Ein tiefes Geheimniss. Уилки Коллинз. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Уилки Коллинз
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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ein Drittes – dein Herr – schwöre, daß du ihm das Papier geben –«

      Die letzten Worte starben leise hinweg. Die Lippen, welche sie so mühsam geformt, teilten sich plötzlich, schlossen sich aber nicht wieder. Sara sprang nach der Tür und rief in den Korridor hinaus nach Hilfe – dann eilte sie an das Bett zurück, ergriff den Bogen Briefpapier, auf welchen sie nach dem Diktat ihrer Herrin geschrieben, und verbarg ihn in ihrem Busen.

      Der letzte Blick aus Mistreß Trevertons Augen heftete sich streng und vorwurfsvoll auf sie, indem sie dies tat, und bewahrte während der augenblicklichen Verzerrung der übrigen Züge diesen Ausdruck einen einzigen atemlosen Augenblick lang unverändert.

      Dieser Augenblick ging vorüber und mit dem nächsten stahl der Schatten, welcher dem Eintritt des Todes vorangeht, sich herauf und drängte in einer einzigen ruhigen Sekunde das Licht des Lebens von dem ganzen Gesichte hinweg.

      Der Arzt trat in Begleitung der Wärterin und eines der Diener in das Zimmer, eilte an das Bett, sah aber auf den ersten Blick, daß die Zeit seiner Dienste hier für immer vorüber war. Er wendete sich zuerst zu dem Diener, der ihm gefolgt war.

      »Geht zu Eurem Herrn« sagte er, »und bittet ihn, in seinem Zimmer zu warten, bis ich zu ihm kommen und mit ihm sprechen kann.«

      Sara stand noch, ohne sich zu bewegen oder zu sprechen, oder auf jemand zu achten – am Bett.

      Die Wärterin, welche sich näherte, um die Vorhänge zusammenzuziehen, stutzte beim Anblick ihres Gesichts und wendete sich dann zu dem Arzt.

      »Ich glaube, es wird gut sein, wenn diese Person das Zimmer verläßt; meinen Sie nicht auch, Herr Doktor?« sagte die Wärterin mit einem gewissen Ausdruck von Verächtlichkeit in ihrem Ton und Blick. »Sie scheint durch das, was geschehen ist, über alle Maßen angegriffen und erschreckt zu sein.«

      »Jawohl,« sagte der Doktor, »es ist am besten, wenn sie sich entfernt. Ich gebe Euch den Rat, uns auf einige Zeit zu verlassen,« setzte er hinzu, indem er Sara am Arme berührte.

      Sie fuhr argwöhnisch zusammen, hob eine ihrer Hände zu der Stelle empor, wo die Schrift verborgen an ihrem Busen lag, und drückte sie fest darauf, während sie die andere Hand nach einem Licht ausstreckte.

      »Ihr werdet wohltun, wenn Ihr eine Weile in Eurem Zimmer ausruht,« sagte der Arzt, indem er ihr ein Licht gab. »Doch, wartet,« setzte er, nachdem er einen Augenblick nachgedacht, hinzu: »Ich stehe im Begriff, die traurige Neuigkeit Eurem Herrn mitzuteilen. Vielleicht wünscht er die letzten Worte zu hören, welche Mistreß Treverton in Eurer Gegenwart gesprochen hat. Deshalb ist es vielleicht am besten, wenn Ihr mitkommt und wartet, während ich zu dem Kapitän hineingehe.«

      »Nein! Nein! – jetzt nicht, jetzt nicht, um des Himmels willen!«

      Indem Sara diese Worte in leisem, raschem, bittendem Tone sprach und sich dabei wie erschrocken nach der Tür zurückzog, verschwand sie, ohne einen Augenblick zu warten, was man weiter zu ihr sagen würde.

      »Eine sonderbare Person,« sagte der Arzt zu der Wärterin gewendet. »Geht ihr nach und sehr, wohin sie geht, im Fall sie gebraucht wird und wir nach ihr schicken müssen. Ich will hier warten, bis Ihr zurückkommt.«

      Als die Wärterin zurückkam, hatte sie weiter nichts zu berichten, als daß sie Sara Leeson bis an ihr Schlafzimmer gefolgt sei – sie in dasselbe habe hineingehen sehen – daß sie an der Tür gehorcht und gehört habe, wie dieselbe von innen verschlossen worden.

      »Eine sonderbare Person,« wiederholte der Arzt, »eine von der schweigsamen, geheimnisvollen Sorte.«

      »Eine von der nicht guten Sorte,« bemerkte die Wärterin. »Sie spricht immer mit sich selbst und das ist meiner Ansicht ein schlimmes Zeichen. Ihr ganzes Aussehen gefällt mir nicht und ich habe ihr gleich von dem ersten Tage an, wo ich dieses Haus betreten, nicht getrauet.«

       Zweites Kapitel

      Das Verbergen des Geheimnisses

      In dem Augenblick, nachdem Sara Leeson den Schlüssel in der Tür ihres Schlafzimmers herumgedreht hatte, nahm sie den Bogen Briefpapier aus dem Versteck ihres Busens. Sie schauderte, indem sie ihn herauszog, als ob schon seine Berührung sie verwundete, legte ihn offen auf ihren kleinen Ankleidetisch und heftete ihre Augen neugierig auf die Zeilen, welche der Brief enthielt.

      Anfangs schwammen und verschmolzen sich dieselben vor ihren Augen durcheinander. Sie drückte ihre Hände einige Minuten lang auf die Augen und betrachtete dann die Schrift wieder. Die Buchstaben waren jetzt klar – deutlich und klar und, wie ihr vorkam, unnatürlich groß.

      Da stand die Überschrift: »An meinen Gatten« – dann folgten die von ihrer Feder geschriebenen Zeilen mit den Unterschriften am Ende, erst Mistreß Trevertons und dann ihre eigene.

      Das Ganze belief sich auf nur sehr wenige Sätze auf einen einzigen vergänglichen Bogen Papier geschrieben, den die Flamme eines Lichts in einem Augenblick verzehrt haben würde.

      Und dennoch saß Sara da und las und las immer und immer wieder und rührte das Papier nicht an, ausgenommen wenn es unbedingt notwendig war, um die erste Seite umzuwenden. Sie regte sich nicht, sie sprach nicht, sie hob ihre Augen nicht von dem Papier empor. Wie ein verurteilter Gefangener sein Todesurteil lesen würde, so las jetzt Sara Leeson die wenigen Zeilen, welche sie und ihre Herrin vor kaum einer halben Stunde geschrieben hatten.

      Das Geheimnis der lähmenden Wirkung dieser Schrift auf ihr Gemüt lag nicht bloß in dieser selbst, sondern auch in den Umständen, von welchen ihr Zustandekommen begleitet gewesen war.

      Der Schwur, welcher von Mistreß Treverton unter keinem ernstern Einfluß als der letzten Laune der zerrütteten, durch verworrene Erinnerungen an Bühnenworte und Bühnensituationen aufgestachelten Geisteskräfte verlangt worden, ward von Sara Leeson als das heiligste und unverletzlichste Gelübde betrachtet, durch welches sie sich jemals hätte binden können.

      Die Drohung, Gehorsam gegen ihre letzten Befehle noch vom Jenseits aus zu erzwingen, welche Drohung die sterbende Herrin ausgesprochen, um damit zugleich ein spöttisches Experiment mit der abergläubischen Furcht der leichtgläubigen Zofe anzustellen, schwebte jetzt unheimlich über dem schwachen Gemüte Saras, wie ein Urteilsspruch, der sie sichtbar und unerbittlich in jedem Augenblick ihres künftigen Lebens ereilen könnte.

      Als sie sich endlich aufrüttelte, das Papier von sich schob und sich von ihrem Stuhle erhob, blieb sie einen Augenblick ganz still stehen, ehe sie wagte, hinter sich zu schauen. Als sie dies endlich tat, geschah es mit Anstrengung und indem sie einen forschenden, mißtrauischen Blick in das leere Dunkel der entfernteren Winkel des Zimmers warf.

      Ihre alte Gewohnheit, mit sich selbst zu sprechen, begann wieder ihren Einfluß zu behaupten, während sie jetzt rasch hin und her ging und das Zimmer zuweilen der Länge, zuweilen der Breite nach durchmaß. Sie wiederholte unaufhörlich gebrochene Redensarten, wie zum Beispiel: »Wie kann ich ihm den Brief geben? – Einem so guten Herrn, der so freundlich ist gegen uns alle! – Warum starb sie und überließ alles mir? – Ich kann es nicht alleine tragen,– es ist zuviel für mich!«

      Während sie diese Redesätze wiederholte, beschäftigte sie sich träumerisch damit, daß sie die Sachen im Zimmer aufräumte und in Ordnung brachte, obschon dieselben sich bereits in vollkommener Ordnung befanden. Alle ihre Blicke, alle ihre Bewegungen verrieten den vergeblichen Kampf eines schwachen Gemüts, sich unter der Wucht einer schweren Verantwortlichkeit aufrecht zu erhalten. Sie ordnete und ordnete immer wieder die Porzellanschälchen auf ihrem Kaminsims – setzte ihr Nadelkissen erst auf den Spiegel, dann auf den Tisch vor demselben – veränderte die Stellung des kleinen Porzellanbeckens auf ihrem Waschtische, indem sie es bald rechts bald links schob.

      Während aller dieser geringfügigen Verrichtungen waren selbst die nutz- und zwecklosesten derselben stets von einer unverkennbaren Anmut und Zartheit begleitet. Sie warf nichts herunter, sie stellte nichts schief, ihre Tritte machten selbst bei der raschesten Bewegung kein Geräusch – der Saum ihres Kleides war so sauber und fleckenlos, als ob heller Tag und die Augen aller ihrer Nachbarn auf sie geheftet gewesen wären.

      Von Zeit zu Zeit änderte sie den Sinn der Worte, welche sie verworren