir s'Maul zufrieden stellen!

      – Ja, und wo hast du den?

      – Komm nur her, komm her doch!

      Sie sind schäumend vor Wut und rücken zähneknirschend aufeinander los. Tulacque fasst sein prähistorisches Beil und seine zweideutigen Augen werfen Blitze von sich. Der andere steht da, bleich, mit grünlichem Auge und dreckiger Fratze und denkt offensichtlich an sein Messer.

      Lamuse aber, mit blutrotem Gesicht streckt seine friedliche Hand, dick wie ein Kinderkopf, zwischen beide Männer, die sich mit den Blicken auffressen und mit Worten zerfleischen.

      – Langsam, langsam, Kinder; ihr werdet euch doch nicht in Fetzen hauen; 's wär, weiss Gott, schade drum.

      Dann treten auch die anderen dazwischen und die beiden Gegner werden von einander getrennt. Beide aber werfen sich über die Kameraden hinweg wütende Blicke zu.

      Pépin spuckt noch seine letzten Flüche aus mit giftigem und schnaubendem Tonfall:

      – Der Apache, der Halunke, der Stromer! Nur abwarten, ich werd's ihm schon heimzahlen!

      Seinerseits vertraut sich Tulacque dem Soldaten an, der neben ihm steht:

      – Der Lumpenkerl! Hast du ihn gesehn? Weisst du, richtig ist das schon: man verkehrt hier mit allerlei Kerlen und weiss nicht, woher das Pack alles herkommt. Man kennt einander und kennt einander eben doch nicht. Aber wenn der die grosse Schnauze haben will, so ist er an die richtige Adresse geraten: ich werde sie ihm dieser Tage schon mal demolieren, nur Geduld.

      Während dann die Unterhaltung allgemein wieder in Gang kommt und sie das aussterbende Doppelecho übertönt, sagt Paradis zu mir:

      – Also alle Tage; gestern wollte Plaisance ums Verrecken dem Furnex auf die Schnauze geben, weiss der Teufel weshalb, wegen Opiumpillen oder so was. Und wenns der eine nicht ist, dann ist es der andere. Wird man hier wirklich zum Stück Vieh, weil man äusserlich danach aussieht?

      – Gott, das sind doch alles keine seriösen Leute, meint Lamuse, Kinder sind sie alle.

      – Na, ja, 's wären doch sonst keine Männer.

      *

      Der Tag ist unterdessen vorgeschritten. Ein wenig mehr Licht sickert durch den Dunst auf die Erde; aber der Himmel bleibt bewölkt und jetzt schmilzt er zu Wasser. Der feuchte Dunst fällt in dünnen Fäden auf das Land. Es sickert Feuchtigkeit. Der Wind streicht über uns seine grosse nasse Leere mit verzweifelnder Trägheit. Unterm Nebel und den feuchten Tropfen weicht alles auf und wird grau: sogar der Möbelstoff, den sich Lamuse über die Backen zieht, und die gelbe Schale in der Tulacque steckt; und das Dunstwasser löscht in uns die helle Freude, die die Mahlzeit angefacht hatte. Der Himmel hat sich auf die Erde gedrückt, und so lehnt sich das Feld der Trübsal an den Acker des Todes.

      Und man steht da wie angewachsen und ohne Beschäftigung. Heute wird das Ende des Tages wieder kaum zu erreichen und der Nachmittag schwer zu erwürgen sein. Man schlottert; alles ist ungemütlich und man drückt sich von Stelle zu Stelle, wie eingepferchtes Vieh.

      Cocon erklärt seinem Nachbarn die Anlage und die Verquickung unserer Schützengräben. Er hat einen Hauptplan gesehen und sich darnach manches ausgerechnet. Der Sektor des Regimentes begreift fünfzehn Linien französischer Schützengräben; die einen stehen leer; das Gras ist wieder drüber gewachsen und sie sind fast wieder mit Erde ausgefüllt; die anderen werden andauernd offen gehalten und sind gespickt mit Menschen. Diese Parallelgräben sind verbunden durch unzählige Verbindungsschläuche, die sich durch die Erde winden wie alte Gassen. Das Grabennetz ist bedeutend dichter, als wir glauben, wir, die wir selbst drin leben. Auf die fünfundzwanzig Kilometer Breite, die die Front der Armee ausmachen, kommen tausend Kilometer Gräben; Schützengräben, Verbindungsgräben, Sappen. Und das französische Heer hat zehn Armeen. Es sind demnach auf französischer Seite rund zehntausend Kilometer Gräben zu rechnen und ebensoviel auf deutscher Seite … Und die französische Front ist ungefähr nur der achte Teil der ganzen Kriegsfront, die sich über die Erde erstreckt.

      So spricht Cocon und schliesst seine Rede mit der Bemerkung:

      – Kannst Dir nun ausrechnen, was unsereins in der ganzen Geschichte vorstellt …

      Der arme Barque senkt das Haupt. Er hat das bleichsüchtige Gesicht eines Vorstadtkindes, und seine roten Schnauzhaare lassen es noch blasser erscheinen. An seinem Schädel aber sitzt ein Haarbüschel wie ein geschwungener Apostroph.

      Bei Gott, wenn man's überlegt, dass ein oder sogar mehrere Soldaten in diesem Haufen rein nichts, weniger als nichts bedeuten, dann kommt man sich wie verloren und verwischt vor, wie ein paar Tropfen Bluts in diesem sündfluthaften Durcheinander von Menschen und Dingen.

      Barque seufzt und verstummt – und dann hört man eine Geschichte, die einer in dieser Lautlosigkeit halbleise erzählt:

      – Er war mit zwei Pferden gekommen. Pssiiii … eine Granate. Dann blieb ihm nur noch das eine Pferd …

      – Man vergeht vor Langeweile, sagt Volpatte.

      – Man muss durchhalten, murrt Barque.

      – Wofür? fragt Marthereau, skeptisch.

      – Es braucht keinen Grund, man muss einfach.

      – Es hat auch keinen Grund, versichert Lamuse.

      – Freilich hat's einen, sagt Cocon. Und zwar … es hat sogar mehrere …

      – Klappe zu! Es ist besser, es hat keinen, da man nun doch mal aushalten muss.

      – Und wenn ich's euch sage, knurrt Blaire, der keine Gelegenheit verpasst, seinen Vers aufzusagen: und wenn ich's euch sage, dass sie unsre Haut wollen!

      – Anfangs, sagt Tirette, hab ich über allerlei nachgedacht, ich studierte, ich berechnete: jetzt denk ich überhaupt nicht mehr.

      – Ich auch nicht.

      – Ich auch nicht.

      – Ich, ich hab's überhaupt nie versucht.

      – Du bist doch nicht so dumm, wie du aussiehst, du Wanzenfratze, meint Mésnil André mit seiner spöttischen Fistelstimme.

      Der andere, der nicht weiss, ob er sich geschmeichelt fühlen soll, führt weiter aus:

      – Erstens, wissen kannst du überhaupt nichts.

      – Es genügt dies eine zu wissen, nämlich dass die Deutschen im Land sind, eingewurzelt, und dass ihnen die Passage versperrt bleiben muss und dass man sie