Heimatkinder Staffel 2 – Heimatroman. Kathrin Singer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kathrin Singer
Издательство: Bookwire
Серия: Heimatkinder Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740918057
Скачать книгу
gelebt, das hat auch niemand von mir verlangt. Es gab ein paar mehr oder weniger unbedeutende Abenteuer. Aber daraus kannst du doch unmöglich schließen, dass ich für den Jungen nicht anständig sorgen würde. Also, was ist, stellst du dich hinter mich, wenn ich eine Adoption beantrage?«

      »Ulrich, das wäre reine Zeitverschwendung. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Junggeselle …«

      »Ja, zum Teufel, dann muss ich eben heiraten!«, entfuhr es Ulrich. Seine Wangen röteten sich. Seine dunklen Augen blitzten.

      »Ach, da ist etwas im Busch? Eines von deinen Abenteuern?«

      Ulrich Warner winkte verächtlich ab. »Natürlich nicht. Ich habe nicht die Absicht, meinem Tobias eine flotte Biene als Mutter unterzujubeln. Es müsste ein nettes Mädchen sein, eines zum Liebhaben und zum Heiraten.«

      »Vielleicht versuchst du es mit einer Annonce?« Der Heimleiter lächelte spöttisch.

      »Viel zu riskant und zeitraubend. Weißt du, es müsste ein Mädchen sein, von dem man weiß, dass es Kinder gernhat zum Beispiel eine von diesen Helferinnen, die hin und wieder freiwillig bei euch im Heim Dienst tun. Ich habe nämlich davon gehört. Wenn ich nicht irre, handelt es sich dabei um junge Mädchen, die vor der Berufsausbildung oder dem Studium ein Jahr oder auch nur ein halbes überbrücken möchten und im Kinderheim oder in anderen sozialen Einrichtungen einspringen, für ein Taschengeld oder auch ganz ohne Bezahlung. Das finde ich fantastisch! So ein Mädchen wäre die Richtige!«

      Olaf Neumann nickte. »Du bist gut informiert. Ja, es sind die nettesten und patentesten Mädchen, die zu uns kommen.«

      Ulrich war plötzlich wie elektrisiert. »Und sie sind durchweg unverheiratet, nicht war? Wie kann ich sie kennenlernen?«

      »In den letzten Jahren waren zwar etliche Helferinnen bei uns, im Moment haben wir jedoch keine Einzige.« Olaf Neumann kramte in den Schubladen seines Schreibtisches, zog einen Aktendeckel hervor und schlug ihn auf. »Hier habe ich die Namen und Adressen …« Er unterbrach sich selbst, knallte den Ordner zu und meinte: »Das ist doch Unsinn! Bin ich Heiratsvermittler?«

      Ulrich beugte sich erregt über den Schreibtisch. »Olaf, ich flehe dich an, gib Tobias und mir eine Chance! Sag mir, wer die Mädchen sind!«

      »Ich weiß nicht einmal, ob ich das darf, ob es korrekt wäre.«

      »Aber ich bitte dich! Was soll denn daran nicht korrekt sein! Ich will doch dieses oder jenes Mädchen nicht entführen, sondern nur kennenlernen, um eine gute Mutti für Tobias zu finden! Hätte ich denn eine echte Chance, Tobias zu bekommen, wenn ich verheiratet wäre?«

      »Wenn sich zwei Paare, die beide die Voraussetzungen erfüllen, um ein Kind bewerben, würden wir selbstverständlich jenen Eltern den Vorzug geben, zu denen sich das betreffende Kind am meisten hingezogen fühlt.«

      »Ich bin dreißig Jahre alt. Es ist sowieso die höchste Zeit zu heiraten! Olaf, ich bitte dich, schau dir die Liste der Mädchen einmal in Ruhe an und sage mir, welche nach deiner Meinung am ehesten infrage käme! Für mich und Tobias.«

      Ulrich Warner sprach so beschwörend auf den Heimleiter ein, dass der den Aktendeckel tatsächlich wieder öffnete und mit gerunzelter Stirn die Namen und Adressen durchzugehen begann.

      »Tja, ich weiß nicht«, meinte er nach einer Weile. »Sie waren alle nett, sympathisch und hübsch. Kinderlieb sowieso, sonst hätten sie bei uns gar nicht angefangen.«

      »Alle durch die Bank?«, rief Ulrich aufgeregt. »Ja, weißt du was?« Er griff nach den Notizzetteln, die in einem Behälter auf dem Schreibtisch standen. »Dann lassen wir doch einfach das Los entscheiden! Wir schreiben auf jeden Zettel einen Namen nebst Adresse. Und dann soll mir die Glücksgöttin beistehen!«

      »Bitte!« Ulrich drehte den Aktendeckel halb herum und begann hektisch, die Namen auf die Zettelchen zu schreiben.

      Olaf lehnte sich zurück. »Wenn du unbedingt willst, aber ich wasche meine Hände in Unschuld.«

      »Sicher! Wenn du schweigst, wird kein Mensch jemals erfahren, wie ich die Bekanntschaft des betreffenden Mädchens gemacht habe. Alles muss wie Zufall aussehen, das ist sogar sehr wichtig!«

      »Ja, das ist wichtig, denn das Mädchen wäre nicht besonders glücklich darüber, als Heiratskandidatin aus dem Lostopf gezogen zu sein.«

      »Aus dem Lostopf …« Ulrich sah sich im Büro um und entdeckte eine leere Blumenvase auf dem Schrank. Rasch holte er sie herunter, faltete die Zettel zusammen, warf sie hinein und schüttelte sie tüchtig durcheinander.

      »So, jetzt!« Er schloss die Augen und griff in die Vase. »Fortuna, hilf mir, die Richtige zu finden.«

      Er hob die Hand und sah, dass er zwei Lose herausgezogen hatte, die aneinanderhingen. »Oje!« Er betrachtete die weißen Zettelchen wie einen gefährlichen Sprengsatz. »Zwei Stück? Liebe Güte, ich will doch keinen Harem! Vielleicht eines zur Reserve.« Kurz entschlossen traf Ulrich seine Wahl und steckte ein Los in die Brieftasche, ohne es anzusehen. Das andere faltete er mit zitternden Fingern auseinander.

      »Bettina Lühr«, las er und sah seinen ehemaligen Schulkameraden forschend an. »Wer ist Bettina Lühr?«

      »Bettina – ja, ich erinnere mich genau. Sie war schon etwas älter als die meisten Mädchen, die zu uns kamen.«

      »O weh, eine alte Jungfer?«, rief Ulrich erschrocken.

      Lächelnd schüttelte der Heimleiter den Kopf. »Keine Spur. Im Gegenteil, mit etwas älter, meine ich, dass sie schon über zwanzig war, als sie hier tätig war, zweiundzwanzig Jahre, glaube ich, heute wäre sie also dreiundzwanzig.«

      »Wunderbar! Sonst wäre sie ja auch viel zu jung, um Mutter eines achtjährigen Jungen zu werden! Du siehst, dass mir das Schicksal hold ist! Und wie sieht sie aus, diese Bettina?«

      Die Augen des Heimleiters bekamen plötzlich einen verträumten Glanz.

      »Wie eine Heide-Prinzessin«, antwortete er.

      »Wieso, was heißt das?«

      Olaf Neumann griff nach der Zeitung, die auf seinem Schreibtisch lag. »Morgen kannst du sie dir anschauen, wenn du zum Schützenfest nach Aadorf fährst. Dort wird sie nämlich zur Heidekönigin gekrönt.«

      »Ist ein Bild in der Zeitung?«, fragte Ulrich aufgeregt und griff nach dem Blatt.

      Der Heimleiter schüttelte den Kopf, sah den Schulfreund nachdenklich an und meinte: »Nimm lieber das andere Los.«

      »Wieso denn?«

      »An Bettina wirst du dir die Zähne ausbeißen. Sie ist ein sprödes Mädchen.«

      »Sie hat dir also auch gefallen.«

      »Das kann ich nicht leugnen.«

      »Ich will dir einmal etwas verraten. Ich mag spröde Mädchen. Ich finde es gar nicht komisch, wenn sie einem gleich in die Arme sinken. Übrigens, hat Bettina Lühr einen Beruf?«

      »Sie ist Zahnarzthelferin. Sie kam damals aus Hamburg, wo sie eine gute Stellung hatte, hierher, um ihren Großvater zu versorgen. Ihr Vater war ganz plötzlich verstorben, die Mutter lebte schon seit Jahren nicht mehr. Der alte Herr war früher Förster. Er wohnt mit seiner Enkelin noch immer im Forsthaus, weil kein neuer Förster für das Revier eingestellt wurde. Ich glaube, sie haben das alte Forsthaus sogar gekauft.«

      »Und warum kam Bettina hierher zu euch?«

      »Ihr Großvater ist noch einigermaßen rüstig mit seinen fünfundsiebzig Jahren. Bettina fühlte sich nicht ausgelastet. Sie fand zunächst keine passende Stellung in der Gegend. Inzwischen arbeitet sie jedoch, wenn ich richtig informiert bin, als Helferin bei einem Zahnarzt im Dorf.«

      »Sie scheint wirklich ein patentes Mädchen zu sein.«

      »O ja!«

      »Du meinst auch, es wäre ein Glücksfall für den kleinen Tobias, wenn Bettina mich heiraten würde?«

      Olaf Neumann