»Fabian wird sehr beschäftigt sein«, deutete Stella an. »Aber da unten ist es herrlich. Ihr werdet ein Haus direkt am Luganer See haben, und der September ist gerade die richtige Jahreszeit für das Tessin.«
»Aber du wirst doch nicht ohne uns heiraten, Stella?« fragte Danny.
»Natürlich nicht. Vielleicht kann ich Holger überreden, ein paar Wochen mit dorthin zu fahren. Er braucht ja Erholung.«
Wie es um Holgers Finanzen bestellt sein würde, wußte sie zwar noch nicht, aber allzu viele Sorgen machte sie sich nicht darüber. Immerhin war sie fest entschlossen, nicht gar zu schnell das traute Beisammensein der drei zu stören, denn Fabians ganzes Benehmen während dieser Tage ließ darauf schließen, daß Tammy ihm durchaus nicht gleichgültig war.
Das Tessin ist für Verliebte wie geschaffen, dachte Stella zufrieden. Aber nicht die leiseste Ahnung kam ihr, daß Gina Scholten der gleichen Ansicht sein könnte, allerdings in bezug auf ihre eigenen Ziele.
Danny war neu eingekleidet worden, und auch Tammy hatte ihre Garderobe aufgefüllt. Inzwischen hatte sie auch fleißig Deutsch gelernt.
Tammy erwies sich dabei als genauso gelehrig wie Daniel. Fabian benutzte jede Gelegenheit, ihnen neue Redewendungen beizubringen, und dadurch kamen sie einander immer näher, ohne es selbst richtig zu spüren.
Gina hatte sich nicht mehr blicken lassen. Fabian bekam eine Karte von der Cote d’Azur von ihr, die aber nur einen unpersönlichen Gruß enthielt. Er wiegte sich schon in der Hoffnung, daß sie sich glänzend amüsierte und ihn bereits aus ihrem Gedächtnis gestrichen hätte.
So trat er die Reise mit Tammy und Danny sehr optimistisch an, Stellas herzliche Wünsche begleiteten sie.
Sie waren schon in aller Frühe aufgebrochen. Es war ein herrlicher Tag, nicht zu heiß und mit einem strahlend blauen Himmel.
Als sie an einem besonders schönen Aussichtspunkt Rast machten, betrachtete Fabian voll heimlichen Entzückens Tammys gelöstes, glückliches Gesicht. Die fast kindliche Begeisterung, mit der sie alles in sich aufnahm, war für ihn beglückend. Mit leuchtenden Augen blickte sie zu ihm auf.
»Es ist wunderschön«, sagte sie. »Ich bin Ihnen so dankbar, daß ich das erleben darf!«
War sie der Welt, in der sie einmal verwurzelt gewesen war, wirklich schon so weit entrückt, daß sie vergaß, wieviel sie auch sonst erlebt hätte? War sie aber in dieser Welt überhaupt so verwurzelt gewesen, wie er es sich einzureden versuchte? Man konnte es nicht glauben, wenn man sie so sah.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Tammy, daß Sie Ihre schlechte Meinung über mich geändert haben«, erwiderte er scherzhaft.
Sie errötete. »Ich habe nie eine solche Meinung gehabt, Mr. Melian. Ich habe immer versucht, Sie zu verstehen.«
Danny hatte sich etwas zu weit an den Hang gewagt. Erschrocken riß sie ihn zurück.
»Das darfst du nicht tun«, rief sie, »wenn dir etwas passieren würde.« Sie hielt ihn an sich gedrückt, und Fabian überkam ein seltsam beklemmendes Gefühl. Er konnte sich nicht mehr dagegen wehren. Er wünschte sich nur noch, sie nie mehr zu verlieren, und dies jetzt, da er endlich dabei war, das Kind für sich zu gewinnen.
»Ich bin schon vorsichtig«, versicherte Danny. »Du darfst nicht so erschrecken.«
»Du darfst uns nicht so erschrekken, Danny«, ermahnte ihn Fabian. »Im Gebirge lauern überall Gefahren. «
»Nicht nur im Gebirge«, ergänzte Tammy leise.
»Wir haben ja das Amulett«, meinte Danny zuversichtlich. »Da passiert uns bestimmt nichts.«
Fabian betrachtete es nachdenklich. »Heute hat es einen ganz besonderen Glanz«, meinte er erstaunt. Seine Finger legten sich um Tammys Handgelenk, und für einen atemberaubenden Augenblick tauchten ihre Blicke ineinander.
»Fahren wir weiter«, sagte Fabian dann mit rauher Stimme und ließ sie unvermittelt los.
Das Haus, in dem sie wohnen sollten, war nicht leicht zu finden. Sie mußten um den ganzen See herumfahren. Aber als sie dort anlangten, stieß Tammy einen Ausruf des Entzückens aus. Es lag auf einer Landzunge und sah fast so aus, als sei es mitten in den See gebaut worden.
Von der Garage führte ein schmaler Pfad zum Gartentor. Als Fabian es aufschließen wollte, wurde es von innen geöffnet. Vor ihm stand Gina. Ihr Lächeln erstarb, sobald sie Tammy erblickte.
»Ich dachte nicht, daß du deine gesamte Familie mitbringst«, sagte sie sarkastisch. »Ich wollte dich überraschen.«
Der Zauber des wunderbaren Tages war verflogen. Danny drückte sich ängstlich an Tammy, die verlegen dabeistand.
»Es war mit deinem Vater verabredet, Gina«, sagte Fabian wenig freundlich.
»Er hat mich nicht davon unterrichtet«, erklärte sie zornig. »Dann kann ich wohl meine Sachen packen.«
Fabian verschlug es die Stimme, aber noch bewahrte er Haltung. »Ich bin hergekommen, um hier zu arbeiten«, meinte er eisig, »und ich wüßte nicht, was du damit zu tun hättest.«
Gina warf Tammy einen gehässigen Blick zu. »Das merke ich«, spottete sie. »Sie scheinen seltsame Moralanschauungen zu haben, Miß Roloff. «
Tammy wurde blaß, aber nun zeigte Danny einen unerwarteten Mut. »Sie sind gemein. Ich wußte es gleich, als ich Sie gesehen habe«, rief er.
Mit zornsprühenden Augen wandte sich Gina an Fabian. »Duldest du es, daß dein Sohn so mit mir spricht? Ich werde meinen Vater sofort anrufen. Mir hast du diesen Auftrag zu verdanken, Fabian.«
»Bitte, ruf ihn an«, erwiderte er kalt. »Für eine rasche Klärung wäre nämlich auch ich sehr dankbar. Aber es ist vielleicht besser, wenn ich ihn anrufe.«
Gina zögerte einen Augenblick. »Du brauchst dich nicht zu bemühen«, zischte sie. »Ich räume freiwillig das Feld. Viel Vergnügen!«
Es dauerte lange, bis sich Danny von diesem Schrecken erholt hatte. Tammy, der das Herz schwer war, konnte ihn nur schwer beruhigen. Auf seinen Vater war er zunächst einmal zornig.
»Wären wir doch nur daheim geblieben«, schluchzte er. »Es hat so schön angefangen. Wir haben uns so gut verstanden. Aber sie wird bestimmt immer wiederkommen. Du bist auch traurig, nicht wahr, Tammy?«
Traurig war nicht der richtige Ausdruck für Tammys Stimmung. Sie schwankte zwischen Zorn und Verzweiflung.
Die jähe Erkenntnis, wieviel Fabian ihr bedeutete, war das schlimmste dabei. Sie wäre am liebsten auf der Stelle gegangen. Aber da war Danny, Fabians Sohn, der ihm so ähnlich war, wie ein Kind seinem Vater nur sein konnte. Sie wußte plötzlich, daß sie ihn deshalb so liebte. Daniel-Fabian, Fabian-Daniel, sie waren für sie eine Einheit. Und sie waren ihr Schicksal.
Es war Mitternacht, als der Junge endlich einschlief. Leise erhob sich Tammy. Sie wußte noch nicht, wo sie sich zur Ruhe legen sollte. Am liebsten wäre sie zu Danny ins Bett gekrochen. Vorsichtig tastete sie sich durch den Gang zu einer Tür und drückte die Klinke nieder.
Aus einem Sessel erhob sich Fabian. Das matte Licht einer Wandlampe warf einen Schatten über sein Gesicht, so daß sie es nicht klar erkennen konnte.
»Setzen Sie sich zu mir, Tammy«, bat er. »Ich bedaure diesen Zwischenfall. Sie dürfen versichert sein, daß ich damit nicht rechnen konnte. Mit Gina verbindet mich nichts.«
»Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen«, erwiderte sie verhalten.
»Ich will es aber. Sie haben ein Recht darauf. Sie trat in einem Augenblick in mein Leben, in dem ich mit mir selbst ziemlich im unklaren war. Es war damals, als Stella mir schrieb, sie würde in den Vereinigten Staaten bleiben, bis alles geregelt sei. Ich fühlte mich entsetzlich einsam. Der Gedanke an Danny, dazu Stellas Abwesenheit, ich hatte keinen Menschen, mit dem ich sprechen konnte.«
»Konnten