»So wahr Gott mein Zeuge, Kind, ich bemitleide Sie aus dem Grunde meines Herzens!«
Nach diesem seltsamen Gefühlsausbruch nahm sie mit der einen Hand ihre Arbeit wieder auf und winkte mir mit der anderen, sie zu verlassen.
Ich verbeugte mich schweigend und ging.
Als ich das Haus betrat, war ich mir völlig im Unklaren, was ich in Zukunft zu thun hätte. Als ich das Haus verließ, hatte ich den festen Entschluß gefaßt, es möge kosten, was es wolle, das Geheimniß zu entdecken, welches Mutter und Sohn vor mir verbargen. Was den Namen anbetrifft, so hatte ich jetzt dieselbe Ansicht darüber, als ich sie das erste Mal gehabt. Wäre Mrs. Macallan zweimal verheirathet gewesen, so würde sie es ohne Zweifel markirt haben, wenn sie mich bei dem Namen ihres ersten Gatten anreden hörte. Soviel stand jedenfalls fest, Eustace hatte mich unter einem angenommenen Namen geheirathet.
Als ich mich der Thür unseres Gasthauses näherte, sah ich meinen Gatten, augenscheinlich in Erwartung meiner Rückkehr, vor derselben auf- und niedergehen.
Als er mich erblickte, trat er mir schnell und aufgeregt entgegen.
»Ich habe eine Gunst von Dir zu erbittert, Valeria,« sagte er. »Willst Du mich mit dem nächsten Zuge nach London begleiten?«
Ich blickte ihn fragend an.
»Es betrifft eine Geschäftsangelegenheit,« fuhr er fort, »die nur mich interessirt und die meine sofortige Gegenwart in London erheischt.«
Ich hatte nichts dagegen einzuwenden; im Gegentheil, die Fahrt war mir angenehm. In London konnte ich die gewünschte Auskunft über die Rechtmäßigkeit meiner Ehe einziehen. In London standen mir Rath und Hilfe des alten Benjamin zur Seite, dem ich vertrauen konnte wie keinem Andern. So sehr ich meinen Onkel Starkweather liebte, widerstrebte es meinem Gefühl, mich jetzt an ihn zu wenden. Seine Frau hatte es für ein schlechtes Beginnen erklärt, als ich den unrichtigen Namen unter die Trauacte gesetzt. Mein Stolz empörte sich dagegen, ihr Recht zu geben, ehe die Flitterwochen vorüber waren.
In zwei Stunden befanden wir uns auf der Eisenbahn. Welcher Contrast zwischen dieser Reise und der vorigen!
Wir begaben uns in ein Privathotel in der Nähe Portland Plato. Nachdem wir am anderen Tage gefrühstückt, kündigte mir Eustace an, daß er mich verlassen müsse, um seinem Geschäft nachzugehen. Ich hatte ihm schon vorher gesagt, daß ich Einkaufe zu machen wünschte. Er bestellte mir den Hotelwagen.
Mein Herz war schwer an jenem Morgen.
Als Eustace bereits die Thür geöffnet hatte, um zu gehen, kehrte er noch einmal zurück und küßte mich. Der kleine Beweis von Zärtlichkeit ließ eine Thräne in mein Auge treten. Der Eingebung des Augenblicks folgend, schlang ich den Arm um seinen Nacken und zog ihn näher an mich.
»Schenke mir Dein Vertrauen, Eustace,« sagte ich.
»Ich weiß, daß Du mich liebst, zeige mir auch, daß Du mir vertraust.« Er seufzte bitterlich und entzog sich meiner Umarmung; nicht zornig, sondern sorgenvoll.
»Ich dachte, wir wären übereingekommen, Valeria, den Gegenstand nicht mehr zu berühren,« sagte er. »Weshalb neue Wolken zwischen uns herauf beschwören?«
Er verließ schnell das Zimmer, und ich ließ den Wagen verfahren, um meinen Gedanken eine andere Richtung zu geben.«
Nachdem ich meine Einkäufe gemacht, fuhr ich nach Benjamins Villa in einer der Nebenstraßen von St. Johns Wood.
Nach dem ersten Erstaunen, mich so unerwartet zu sehen, bemerkte er mein blasses, angegriffenes Antlitz. Wir setzten uns an den Kamin der kleinen Bibliothek und dort erzählte ich dem alten Freunde auf das Genaueste meinen Kummer und dessen Ursachen.
Er drückte in warmer Theilnahme meine Hand und dankte Gott, daß mein Vater nicht gehört, was seine Ohren jetzt vernommen.
»Macallan?« sagte er dann leise vor sich hin. »Macallan? Wo habe ich denn den Namen schon gehört?«
Dann gab er das vergebliche Forschen auf und fragte, was er für mich thun könne. Ich bat ihn zunächst, mir den schrecklichen Zweifel aufklären zu helfen, ob ich rechtmäßig verheirathet sei oder nicht. Er war sofort zu meinem Dienst bereit.
»Ihr Wagen steht vor der Thür, liebes Kind,« sagte er. »Lassen Sie uns sogleich zu meinem Notar fahren.«
Wir fuhren nach Lincoln's Inn Fields.
Benjamin trug dem Notar die Frage vor, als die Sache meiner Freundin, für die ich mich interessirte. Die Antwort erfolgte unverzüglich. Ich hatte im guten Glauben, daß der angegebene Name der richtige sei, meinen Mann geheirathet, und die Zeugen hattest in demselben Glauben gehandelt. Unter diesen Umständen war meine Ehe eine zweifellos gültige. Macallan oder Woodville, ich war seine Frau.
Diese entschiedene Antwort hob eine Centnerlast von meiner Seele. Ich nahm die Einladung meines alten Freundes an, zu seiner frühen Stunde bei ihm zu speisen. Unterwegs theilte ich ihm meinen Entschluß mit, entdecken zu wollen, weshalb Eustace mich nicht unter seinem wahren Namen geheirathet.
Benjamin schüttelte den Kopf und gab mir seltsamer Weise, fast Wort für Wort, denselben Rath, den ich bereits von meiner Schwiegermutter empfangen: »Lassen Sie die Dinge gehen, wie sie sind. Im Interesse Ihres Seelenfriedens und Ihrer Ruhe begnügen Sie Sich mit der Liebe Ihres Gatten. Sie wissen jetzt, daß Sie sein rechtmäßiges Weib sind, und daß er Sie liebt. Ist das genug?«
Ich hatte nur eine Antwort hierauf: daß das Leben unter solchen Umständen mir geradezu unerträglich sei. Nichts konnte in dieser Beziehung meinen Entschluß ändern. Es handelte sich nur darum, ob Benjamin, auch wenn ich gegen seine Ansicht handelte, mir Rath und Hilfe gewähren wolle.
»Sagen Sie, was Sie von mir begehren,« war Alles, was er darauf erwiderte.
Wir fuhren gerade durch eine Straße in der Gegend von Portman Square. Ich wollte eben wieder zu reden beginnen, als die Worte auf meinen Lippen erstarben. Ich sah meinen Gatten.
Er trat aus einem Hause; seine Blicke waren zu Boden gerichtet, er schenkte dem vorüberfahrenden Wagen keine Aufmerksamkeit. Ich bemerkte, daß die Nummer des Hauses 16 sei. An der nächsten Ecke las ich auch den Namen der Straße. Es war Vivian Place.
»Wissen Sie vielleicht zufällig, wer Vivian Place Nr. 16 wohnt?« fragte ich meinen Begleiter.
»Nein,« entgegnete er erstaunt.
»Weshalb die Frage?«
»Ich sah Eustace eben das Haus verlassen.«
»Und was ist daran Wunderbares?«
»Alles, was mein Mann thut, erregt mein Mißtrauen, Benjamin.«
Benjamin hob seine welken Hände wie zum Gebet und ließ sie dann wieder still in den Schooß sinken.
»Ich wiederhole Ihnen,« fuhr ich fort, »ich kann mit diesem Zweifel gegen den Mann meiner Liebe das Leben nicht länger ertragen. Setzen Sie Sich in meine Lage, was würden Sie thun?«
»Ich würde versuchen, einen intimen Freund Ihres Gatten aufzufinden,« sagte er, »nur ihm einige discrete Fragen vorzulegen.«
Sofort fiel mir der Major Fitz-David ein.
Was konnte es mir schaden, wenn ich den Versuch machte?
Ich wollte mich sofort um seine Adresse bemühen und fragte Benjamin, ob er einen Wohnungsanzeiger zu Hause habe.
Er verneinte, fügte aber hinzu, daß er sofort darnach schicken wolle.
Wir kehrten nach der Villa zurück, und als wir bei Tische saßen, langte auch das Buch an.
Indem ich unter 'F' nach des Majors Namen suchte, wurde ich durch eine neue Entdeckung stutzig gemacht. »Sehen Sie hier,« sagte ich zu Benjamin; »welch’ seltsames Zusammentreffen.«
Major Fitz-David’s Adresse war Nr. 16, Vivian Place. Dasselbe Haus, aus dem ich meinen Gatten hatte kommen sehen, als wir vorüber fuhren.
Siebentes Capitel.
Auf dem Wege zum Major
»Ja,«