Gesammelte Werke. Alfred Adler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Adler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027241484
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sehr früh auftauchende Erscheinung, die eine große Wirksamkeit verrät und auch entfaltet. Es sind die Schlafträume. Im allgemeinen kann man feststellen, daß sich in ihnen die gleiche Methode des Kindes, zu träumen, wiederfindet, wie in den Tagträumen. Alte, erfahrene Psychologen haben darauf hingewiesen, daß sich aus den Träumen des Menschen sein Charakter leicht enthüllen lasse. In der Tat ist der Traum eine Erscheinung, die das Denken des Menschen zu allen Zeiten außerordentlich in Anspruch genommen hat. Wie die Tagträume Erscheinungen sind, die das Voraussehenwollen begleitet, die auftreten, wenn sich der Mensch damit beschäftigt, einen Weg in die Zukunft zu bahnen und ihn sicher zu gehen, so ist es auch mit den Schlafträumen. Der auffallende Unterschied ist, daß man Tagträume zur Not noch versteht, während dies bei den andern Träumen sehr selten der Fall ist. Diese Unverständlichkeit ist eine besondere Merkwürdigkeit und man wird leicht versucht sein, darin ein Zeichen der Oberflüssigkeit solcher Erscheinungen zu vermuten. Vorläufig sei hervorgehoben, daß sich auch in den Träumen wieder dieselbe Machtlinie eines Menschen zeigt, der die Zukunft festhalten will, der vor einer Frage steht und deren Bewältigung anstrebt. Sie liefern uns bei der Betrachtung des Seelenlebens wichtige Handhaben, auf die wir noch zurückkommen werden.

      5. Einfühlung

       Inhaltsverzeichnis

      Bei der Funktion des Voraussehens, die bei beweglichen Organismen eine unerläßliche Notwendigkeit ist, weil sie immer vor Fragen der Zukunft gestellt sind, kommt dem seelischen Organ noch die Fähigkeit zu Hilfe, nicht nur zu empfinden, was in der Wirklichkeit ist, sondern auch zu fühlen, zu erraten, was etwa in der Zukunft sein wird. Man nennt diesen Vorgang »Einfühlung«. Diese Fähigkeit ist bei den Menschen außerordentlich stark entwik-kelt. Sie ist ein so weit reichender Vorgang, daß man sie an jeder Stelle des Seelenlebens findet. Bedingung ist auch hier die Notwendigkeit zur Voraussicht; denn wenn ich genötigt bin, mir vorzustellen, zu denken, wie ich mich im Falle einer auftauchenden Frage benehmen werde, so bin ich auch gezwungen, über jene Empfindungen ein festes Urteil zu bekommen, die sich aus der gegenwärtig noch nicht herangereiften Situation ergeben könnten. Erst durch das Zusammenfassen des Denkens, Fühlens und Empfindens einer erst zu erlebenden Situation kann wieder ein Standpunkt gewonnen werden, etwa der, einen bestimmten Punkt entweder mit besonderer Kraft anzustreben, oder ihm mit besonderer Vorsicht auszuweichen. Einfühlung kommt schön zustande, wenn man mit jemand spricht. Es ist unmöglich, mit einem Menschen Fühlung zu bekommen, wenn keine Einfühlung in die Lage des andern vorhanden ist. Eine besondere künstlerische Ausgestaltung erfährt die Einfühlung im Schauspiel. Weitere Erscheinungen der Einfühlung sind die Fälle, in denen den Menschen ein eigentümliches Gefühl überkommt, wenn er merkt, daß einem andern irgendeine Gefahr droht. Hier ist die Einfühlung manchmal so stark, daß man unwillkürlich selbst, obwohl nicht gefährdet, Abwehrbewegungen ausführt. Bekannt ist ferner die zurückziehende Bewegung, die man mit der Hand ausführt, wenn man z. B. ein Glas fallen läßt. Oft kann man beim Kegelschieben beobachten, wie einzelne Spieler gleichsam die Bewegung der Kugel mitmachen wollen, sie mit ihrem ganzen Körper vorwegnehmen, als ob sie deren Lauf dadurch beeinflussen wollten. Weitere Erscheinungen sind die Gefühle, von denen man befallen wird, wenn man jemand in einem hochgelegenen Stockwerk Fenster putzen sieht, oder wenn man erlebt, daß ein Redner das Unglück hat, stecken zu bleiben. Im Theater wird man es kaum vermeiden können, mitzufühlen und die verschiedensten Rollen in seinem Innern mitzuspielen. — Unser gesamtes Erleben hängt also mit der Einfühlung innig zusammen.

      Suchen wir danach, wo diese Funktion ihren Ursprung hat, diese Möglichkeit, so zu empfinden, als ob man ein anderer wäre, so finden wir die Erklärung nur in der Tatsache des angeborenen Gemeinschaftsgefühls. Diese ist eigentlich ein kosmisches Gefühl, ein Abglanz des Zusammenhanges alles Kosmischen, das in uns lebt, dessen wir uns nicht ganz entschlagen können und das uns die Fähigkeit gibt, uns in Dinge einzufühlen, die außerhalb unseres Körpers liegen.

      Wie es verschiedene Grade des Gemeinschaftsgefühls gibt, gibt es auch verschiedene Grade der Einfühlung, die man ebenfalls schon im Kindesalter beobachten kann. Es gibt Kinder, die sich mit Puppen so beschäftigen, als ob es lebendige Wesen wären, während andere vielleicht nur das Interesse haben, nachzusehen, was darinnen ist. Durch Ablenken der Gemeinschafts­beziehungen von den Mitmenschen auf leblose oder wenig wertvolle Dinge, kann die Entwicklung eines Menschen sogar völlig zum Scheitern gebracht werden. Fälle von Tierquälerei, die man so oft bei Kindern beobachtet, sind nur denkbar bei Annahme eines fast völligen Mangels von Einfühlung in das Empfinden anderer Wesen. In weiterer Folge können solche Kinder dazu gelangen, sich für Dinge zu interessieren, die für ihre Entwicklung zum Mitmenschen bedeutungslos sind, Interessen anderer völlig zu übersehen und nur an sich zu denken. Alle diese Erscheinungen hängen mit dem geringen Grade der Einfühlung zusammen. Schließlich kann Mangel an Einfühlung dazu führen, die Aufnahme der Mitarbeit völlig zu verweigern.

      6. Einwirkung eines Menschen auf den andern

       (Hypnose und Suggestion)

       Inhaltsverzeichnis

      Die Frage, wieso Einwirkungen auf einen anderen Menschen überhaupt Zustandekommen können, ist im Sinne der Individualpsychologie dahin zu beantworten, daß es sich auch hier um Zusammenhangserscheinungen handelt. Unser ganzes Leben rollt unter der Voraussetzung ab, daß gegenseitige Einwirkung möglich ist. Dieselbe ist in gewissen Fällen ganz besonders akzentuiert, wie im Verhältnis von Lehrer und Schüler, Eltern und Kindern, Mann und Frau. Unter dem Einfluß des Gemeinschaftsgefühls besteht bis zu einem bestimmten Grade ein Entgegenkommen gegenüber Einwirkungen eines andern. Der Grad dieser Beeinflußbarkeit ist aber auch davon abhängig, inwiefern die Rechte des zu Beeinflussenden durch den Beeinflusser sichergestellt erscheinen. Eine dauernde Einwirkung auf einen Menschen, dem man Unrecht tut, ist ausgeschlossen. Man wird auf ihn dann am besten einwirken können, wenn der andere in eine Stimmung versetzt ist, in der er sein eigenes Recht als gewährleistet empfindet. Das ist besonders für die Erziehung ein wichtiger Gesichtspunkt. Es ist möglich, eine andere Form von Erziehung vorzuschlagen oder gar durchzuführen. Eine Erziehung, die diesen Gesichtspunkt berücksichtigt, wird deshalb wirksam sein, weil sie an das Ursprünglichste anknüpft, an das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Sie wird nur dann versagen, wenn es sich um einen Menschen handelt, der sich absichtlich dem Einfluß der Gesellschaft zu entziehen sucht. Auch dies tut er nicht ohne weiteres; es muß ein längerer Kampf vorausgegangen sein, in dessen Verlauf sich allmählich seine Zusammenhänge mit der Umwelt gelöst haben, so daß er also in voller Opposition gegen das Gemeinschaftsgefühl dasteht. Dann ist jede Art von Einwirkung erschwert oder unmöglich und man erlebt das Schauspiel, daß ein Mensch jeden Versuch einer Einwirkung mit einer Gegenaktion beantwortet (Oppositionsgeist).

      Wir dürfen daher bei Kindern, die sich durch ihre Umgebung irgendwie bedrückt fühlen, erwarten, daß sie eine geringere Fähigkeit und Neigung haben werden, Einwirkungen ihrer Erzieher Folge zu leisten. Wohl gibt es zahlreiche Fälle, wo der Druck von außen so stark ist, daß er alle Widerstände hinwegfegt, wo scheinbar jede Einwirkung aufgenommen und befolgt wird. Man kann sich aber bald überzeugen, daß diesem Gehorsam keinerlei Wert zuerkannt werden darf, der fruchtbar wird. Manchmal tritt er in einer derartig grotesken Weise auf, daß er für das Leben unfähig macht (blinder Gehorsam), so daß man einen Menschen vor sich hat, der immer darauf wartet, daß man ihm die notwendigen Handlungen und Schritte befiehlt. Die große Gefahr, die diese weitgehende Unterwerfung in sich birgt, kann man an dem Umstand ermessen, daß aus diesen Kindern oft jene Menschen hervorgehen, die jedem gehorchen, der sie einmal in die Gewalt bekommt und auf Befehl sogar Verbrechen begehen. Sie spielen besonders in den Banden eine unheimliche Rolle, weil sie immer die ausführende Rolle spielen, während sich der Kopf der Bande meist abseits hält. Fast bei jeder auffälligen Strafhandlung, die von einer Bande begangen wurde, war ein derartiger Mensch das ausführende Organ. Solche Menschen legen einen unglaublich weitgehenden Gehorsam an den Tag und können darin sogar eine Befriedigung ihres Ehrgeizes empfinden.

      Wenn wir uns aber bloß an die normalen Fälle der Einwirkung