»O, die will ich dir besorgen,« tief die Kleine hocherfreut.
»Dann komm,« rief Jule begeistert aus, »wir wollen uns gleich eine holen!« Schon hielt et die Türklinke in der Hand, da hob Pommerle warnend den Finger.
»Aber, Jule, wir haben doch gerade versprochen, daß wir nicht wieder davonlaufen wollen. – Hast du das schon wieder vergessen?«
»Wir gehen doch aber nicht weit.«
»Macht nichts, wir wollen trotzdem erst fragen.«
Der Knabe schmollte, sah aber ein, daß Pommerle recht hatte.
»Dann kaufst du mir in Hirschberg zwei Lakritzen,– – ja?«
»Das will ich machen.«
»Na, dann ist es gut. Ich werde dich auch nicht mehr allein zur Schneekoppe gehen lassen. Ich laufe immer neben dir her, und wenn wir mal wieder in die Berge kommen, wirst du dich ganz bestimmt nicht wieder verlaufen. Dann passe ich auf dich auf.«
Die Stimme des Professors ertönte aus dem Nebenzimmer: »Jetzt rasch angezogen, die Zeit drängt!«
»Siehst du,« sagt« Pommerle, »das wäre wieder eine schlimme Geschichte geworden, wenn wir wieder davongelaufen wären.«
Wieder hörte man Onkel Bender im Nebenzimmer: »Wo ist denn nur mein Mantel? Habe ich den vielleicht unten hängen lassen?«
Er suchte nach dem Mantel, auch Frau Bender suchte nach ihrer Jacke. Schließlich bemerkte sie noch das Fehlen ihrer Reisekappe. Sie rief Jule.
»Jule, lauf doch mal rasch hinunter und sieh nach, ob unten im Speisesaale am Garderobenhalter unsere Mantel hängen.«
»Da hängen sie nicht,« sagte der Knabe strahlend.
»Sieh nur erst einmal nach, Jule.«
»Nee, da hängen sie bestimmt nicht.«
»Weißt du denn, wo sie hängen?«
»Die hängen überhaupt nicht.«
»So rede doch vernünftig, Junge. – Hast du unsere Mäntel gesehen?«
Der Knabe nahm die schweren Rucksäcke und hielt sie Frau Bender hin. »Eingepackt sind sie, und das habe ich gemacht.«
»Du hast unsere Mäntel in die Rucksäcke gepackt?«
»Jawohl, ich ganz allein.«
»Aber, Jule!« In aller Eile packte man die Rucksäcke aus. Vollkommen zerdrückt kamen die Kleidungsstücke zum Vorschein.
Jules Augen leuchteten. »Habe ich das nicht fein gemacht?«
»Es war gut gemeint,« sagte Frau Bender mit einem Seufzer und besah sich das ganz zerdrückte Stück.
»Nun rasch, der Omnibus steht bereits unten.« In größter Eile wurden die Rucksäcke wieder gepackt, dann stieg man die Treppe hinunter, setzte sich in den Omnibus, um zum Bahnhofe zu fahren. Der Ausflug in die Berge war beendet, es ging wieder zurück nach Hirschberg.
Pommerle will die Hungernden speisen
Nun war man wieder daheim in Hirschberg. Pommerle bemühte sich, recht brav zu sein, denn gar zu schrecklich stand die Erinnerung an jene Stunden, in denen es umhergeirrt war, vor seinen Augen. Nicht nur in der Schule gab sich das Kind die größte Mühe, es versuchte auch daheim der Tante zu helfen und äußerte eines Tages den Wunsch, auch Sticken und Nähen zu lernen, damit sie der Puppe und später einmal der Tante die Kleider machen könnte.
»So ist es recht, mein Pommerle,« lobte Frau Bender, »wir wollen zunächst mit einer Stickerei anfangen. Ich werde dir zeigen, wie du es zu machen hast, und später kannst du dann allein viele kleine, niedliche Sachen arbeiten.«
Pommerle freute sich über diese Aussicht. Es wußte, daß die Tante im Sommer Geburtstag hatte, und nahm sich vor, ihr mit einer Handarbeit eine Freude zu machen. Pommerle wollte sich dabei ganz besondere Mühe geben und etwas Wunderschönes sticken.
Sie vertraute sich dem Onkel an, und der Professor versprach dem Kinde, in ein Handarbeitsgeschäft zu gehen und dort etwas auszuwählen. Nun drängte Pommerle an jedem Tage, und so entschloß sich Professor Bender eines Nachmittags zum Einkauf. Man ging in eines der Handarbeitsgeschäfte. Das Kind staunte über die vielen schönen Sachen, die hier ausgestellt waren. Ganz besonders fiel ihm ein gesticktes Sofakissen in die Augen.
»So etwas kann ich wohl noch nicht machen, Onkel?«
»Nein, Pommerle, das kannst du noch nicht, aber wenn du größer geworden bist und schon viel gestickt hast, machst du es auch.«
Schließlich wählte man ein Nadelkissen, das mit einfachen Stichen zu verzieren war. Die Verkäuferin zeigte dem Kinde, wie es die Stickerei auszuführen hatte, und nun konnte es die Kleine kaum erwarten, um mit der Arbeit zu beginnen. Die Tante durfte freilich davon gar nichts wissen. Es sollte doch eine Geburtstagsüberraschung werden.
»Onkel, – du darfst der Tante aber nichts sagen.«
»Nein, nein, Pommerle, wir wollen sie damit doch überraschen.«
»Schenkst du der Tante auch etwas?«
»Freilich, mein Kind.«
»Was schenkst du ihr denn?«
»Schöne neue Gardinen, Kaffeetassen und einen Sommerhut.«
»O, so viel! – Schenkst du mir auch etwas, Onkel, wenn ich Geburtstag habe?«
»Aber natürlich, Pommerle.«
»Was schenkst du mir denn dann?«
Er nahm die Kleine auf seine Knie und sagte: »Gerade an deinem Geburtstag fahren wir nach Pommern.«
»O–o–o–o!«
Pommerle umarmte den Onkel stürmisch.
»An die Ostsee!«
»Und bleiben volle vier Wochen dort.«
»An die See, an meine liebe Ostsee! Ach, Onkel, was wird mir die See alles zu erzählen haben! – Onkel, wann ist denn mein Geburtstag?«
»Da mußt du noch fünfzigmal schlafen gehen.«
»Wenn ich nun gleich schlafen gehe, lieber Onkel, kommt es dann schneller?«
»Nein, Pommerle, es muß erst fünfzigmal Abend werden und fünfzigmal wieder Morgen.«
Das Kind seufzte. »Ach, das ist doch noch sehr lange, Onkel!«
»Das ist gar nicht so schlimm, Kleines, die Zeit vergeht so rasch!«
Pommerle überlegte. »Sag' mal, Onkel, – kann der liebe Gott alles?«
»Ja, mein Kind, er kann alles!«
»Dann will ich ihn gleich nachher furchtbar bitten, daß er die fünfzig Tage ganz rasch vorübergehen lässt. Vielleicht können wir dann bald fahren.«
»Erst wollen wir doch den Geburtstag der Tante feiern. Erst willst du ihr doch das Nadelkissen schenken.«
Mit einem Satz sprang das Kind von den Knien des Onkels herunter.
»O, ich muß ja sticken, sonst werde ich nicht fertig.«
So saß denn Pommerle jetzt öfters im Garten auf einer durch Gebüsch versteckt gelegenen Bank und stickte. Eines Tages erschien Jule. Er brachte seiner kleinen Freundin einen Strauß Anemonen.
»Für dich,« sagte der Knabe. »Weißt du, wo ich die her habe?«
»Sag'!«