»Dann muß Vater uns eben einen Botenjungen halten!«
»Ach Gott, Evchen, sage doch bloß das nicht! So ein fremder Bengel im Haus, und überall schnüffelt er herum, und nichts kann man offen liegenlassen, alles kommt weg …«
Sie bricht ab und wirft einen halb verlegenen, halb hilfeflehenden Blick auf den stummen Sohn am Fenster.
Statt seiner sagt Eva: »Ach, du meinst wegen Erich, Mutter? Hab dich man nur nicht so! – Der ist besorgt, den läßt Vater nicht eher aus dem Keller, bis er ganz kusch ist.«
»Aber er kann doch nicht – Tage und Wochen …«, sagt die Mutter hilflos. Wieder sieht sie zu dem Sohn hinüber. »Sag du doch ein Wort, Ottchen! Du meinst doch auch …«
»Habe ich das Geld genommen?« ruft Eva und dünkt sich sehr klug. »Jeder muß seine eigene Suppe ausfressen, da kann ich ihm nicht helfen.«
»So bist du immer gewesen, Eva!« ruft die Mutter, aber nur kläglich. »Bloß an dich hast du immer gedacht! Du sagst, Erich hat Geld genommen – aber wieviel Schmugeld hast du bei den Einkäufen …?«
»Ich …«, fängt Eva an, völlig verblüfft, daß die Mutter klüger gewesen ist, als sie geglaubt hat.
Aber bei der ist der schwache Zorn schon wieder vorüber. »Ich gönne es dir ja, Kind«, ruft sie weinend. »Du sollst doch auch etwas von deinem Leben haben! Aber sieh mal, Evchen«, fängt sie schmeichelnd an, »wenn ich dich nicht verrate, könntest du auch was für Erich tun …«
»Ich habe kein Geld genommen«, protestiert Eva für alle Fälle, »ich tu so was nicht.«
»Siehst du, Evchen, du bist doch nun mal Vaters Liebling, bei dir drückt er eher mal ein Auge zu. Wenn du in den Keller gingst und Erich freiließest? Otto sagt, die Schlösser schlägt man leicht mit Meißel und Hammer entzwei …«
»Und warum geht dann nicht der große Otto in den Keller und läßt Erich frei, wenn er so klug ist? Und warum gehst du nicht selber, Mutter? Du bist doch die Mutter! Nein, daraus wird nichts. Ich soll eure Dumme sein – aber das bin ich nicht! Von meinswegen kann der Erich da sitzen, bis er so schwarz wird wie die Preßkohlen. Da freue ich mich bloß!«
Damit schoß Eva noch einen triumphierenden Blick auf Mutter und Bruder, rief: »Und ihr laßt auch besser die Finger davon!«, fischte sich die Markttasche aus Wachstuch und schlüpfte aus der Küche.
Die beiden Zurückbleibenden sahen einander trostlos an, dann senkte die Mutter den Kopf, und mechanisch fing sie wieder an, im Topfe zu rühren …
»Und wenn er raus ist, wo soll er dann hin, Mutter?« fragte Otto schließlich. »Er kann dann doch nicht hier im Haus bleiben.«
»Vielleicht kann er eine Weile bei einem Freund wohnen, bis Vater sich beruhigt.«
»Wenn Erich fortläuft, verzeiht Vater ihm nie. So lange kann er nicht bei einem Freund bleiben.«
»Wenn er nun was arbeitet?«
»Arbeiten hat er nicht gelernt. Und er ist auch zu schwach für Körperarbeit.«
»Dazu hat man nun Kinder gekriegt …«, fing die Mutter wieder an.
»Vielleicht ließe ich ihn raus«, sagte Otto schließlich. »Aber wo man gar nicht weiß, wo er bleiben soll … Und Geld haben wir auch nicht.«
»Siehst du!« rief Frau Hackendahl aufgeregt. »Da ist man nun die Frau von einem reichen Mann, und glaubst du, daß ich je eine Mark für mich gehabt habe? Nie! In meiner ganzen Ehe nicht! Aber so ist dein Vater, Ottochen, was war er denn, bloß ein Wachtmeister – und ich habe ihm das ganze Fuhrgeschäft zugebracht …«
»Was hat es denn für Sinn, über Vater zu schelten? Vater ist so, wie er ist; und du bist so, wie du bist; und ich bin, wie ich bin …«
»Ja, und darum stehst du da und tust nichts und guckst bloß, und am liebsten säßest du wieder auf der Futterkiste bei deinem Rabause und schnitzeltest was aus Holz. Deinetwegen könnte die Welt untergehen und dein Bruder sterben und verderben …«
»Keiner kann aus seiner Haut«, sagte Otto ungerührt. »Mich hat der Vater, weil ich der Älteste bin, zuerst und am meisten in der Mache gehabt, und so bin ich denn wohl so geworden, wie er mich haben wollte. Ich kann mich nicht mehr ändern.«
»Ich«, rief die Mutter und kam wirklich in Bewegung, »ich hab am längsten mit Vatern gelebt, viel länger als du, mit mir hat er am meisten geschrien. Aber wenn ein Kind von mir in Not ist, dann stehe ich doch auf.« (Sie tat es.) »Und wenn keiner meinem Erich helfen will, dann tu ich es. Lauf, Ottchen«, sagte sie entschlossen, »bring mir Handwerkszeug, womit ich die Schlösser aufkriegen kann. Dann mach, daß du in den Stall kommst, damit du nicht dabeigewesen bist und nichts wissen mußt. – Ich habe auch Angst vor Vatern – aber nur Angst, nein, dann möchte ich doch nicht mehr leben …«
13 Wettrennen zwischen Pferd und Auto
Der alte Hackendahl hatte es sich mit seinen sechsundfünfzig Jahren nie nehmen lassen, Tag für Tag, Sommer und Winter, bei Schnee und Sonnenschein, noch selbst auf den Bock seiner Droschke zu steigen. Freilich, jeden Beliebigen fuhr er nicht, das hatte er nicht nötig. Aber die Stammkundschaft fuhr er, die Herren, die sich Tag für Tag nur vom alten Hackendahl auf ihr Büro, in ihre Bank, zum Ordinationszimmer fahren lassen wollten.
»Denn so wie Sie, fährt eben doch keiner, Hackendahl! Immer pünktlich auf die Minute, und dann im schlanken Trabe durch, und dabei kein Gejachter mit Peitschengeknall und Gejohle, und vor allem nie Streit mit diesen neumodischen Automobilen!«
»I wo denn, Herr Kammergerichtsrat! Zu was denn Streit? Mit solchen Benzinstinkern mache ich mich nicht gemein, Herr Kammergerichtsrat! Das sind doch alles bloß Todeskandidaten, und in zehn Jahren weiß kein Mensch mehr was von ihren Töfftöffs. Da ist die Mode vorbei. Die jagen, Herr Kammergerichtsrat, aber bloß, daß sie schneller in die Grube jagen …«
So sprach Hackendahl mit seiner Stammkundschaft, und wie er sprach, so dachte er auch. Wenn er die Autos nicht ausstehen konnte, so nur, weil sie ihm seine guten Pferde nervös machten mit ihrer Huperei und Stinkerei und Raserei … Sein braver Schimmel konnte ganz von Sinnen werden über die klapprigen Blechdinger, das Gebiß zwischen die Zähne nehmen und ab – in voller Karriere und Bauch auf die Erde. Und das liebte nun wieder Hackendahls Alte-Herren-Fahrkundschaft nicht.
Als Hackendahl an diesem Vormittag in die Bendlerstraße kam und bei der Villa des Geheimen Sanitätsrats Buchbinder vorfuhr, war er darum auch gar nicht erfreut, daß da solch Automobil vor der Türe stand. Der Schimmel stutzte. Und bockte und wollte gar nicht heran an den Kantstein: Hackendahl mußte wahrhaftig runter vom Bock und den Zossen beim Kopf nehmen.
Der neben seinem Wagen wartende Chauffeur grinste natürlich höhnisch. »Na, wat is’n mit deinem Hafermotor, Jenosse?« fragte er. »Hat wohl Fehlzündung? Soll ick ihm ein bißken mit’m Schraubenschlüssel den Auspuff regulieren?«
Natürlich antwortete Hackendahl auf solche Anpflaumerei kein Wort. Er stieg wieder auf den Bock, nahm die Zügel schulgerecht in die eine, die Peitsche in die andere Hand, wobei er den Peitschenknauf aufs Knie stützte, und sah nun ganz so vornehm hochherrschaftlich aus wie sein Kollege aus dem Kaiserlichen Marstall.
Der Chauffeur beäugte ihn kritisch. »Fein«, sagte er dann. »Fein mit Ei. Noch zehn Jahre, Jenosse, und se holen dir mit Bürjermeister und weißer Ehrenjungfrau als letzte Pferdedroschke erster Jüte durchs Brandenburger Tor ein. Und denn stopfen se dir aus und stellen dir ins Märkische Museum, nee, in de Naturjeschichte in der Invalidenstraße – da stellen se dir gleich neben den jroßen Menschenaffen aus’m Urwald …«
Der langsam über dieser echt berlinischen Pöbelei blaurot anlaufende Hackendahl hätte nun doch wohl sehr kräftig seine Meinung über Menschenaffen gesagt, aber aus der Villa kam der Geheime Sanitätsrat Buchbinder, mit einem jungen Mann. Vorschriftsmäßig, die Augen stramm geradeaus gerichtet, tippte Hackendahl mit der Peitsche zum Gruß gegen seinen Lackzylinder. Der Chauffeur natürlich lümmelte sich nur langsam an seine Wagentür und sagte bloß: »Mojen!«
»Guten