Einen Augenblick starrte sie gedankenvoll vor sich hin, während er sie aufmerksam beobachtete. Aber dann sah sie zu ihm auf, schnitt eine Grimasse, lachte, und umfaßte seinen Nacken mit beiden Händen. »Das würde wohl nicht viel nützen, du eingebildeter Mensch!« sagte sie und schüttelte ihn, während sie die Zähne zusammenbiß.
»Es wäre auch ein Jammer um die kleinen Beißer!« lächelte er.
»Wie so?«
»So ein verteufelt trockner Knochen wie der Baron, davon kämen sie nicht heil weg.«
»Ach!« rief sie heftig aus und gab ihn frei. »Ist deine dicke, rote Madame etwa besser?«
»Weicher jedenfalls!« lächelte er, »zum hineinbeißen!«
Sie legte den Kopf in den Arm, um ihr Lachen zu verbergen.
»Aber wir werden so poetisch!« sagte Hartwig und richtete sich auf. »In guter Prosa bedeutet das Ganze ja nur, daß wir nicht das Geringste weder von einander noch von uns selber oder von irgend etwas auf der Welt wissen, wie es gehen soll und was daraus werden soll. Wir sind vor Gott Mann und Frau, aber könnten ebensogut zwei Omnibuspassagiere sein, die sich auf dem Rathausplatz getroffen haben und die sich jetzt auf dem Königs-Neumarkt Lebewohl sagen. Vielleicht nehmen sie auch eine Droschke und fahren nach dem Strandweg hinaus, – nach Skotterup zum Beispiel, oder noch weiter, das weiß ja niemand. Aber es hat ja seinen Reiz, so lange die Fahrt währt. Nicht wahr, Kleine?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist lauter Unsinn,« sagte sie. »Du bist auch so schrecklich dumm, Ernst!«
»Verzeih!« sagte er ein wenig verletzt, »ist das nicht genau dasselbe, was du vorhin sagtest?«
»Ich sprach ja von dir, du Narr! – Keinen Augenblick von mir selber! – Nein, ich will nicht mehr hören!« unterbrach sie sich und hielt sich die Ohren zu. »Ich kann nicht mehr reden! Ich glaube, ich habe noch nie im Leben so viel geredet wie heute, und dabei ist die Uhr erst zehn. Wie ist das Wetter eigentlich?«
»Wundervoll!« sagte er und erhob sich. »Wollen wir nach dem Frühstück eine Spazierfahrt machen?«
»Ja, gern!«
Sie traten an das Fenster und sahen hinaus.
Die Sonne stand gerade über dem Sund, der blank und träge da lag und mit seinen zahllosen kleinen Kräuselungen zu dem starken Licht hinaufzwinkerte. Breite, blanke Stromstreifen zogen sich ruhig hindurch. Die Schiffe hatten alle Segel gesetzt, kamen aber doch nur langsam vorwärts.
Diese ruhige Wasserfläche machte auf sie beide einen eigentümlichen Eindruck von Unruhe. Sie war so fest und so hart zu sehen, – so sicher und zuverlässig, schlug man aber hinein, so zersplitterte sie in tausend Scherben.
Trat man darauf, so versank man in die Tiefe.
Was würde geschehen? – — —
III
Hans Vedel hatte nicht weit zu gehen, um nach Hause zu gelangen, außerdem ging er schnell seines Wegs, nachdem er Ingeborg und ihrem Mann Adieu gesagt hatte.
Ihm war so froh und dankbar zu Mute, waren doch Ingeborg und er den ganzen Abend auf einer Seite gewesen, gegen die andern. Er hatte sie verteidigt, und sie hatte ihm beigestanden. So war es gut und schön, mehr verlangte er nicht. Und er fühlte noch immer ihren Händedruck dort auf seiner linken Hand.
Als er nach dem Hafen hinabkam, bog er links ab und ging durch einen schmalen Garten dem Hause zu, in dem er wohnte. Es war ein kleines, nettes, zweistöckiges Gebäude, strohgedeckt, mit großen Giebeln. Er sah zu den Fenstern hinauf: Alles war dunkel. Ja, Mamsell Paulsen ist natürlich zu Bett gegangen, dachte er, aber ich finde mich auch wohl allein hinauf.
Er kam in sein Wohnzimmer, zündete die Hängelampe an und öffnete das Fenster. Die Luft war immer so schwer und eingeschlossen von dem Duft der Lavendel und getrockneten Veilchen, die die alte Haushälterin überall hinsteckte. Aber die Fenster mußten geschlossen bleiben. Sonderbar mit der alten Person, dachte er lächelnd, ihre Angst vor Dieben verliert sich nie. Als ob die Einbrecher wie Fliegen an den Mauern in die Höhe kriegen könnten! – —
Er trat an einen alten, geschnitzten Louis XIV. Eichenschrank, der fast die eine ganze Wand des kleinen Zimmers einnahm, öffnete ihn und nahm einen kleinen, metallbeschlagenen Kasten heraus. Dann ging er an den Schreibtisch am Fenster und setzte sich. In dem Kasten lag ein zierlich gebundenes Buch, das er herausnahm und öffnete. Es war voll weißer, beschriebener Blätter.
Er saß eine Weile da und starrte vor sich hin, dann nahm er eine Feder, und langsam und beschwerlich mit seiner ungeschickten kindlichen Handschrift zirkelte er folgende Linien auf das Papier:
Ich war heute wieder zu Tische bei J. Wir waren nur dreie, Hartwig, sie und ich. Nach Tische kam die Unterhaltung auf die Ehe, die ich verteidigte. Am Abend kamen Herr Thomsen und Frau, und wir verbrachten eine gemütliche Stunde in der Laube miteinander. Als ich zu einem bestimmten Zeitpunkt von den andern angegriffen wurde, nahm mich J. in Schutz. S.+d.+m.+H.+u.+d.+T.
Sie drückte meine Hand unter dem Tisch, sagte er zu sich selber, aber es ist vorsichtiger, es nicht ganz auszuschreiben.
Und er schloß mit dem Gewöhnlichen:
Morgen werde ich sie wiedersehen.
Dann schloß er das Buch mit einer vergnügten Miene, und verschloß es wieder sorgfältig in den Kasten und den Schrank.
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