Blinde Liebe. Уилки Коллинз. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Уилки Коллинз
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
es vielleicht? – Ich glaube, ich habe mein Gedächtnis verloren. Was ist ein gutes Heilmittel dagegen? – Es gibt nur einen Doktor auf der Welt, der Ihnen das allein richtige nennen wird – den Wein. Wenn dieser Rotwein überhaupt etwas wert ist, so ist eine volle Flasche eine Guinee wert. Ich frage Sie im Vertrauen: Haben Sie jemals von einem solchen Esel gehört, wie der Lord meiner Frau ist? Sein Name ist mir vorher entschlüpft. Na, das schadet nichts. Er hält sich in Irland auf, um zu jagen. Zu jagen – was denn? – Füchse? O nein, nichts so Nobles; er ist auf der Jagd nach Mördern. Er hat sich mit einem von ihnen überworfen. Er will einen von ihnen umbringen. Ein Wort ganz leise in Ihr Ohr: sie werden ihn totschlagen. Wetten Sie vielleicht? – Fünf gegen eins, er ist ein toter Mann noch vor dem Ende dieser Woche. Wann ist denn das Ende der Woche? – Dienstag, Mittwoch – nein, Sonnabend – nein, das ist der Anfang der Woche – nein, das ist nicht der Anfang – die Woche fängt nicht am Sonnabend an – am Sonntag natürlich – wir sind keine Christen, wir sind Juden – nein, wir sind Juden, keine Christen, das heißt –«

      Hier wurde der Wein endlich vollständig Herr über seine Zunge. Der Doktor murmelte und lallte nur noch einige unverständliche Worte vor sich hin, dann sank er in seinen Stuhl zurück und fiel endlich, nachdem er noch einigemale aufgestöhnt hatte, in einen süßen Schlummer.

      Alles und mehr als alles, was Mountjoy gefürchtet, hatte sich jetzt als wahr erwiesen. In nüchternem Zustand war der Doktor jedenfalls einer von den Menschen, die stets zum Lügen bereit sind. Aber in berauschtem Zustand plauderte er unbewußt die Wahrheit aus. Der Grund, welchen er für Lord Harrys fortgesetzte Abwesenheit in Irland angegeben hatte, konnte nicht so ohne weiteres zurückgewiesen werden. Es lag in der sorglosen Natur des wilden Lords, sein Leben der Gefahr preiszugeben in der Hoffnung, er werde im stande sein, Arthur Mountjoy an den Schurken zu rächen, die ihn ermordet hatten.

      Da Hugh diese schlimmen Nachrichten für wahr hielt, lag wohl in diesem Fall ein zwingender Grund vor, Iris zu betrüben, indem er ihr die Gründe mitteilte, welche Lord Harry in seinem Vaterland zurückhielten? – Gewiß nicht!

      Und andererseits: brachte es irgend welchen unmittelbaren Vorteil, wenn er ihr den wahren Charakter der Mrs. Vimpany als einer bezahlten Spionin enthüllte? In ihrem gegenwärtigen Gemütszustand würde Iris aller Wahrscheinlichkeit nach sich geweigert haben, das zu glauben.

      Als er zu diesem Entschluß gekommen war, sah Hugh noch einmal nach dem Doktor, der in seinem Lehnstuhl lag und fürchterlich schnarchte und stöhnte. Er hatte seine Zeit und Geduld nicht unnütz verschwendet, sondern einem Plan gewidmet, der sich jetzt seinem erfolgreichen Ende nahte. Nach dem, was er soeben, dank dem Rotwein, gehört hatte, durfte er nicht länger Bedenken tragen, die schleunige Entfernung von Iris aus dem Hause des Mr. Vimpany ins Werk zu setzen, und dazu wollte er noch als Ueberredungsmittel das Telegramm ihres Vaters benützen, auf dessen Wirksamkeit er möglicherweise vertrauen konnte. Mountjoy verließ das Gasthaus ohne weiteren Aufenthalt und eilte zu Iris in der Hoffnung, er werde sie dazu vermögen, noch in dieser Nacht mit ihm nach London zurückzukehren.

      Achzehntes Kapitel

      Als Hugh an der Thür des Hauses von Mr. Vimpany nach Miß Henley fragte, erfuhr er, daß sie in Begleitung ihres immer noch nicht recht hergestellten Mädchens ausgegangen sei. Sie hatte den Auftrag hinterlassen, wenn Mr. Mountjoy während ihrer Abwesenheit vorsprechen sollte, ihn zu bitten, er möchte so freundlich sein, auf ihre Rückkehr zu warten.

      Auf dem Wege nach dem Empfangszimmer hörte Mountjoy die tiefe Stimme von Mrs. Vimpany, die, wie es den Anschein hatte, mit lautem Lesen beschäftigt war. Da die Thür für seinen Eintritt geöffnet wurde, überraschte er sie, wie sie mit majestätischen Schritten im Zimmer auf und ab wandelte, ein Buch in der Hand haltend. Sie deklamirte in pathetischem Tone, ohne daß jemand da war, ihrer Leistung Beifall zu spenden. Nach dem, was Hugh schon gehört hatte, konnte er nur zu dem Schluß kommen, daß Erinnerungen an ihre frühere Theaterlaufbahn die gewesene Schauspielerin verleitet hatten, eine Privatvorstellung zu geben zu ihrem eigenen Vergnügen in einer jener tragischen Rollen, von denen ihr Gatte gesprochen hatte. Bei Mountjoys Erscheinen gewann sie sofort ihre Selbstbeherrschung wieder mit der Leichtigkeit einer Meisterin in ihrer Kunst.

      »Verzeihen Sie mir,« sagte sie, indem sie ihm das Buch mit der einen Hand entgegen hielt und mit der andern Hand darauf hinzeigte. »Shakespeare versetzt mich immer in eine heftige Aufregung. Eine kleine Flamme von dem Feuer des Dichters brennt auch in der Brust seiner armen Verehrerin. Darf ich hoffen, darin von Ihnen verstanden zu werden? Sie sehen aus, als ob Sie ein Gesinnungsgenosse von mir wären.«

      Mountjoy that sein möglichstes, um die mitfühlende Rolle, welche Mrs. Vimpany ihm durch ihre letzten Worte zuerteilt hatte, richtig durchzuführen, aber er hatte nur den fraglichen Erfolg, daß er bewies, welch ein schlechter Schauspieler er geworden sein würde, wenn er auf die Bühne gegangen wäre. Mrs. Vimpany legte ihr Buch weg und stieg aus den erhabensten Höhen der Dichtkunst herab in die tiefsten Tiefen der Prosa.

      »Lassen Sie uns jetzt von häuslichen Angelegenheiten sprechen,« sagte sie milde. »Haben die Leute in dem Gasthaus Ihnen ein gutes Mittagessen zubereitet?«

      »Die Leute haben ihr Bestes gethan,« antwortete Mountjoy vorsichtig.

      »Ist mein Gatte mit Ihnen zurückgekommen?« fuhr Mrs. Vimpany fort.

      Mountjoy fing an zu bedauern, daß er nicht auf der Straße auf Iris gewartet hatte. Er war jetzt gezwungen, zu bekennen, daß der Doktor nicht mit ihm zurückgekommen sei.

      »Nun, wo ist Mr. Vimpany?«

      »Im Gasthof.«

      »Was macht er denn dort?«

      Mountjoy zögerte. Mrs. Vimpany erhob sich wieder in die Regionen der tragischen Dichtkunst. Sie schritt auf ihn zu, als ob er Macbeth gewesen wäre und sie ihren Dolch benützen wollte.

      »Ich verstehe Sie nur zu gut,« erklärte sie in schrecklichen Tönen, »die Fehler und Schwächen meines unglücklichen Gatten sind mir wohl bekannt. Mr. Vimpany ist berauscht.«

      Hugh versuchte die Sache so unschuldig wie nur möglich darzustellen.

      »Er ist nur eingeschlafen,« sagte er. Mrs. Vimpany warf ihm von neuem einen Blick zu. Diesmal war sie die Königin Katharina, welche den Kardinal Wolsey ansieht. Sie verbeugte sich mit stolzer Höflichkeit und öffnete die Thür.

      »Ich muß einen Ausgang machen,« sagte sie und entfernte sich mit langsam abgemessenen Schritten.

      Fünf Minuten später sah Mountjoy, der in ungeduldiger Erwartung von Miß Henleys Rückkehr ans Fenster getreten war, Mrs. Vimpany auf der Straße. Sie trat in den Laden eines Apothekers und kam bald darauf wieder heraus mit einer kleinen, eingewickelten Flasche in der Hand. Majestätisch schritt sie die Straße hinab und war bald seinen Augen entschwunden. Wenn Hugh ihr gefolgt wäre, würde er die Frau des Doktors an der Thür des Gasthofes eingeholt haben.

      Der unbeschäftigte Kellner stand in dem Hausflur und schaute sich um, obgleich eigentlich gar nichts da war, wonach er sehen konnte. Er machte vor Mrs. Vimpany eine Verbeugung und teilte ihr mit, daß die Wirtin ausgegangen sei.

      »Sie können mir ebenso gut sagen, was ich wissen will,« lautete die Antwort. »Ist Mr. Vimpany noch hier?«

      Der Kellner lächelte und führte die Frau des Doktors durch den Hausflur an den Fuß der Treppe.

      »Sie können ihn von hier aus schon hören.«

      Es war vollkommen richtig. Mr. Vimpanys Schnarchen sprach für Mr. Vimpanys Anwesenheit. Seine Frau stieg die ersten zwei oder drei Stufen hinauf und blieb dann stehen, um noch etwas mit dem Kellner zu reden. Sie fragte ihn, was die beiden Herren beim Essen getrunken hätten.

      »Sie haben den sauren französischen Wein getrunken.«

      »Und sonst nichts?«

      Der Kellner erlaubte sich jetzt einen kleinen Scherz.

      »Sonst nichts,« antwortete er, »aber mehr als genug von diesem.«

      »Ich hoffe, nicht mehr als genug für den Vorteil des Hauses,« bemerkte Mrs. Vimpany verweisend.

      »Ich bitte um Entschuldigung, Frau Doktor; der Rotwein,