Der eiserne Gustav. Hans Fallada. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Серия: Hans-Fallada-Reihe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961188826
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benommen«, sagte der Professor in eine tiefe, atemholende Stille hinein. Er war blaß vor Zorn, sein rotes Haar flammte. »Nicht allein ist es undeutsch, einem anderen ein körperliches Gebrechen vorzuwerfen.« Er sprach Deutsch nur, als übersetze er es aus dem geliebten Latein. »Es ist auch schmählich, bei allen Völkern des Erdballes, selbst bei den Engländern! Es ist überall schmählich. Herr Kandidat Tulieb ist lungenleidend. Er müßte in einer Heilstätte sein, er unterrichtet euch, weil Not am Mann ist. Man kann nicht nur draußen auf dem Felde der Ehre sterben. – Oh, Schmach …!«

      Er stand oben, flammend, sie saßen unten. Manche hielten die Köpfe gesenkt, andere sahen verloren zum Fenster hinaus. Aber es gab auch einige, die den geliebten, nun so zornigen Lehrer offen ansahen.

      »Die drei«, sprach Professor Degener, »die sich am schuldbeladensten fühlen, werden sich jetzt in das andere Klassenzimmer begeben und sich vor versammelter Untertertia bei Herrn Tulieb entschuldigen. Sie werden ihn um Verzeihung bitten, wohlverstanden – keine Redensarten, Jungen, sondern Bekenntnis eurer Schuld und Reue. Reue!«

      Er sah wieder über seine Klasse.

      »Ich selbst werde jetzt das Klassenzimmer verlassen und erst nach fünf Minuten hierher zurückkehren. Unterdes wird die Klasse darüber einig geworden sein, welche Strafe sie sich selbst für ihr schmähliches Verhalten auferlegt …«

      »Au Backe, das haut hin …«, flüsterte einer gedankenverloren.

      »Fünf Minuten!« rief der Professor und lief, nach einem Blick über seine Schäflein, auf dünnen Beinchen unter dem Ostereierbauch aus dem Klassenzimmer.

      »So ein Aas!« sagte einer bewundernd.

      »Nicht diese Töne, Lieber«, sprach der nächste und schlug den ersten auf den Bizeps. »Degener hat ganz recht. Wer geht Abbitte leisten?«

      Sie sahen sich verlegen an.

      »Also erst mal ich«, sprach Hoffmann. »Dann – du, Hackendahl?«

      »Meinethalben! Aber ich rede nicht.«

      »Und ich!« sprach Porzig.

      »Nein, du nicht. Porzig. Du mußt hier über unsere Gesamtstrafe beraten. Aber denkt was Vernünftiges aus, daß Rotkopp zufrieden ist – es muß schwer sein! – Komm du lieber mit, Lindemann.«

      Sie gingen eilig. Sie klopften an. »Herein!« krähte der Kandidat Tulieb. Aber als er die drei erkannte: »Ich fordere euch auf, sofort dieses Klassenzimmer zu verlassen!«

      Die Untertertia sah schadenfroh auf die drei Büßer.

      »Hoffmann und Hackendahl in Canossa!« rief einer ziemlich laut.

      »Holt Schnee, es kniet sich kühler.«

      »Herr Kandidat, wir kommen …«

      »Wollt ihr nicht einmal jetzt gehorchen?! Ihr sollt dies Zimmer verlassen! Ich will euch nicht sehen …«

      Er war kein edelmütiger Sieger, der Herr Kandidat Tulieb, nein, das war er nicht …

      »Wir haben uns wie die Schweine benommen«, sagte Hoffmann rauh. »Wir bitten um Verzeihung …«

      »Verzeihung, das ist leicht gesagt …«, sprach der Kandidat. »Ihr habt mich in meiner Ehre gekränkt …«

      »Verzeihen Sie uns doch, Herr Kandidat!« rief Hackendahl. »Wir werden uns von jetzt an auch anständig benehmen!«

      »Werdet ihr das?« Der Kandidat lächelte. »Ihr da von der Untertertia, seht her! Nehmt euch ein Beispiel! Das sind die traurigen Folgen des Ungehorsams …«

      Die drei stöhnten nur: »Schwein …«

      »Aber so leicht kommt ihr mir nicht davon. Hat Herr Professor Degener euch schon bestraft …?«

      »Nein.«

      »Natürlich. Er hat es mir überlassen! Ihr seid die drei Rädelsführer, ich sehe es euern Gesichtern an … Ihr werdet mir jeder dreihundertmal den Satz niederschreiben: Sunt pueri pueri, pueri puerilia tractant … Übersetze mir das, du da!«

      Heinz Hackendahl übersetzte: »Kinder sind Kinder, Kinder treiben Kindisches!«

      »Kindereien, jawohl! So schätze ich euch ein! Geht!«

      »Haben Sie uns verziehen, Herr Kandidat?« fragte Hoffmann vorsorglich.

      »Wenn ihr den Satz dreihundertmal säuberlich geschrieben morgen hier abliefert, dann ja. Eher nicht. Das könnt ihr Herrn Professor Degener sagen.«

      Die drei standen auf dem Gang, schweigend, grimmig.

      »Ich habe wohl gesehen, wie du gewackelt hast, Hackendahl«, flüsterte Lindemann. »Du warst schön wütend.«

      »War ich auch! Aber ich habe daran gedacht, daß man sich bei den Soldaten auch anbrüllen lassen muß, ohne die Miene zu verziehen. Ich habe nur ganz wenig gewackelt.«

      »Merde, da haben wir dreihundertmal Abschreiben extra weg, und wir haben kein Wort gesagt!«

      »Hauptsächlich war es Lange, das elende Schwein!«

      »Na, jetzt hilft’s nichts mehr. Wollen hören, was die anderen unterdes ausgebrütet haben.«

      Es war nichts Besonderes: Sie hatten beschlossen, einen Monat lang alle Sonntage auf den Stadtgütern bei der Ernte zu helfen, denn die Arbeitskräfte waren knapp und die Ernte weit zurück.

      »Mäßig!« erklärte Hoffmann. »Ob Rotkopp das als Strafe ansieht?«

      »Und ihr? Was habt ihr bei der Brillenschlange ausgerichtet?«

      »Ach, reden wir nicht davon …«

      Sie hatten auch keine Zeit mehr dafür, Herr Professor Degener bestieg das Katheder.

      »Ist alles geregelt? Gut. – Nein, danke, ich wünsche keine Mitteilungen. Ich bin vollkommen überzeugt, daß ihr alles anständig erledigt habt. – Statt aber nun …«, sagte er und sah die Klasse an, »statt aber nun unsern Cäsar zur Hand zu nehmen, müssen wir etwas anderes tun. Die Klasse steht auf!«

      Sie taten es.

      »Haltung! Die Klasse hört: Auf dem Felde der Ehre fielen: Günther Schwarz, bisher Oberprimaner unseres Gymnasiums, Grenadier im 3. Garderegiment zu Fuß. Herbert Simmichen, Oberprima, Kriegsfreiwilliger bei der 15. Feldartillerie, 3. Batterie. Dulce et decorum est pro patria mori …«

      Einen Augenblick Stille.

      »Die Klasse setzt sich. Ich verlese euch jetzt die Berichte der Kompanieführer über den Tod eurer Mitschüler …«

      16 Vor dem Goldverkauf

      »Es fehlt noch ein Ring. Wo hast du deinen Ring, Evchen?«

      »Ich habe doch keinen Ring, Vater!« widersprach Eva.

      »Natürlich hast du einen! Solchen mit einem braunen Stein. Nicht wahr, Mutter, Evchen hatte einen Ring …?«

      Die Mutter saß weinerlich vor dem runden Tisch in der Wohnstube, auf den der Vater alles gelegt hatte, was an Gold im Hause war: seine geliebte dicke Uhr mit der schweren Kette; die kleine, mit Emaille verzierte Uhr der Mutter, die an einer Schleife aus Gold auf der Brust getragen wurde; eine goldene Bleistifthülse; ein Paar große Manschettenknöpfe, deren Goldgehalt nicht ganz zweifelsfrei war. Ein Goldkettchen mit goldenem Kreuz, das die Sophie zur Konfirmation bekommen hatte. Die ehemals dicken goldenen Eheringe, die Zeit und Arbeit glatt und dünn geschliffen hatten. Eine goldene Brosche mit einer daranhängenden – falschen – kleinen Perle. Sieben goldene Zehnmarkstücke, fünf zu zwanzig Mark.

      An den Mauern, auf den Litfaßsäulen klebten überall die Plakate: »Gold gab ich für Eisen! Bringt euer Gold zur Goldankaufstelle!« Die Zeitungen schrieben alle Tage davon, vielfach bewundert gingen Herren herum, die schon die schmale Eisenkette statt der goldenen auf der Weste trugen.

      »Kein Stück Gold bleibt im Haus!« rief Vater Hackendahl. »Wir müssen alles abliefern! Haben wir nicht noch was? Mutter, hattest du nicht mal so kleine Dinger in den Ohren, keine Ohrringe, mehr wie Knöpfe – ich erinnere mich doch!«

      »Ach,