Blinde Liebe. Уилки Коллинз. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Уилки Коллинз
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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fragte er mit vorsichtig gedämpfter Stimme.

      »Treue!« antwortete sie flüsternd.

      Es war zu dunkel, um die Gesichtszüge des Mannes erkennen zu können; Iris jedoch erkannte ihn an seiner hohen Gestalt und an dem Tonfall der Stimme in dem er nach dem Losungswort gefragt hatte. Da er sie seinerseits irrigerweise für einen Mann hielt, trat er einen Schritt wieder zurück. Sir Giles Mountjoy war ungefähr von mittlerer Größe; der Fremde dagegen in dem Ueberrock, der ihm die Worte zugeflüstert hatte, war untersetzter.

      »Sie sind nicht die Person, welche ich hier anzutreffen erwartet hatte,« sagte er. »Wer sind Sie?«

      Ihr Aufrichtigkeit liebendes Herz verlangte darnach, ihm die Wahrheit zu gestehen. Die Versuchung, sich zu entdecken und ihrer Freude darüber Ausdruck zu geben, daß es ihr möglich gewesen sei, ihn zu retten, würde ihre Zurückhaltung überwunden haben, wenn nicht ein Geräusch auf dem Wege hinter ihnen an ihr Ohr gedrungen wäre. In der ringsum herrschenden Stille war aber ein Irrtum unmöglich. Es war das Geräusch von Fußtritten.

      Sie fand gerade noch Zeit, ihm zuzuflüstern:

      »Sir Giles hat Sie verraten. Retten Sie sich!«

      »Ich danke Ihnen, wer Sie auch sein mögen.«

      Mit diesen Worten verschwand er plötzlich und schnell in der Finsternis. Iris erinnerte sich der Brücke über den Graben und ging nach ihr hin. Dort unter den Bogen fand sie einen passenden Platz, sich zu verbergen, wenn sie noch zur rechten Zeit in den ausgetrockneten Graben gelangen konnte. Sie stand eben im Begriff, sich mit den Füßen bis an den Rand desselben vorwärts zu tasten, als eine feste Hand ihren Arm ergriff und eine Stimme in gebietendem Ton sagte:

      »Sie sind mein Gefangener.«

      Sie wurde auf den Weg zurückgeführt. Der Mann, der sie fest gefaßt hielt, ließ einen lauten Pfiff ertönen. Sofort tauchten noch zwei andere Männer aus dem Dunkel auf.

      »Machen Sie Licht,« befahl der erstere, »damit wir sehen, wer der Kerl ist.«

      Der Schieber an der Blendlaterne wurde zur Seite geschoben; das Licht fiel voll auf das Gesicht des Gefangenen. Die beiden Begleiter des Polizeisergeanten waren vor Staunen ganz starr. Dieser selbst, ein frommer Katholik, brach in den Ruf aus:

      »Heilige Maria! Das ist ja eine Frau!«

      Nahmen denn die geheimen Gesellschaften Irlands auch Frauen auf? War das eine moderne Judith, welche anonyme Briefe schrieb und sich verpflichtet hatte, einen Finanz-Holofernes, der eine Bank hielt, zu töten? Was hatte sie über sich selbst auszusagen? Wie kam sie dazu, auf einem öden Feld in regnerischer Nacht sich allein aufzuhalten? Anstatt aber auf diese Fragen zu antworten, zog die rätselhafte Fremde eine kühle und kurze Entgegnung vor.

      »Bringen Sie mich zu Sir Giles!« Das war alles, was sie zu den Polizeibeamten sagte.

      Der Sergeant hatte die Handfesseln bereit, ließ sie aber, nachdem er beim Schein der Laterne die feinen Handgelenke der Gefangenen gesehen hatte, gleich wieder in seiner Tasche verschwinden.

      »Eine Lady, da gibt's gar keinen Zweifel,« sagte er zu dem einen seiner Begleiter.

      Seine beiden Untergebenen warteten mit boshaftem Interesse, um zu sehen, was er wohl zunächst anfangen würde. Die Liste der rühmlichen Eigenschaften ihres frommen Vorgesetzten enthielt auch Parteilichkeit für die Frauen, welche immer die gnadenreiche Seite der Gerechtigkeit walten ließ, wenn der Uebelthäter einen Unterrock trug.

      »Wir werden Sie zu Sir Giles bringen, Miß,« sagte er und bot ihr anstatt der Handfesseln seinen Arm. Iris verstand ihn und nahm das Anerbieten an.

      Sie verhielt sich schweigsam – ganz unverantwortlich schweigsam, wie die Männer dachten – auf dem Weg nach der Stadt. Einigemale hörten sie sie seufzen, und einmal klang der Seufzer mehr wie ein Schluchzen; sie ahnten nichts von dem, was in der Seele des jungen Mädchens während der Zeit vorging.

      Der eine Gegenstand, welcher die Gedanken von Iris ganz in Anspruch genommen hatte, war die Rettung Lord Harrys. Nachdem diese gelungen, hatten ihre nun von der Sorge darum befreiten Gedanken sie jetzt an Arthur Mountjoy erinnert.

      Es war schlechterdings unmöglich, daran zu zweifeln, daß die vorgeschlagene Zusammenkunft an dem Meilenstein den Zweck haben sollte, Sicherheitsmaßregeln für das Leben des jungen Mannes zu ergreifen. Ein Feigling ist immer mehr oder minder grausam. Die Handlungsweise von Sir Giles, ebenso hinterlistig wie unmenschlich, durch die er für die Sicherheit seines eigenen Lebens sorgen zu müssen glaubte, hatte Lord Harrys edles Vorhaben aufgeschoben, vielleicht sogar gänzlich vereitelt. Die Möglichkeit lag nahe, furchtbar nahe, daß es nur durch eine geschickte und pünktliche Benützung der Zeit möglich gewesen wäre, Arthur vor dem Tode durch Mörderhand zu bewahren. In der Gemütserregung, welche sie ergriffen hatte, trieb sie die Polizeibeamten ordentlich zur Eile an bei der Rückkehr in die Stadt.

      Siebentes Kapitel

      Sir Giles hatte es so eingerichtet, daß er auf den Bericht über den Verlauf der Sache in seinem Privatzimmer in dem Bankhause harrte, und so befand er sich denn dort in Gesellschaft von Dennis Howmore in gespannter Erwartung der kommenden Dinge.

      Der Polizeisergeant betrat zuerst allein das Zimmer des Bankiers, um seinen Bericht zu erstatten. Er ließ die Thür offen stehen, so daß Iris alles hören konnte, was in dem Zimmer gesprochen wurde.

      »Haben Sie Ihren Gefangenen erwischt?« begann Sir Giles.

      »Ja, Euer Gnaden.«

      »Ist der Schurke auch genügend gefesselt?«

      »Ich bitte um Entschuldigung, Sir, aber es ist gar kein Mann.«

      »Unsinn, Sergeant, es kann doch unmöglich ein Knabe sein.«

      Der Sergeant erklärte, es sei allerdings kein Knabe. »Es ist eine Frau!« sagte er.

      »Was???«

      »Eine Frau,« wiederholte der geduldige Beamte, »und zwar eine junge. Sie fragte nach Ihnen.«

      »Bringen Sie die Person herein.«

      Iris gehörte nicht zu den Menschen, die warten, bis sie hineingeführt werden. Sie trat aus eigenem Antrieb in das Zimmer.

      »Herr Gott im Himmel,« schrie Sir Giles, »Iris, Sie?! In meinem Ueberrock und mit meinem Hut in der Hand! – Sergeant, das ist ja ein furchtbarer Irrtum. Die Dame hier ist mein Patenkind, Miß Henley.«

      »Wir fanden sie bei dem Meilenstein, Euer Gnaden. Diese junge Dame und sonst niemand.«

      Sir Giles wendete sich hilflos an sein Patenkind:

      »Was soll das heißen?«

      Anstatt zu antworten, warf Iris einen Seitenblick auf den Sergeanten. Der Beamte, der sich seiner Verantwortlichkeit bewußt war, ließ sich nicht irre machen und blickte seinerseits Sir Giles an. Aber sein Gesicht zeigte deutlich, daß das jedem Irländer angeborene lebhafte Gefühl für Humor gekitzelt war; er verriet jedoch nicht die Absicht, das Zimmer zu verlassen. Sir Giles erkannte, daß sich das junge Mädchen in Gegenwart des Mannes auf keine Erklärung einlassen würde, und sagte daher:

      »Sie brauchen nicht länger zu warten.«

      »Bitte, was soll mit der Gefangenen geschehen?« erkundigte sich der Sergeant.

      Sir Giles beantwortete diese höchst unnötige Frage durch eine abwinkende Bewegung seiner Hand. Er war dreifach verantwortlich – als Baronet, als Bankier und als Handelsrichter.

      »Ich werde dafür sorgen,« entgegnete er, »daß Miß Henley erscheint, wenn das Gericht es verlangt. Gute Nacht!«

      Dem Pflichtgefühl des Sergeanten war Genüge gethan. Er grüßte militärisch und bezeigte seine Ehrerbietung der jungen Dame gegenüber artig durch eine Verbeugung. Darauf schritt er würdevoll aus dem Zimmer.

      »Jetzt darf ich,« begann Sir Giles, »wohl annehmen, daß ich eine Erklärung erhalte. Was hat dieses sonderbare, unpassende Benehmen zu bedeuten? Was hatten Sie an dem Meilenstein zu thun?«

      »Ich habe die Person gerettet, welche die Zusammenkunft mit Ihnen verabredet hatte,«