Oriand horchte eine kurze Weile auf ihre Glückwünsche, er wurde aber schnell ungeduldig und wies sie mit, kühlen Worten zurück.
Er hatte Durst nach einem Vergnügen, das er so lange hatte entbehren müssen. Nichts ging ihm im Kopf herum, als seine große Jagd morgen.
Weil seine Ritter und Waffenknechte ermüdet sein mußten, gebot er, daß sie diese Nacht im Palaste und um denselben ausruhen sollten. Man sollte sie mit leckeren Speisen und gutem Weine bewirthen, und nichts sparen, um sie recht herrlich zu pflegen.
Was ihn selbst betraf, so beschäftigte er sich unverweilt mit Dingen, die ihm so nahe am Herzen lagen. Er ließ alle seine Jagdbedienten; die Förster, die Hornbläser, die Hundeführer, die Buschklopfer, die Wildträger zu sich rufen und theilte ihnen seine Befehle aus, um morgen mit Tagesanbruch zur Abreise nach dem Walde ohne Gnade bereit zu stehen.
Als einer der Förster ihm sagte, daß der furchtbare Bär noch in voriger Woche, die Ziege eines armen Holzhauers geraubt hätte, wurde die Leidenschaft des Königs dermaßen erhitzt, daß er einen Augenblick Willens war, sofort das Unthier aufzusuchen; aber dem Rath seiner Mutter Gehör gebend, beschloß er seine Ungeduld bis auf morgen zu bezwingen.
Er ertheilte hierauf einem jeden Urlaub, um den Willkommen-Wein mit seinen Freunden zu trinken; und gedachte selbst mit seiner Mutter in den Palast zu treten, als fünf oder sechs Ritter auf den Vorhof gesprengt kamen und bereits aus der Ferne den Hilferuf: »Harop! Harop!« hören ließen.
Der König blieb verwundert stehen. Diese Ritter schienen in großer Noth; denn ihre theilweise zerbrochene Waffenrüstung war mit Koth oder Blut beschmutzt, und die Pferde, worauf sie saßen, dampften von Schweiß und waren weiß von Schaum.
Einige Schritte vor dem König sprangen Alle herab, kamen mit gebeugten Häuptern näher, ließen sich auf ihre Kniee nieder und riefen mit erhobenen Händen:
»Hilfe, Hilfe, erbarmet Euch unser, mächtiger Fürst! Wir sind Eure treuen Vasallen, rächet das gräuliche Unrecht, das uns angethan wird durch einen Feind, der es wagt Euch zu verachten . . . «
Durch diese letzten Worte erbittert, gebot der König sehr barsch:
»Steht auf! Wer seid Ihr, Vermessene, die Ihr nicht fürchtet meine Wuth zu entflammen?«
Ein sehr alter Ritter mit weißen Haaren antwortete ihm:
»Euch sei alle Ehre und Ruhm, Herr König. Ihr kennt Euren demüthigen Diener, ich bin der Haushofmeister Eurer Pathin, der Frau Wittwe van Halkiyn.«
»Wirklich! Und für sie ruft ihr meine Hilfe an?«
»Für sie, mächtiger Herr!«
»Nun, sprecht, was ist ihr widerfahren?«
»Ihr wißt, Herr König, begann der Greis unter Thränenströmen, daß mein Gebieter, der Herr van Halkiyn, im Dienste- Eures Vaters sein Leben ließ. Seine Wittwe hat seit diesem Unglück sehr einsam und wie eingeschlossen gelebt, alle ihre Sorgen der christlichen und standesgemäßen Erziehung ihres einzigen Kindes widmend. Dieses Kind ist eine tugendsame Jungfrau geworden und weil sie eine reiche Erbin sein wird und Gott ihr in reichem Maaße Anmuth schenkte, so haben bereits viele Ritter nach ihrer Hand getrachtet; aber sie will ihre Mutter nicht verlassen . . . «
»Was seid Ihr langweilig!« murrte der Fürst.
»Entschuldigt mich, Herr König,« stammelte der Greis erschrocken, »ich bin schon hochbetagt . . . «
Wohlan, macht’s kurz!«
»Ja, Herr, so kurz wie möglich! Ein Ritter ist da, der meine Gebieterin, Eure unglückliche Pathin, mit Gewalt zwingen wollte, ihm die Hand ihrer Tochter abzutreten; aber die Anhänglichkeit aller ihrer Unterthanen, die Tag und Nacht gewaffnet blieben, um sie zu vertheidigen, hinderte ihn daran. Da hat er nun seine Zuflucht zu der Verläumdung genommen und ausgestreut, daß die Frau van Halkiyn eine Zauberin sei.«
»Ha, ha, meine Pathin, die gute Frau van Halkiyn, eine Zauberin! lachte der Fürst. Welche Dummheit!
»Aber, Herr König, das abgesonderte Leben meiner Gebieterin hat den häßlichen Beschuldigungen einigen Schein von Wahrheit verliehen und das Volk hat diese Dummheit geglaubt.
»Und weiter, weiter; beeilt Euch!
»Und weiter, Herr König? Als der böse Ritter meinte, daß meine Gebieterin hinlänglich von ihren verführten Unterthanen gehaßt würde und wenig auf ihre Hälse zählen könnte, ist er zu Felde gezogen, um die Burg van Halkiyn zu bestürmen, die vermeintliche Zauberin, wie er sagte, lebendig verbrennen zu lassen und ihre Tochter über die Schelde nach Celles zu führen.
»Was? Dieser Räuber ist Walram van Celles?
»Ja, Herr, er belagert jetzt die Burg van Halkiyn, worin nur noch sechzig treue Ritter und Waffenknechte; ihr Blut hingeben wollen zur Vertheidigung von zwei unschuldigen Edelfrauen. Sicher wohl werden sie es nicht lange gegen die Uebermacht des Feindes aushalten können. Ihr allein, Herr König, könnt sie noch retten, die Frau, welche die Ehre hatte, Euch als Kind über den Taufbrunnen zu halten und die nun aus der Ferne die Hände um Hilfe nach Euch ausstreckt.
»So, so, murrte der König mit hohler Stimme. Walram wagt auf meinem Grundgebiet, eine meiner Vasallen, meine Pathin sogar, in ihrer Burg zu bestürmen! Er fürchtet also weder meine Macht noch meine Wuth?
»Wir haben in unserer Noth Euren Namen angerufen, Herr Fürst; aber er, der auf den Beistand des Grafen van Hennegau hofft, hat Eurer gespottet.
»Der Unverschämte, er soll sterben!
»Ja, aber Herr, erbarmet Euch ihrer; sie schweben in Lebensgefahr; morgen ist es vielleicht zu spät! flehte der Greis.
»Wer spricht Euch von morgen? murmelte der König. Geht alle schnell in die Küche; eßt und trinkt und macht Euch bereit, mir zu folgen! Und sich nach dem Palaste wendend, rief er mit einer Riesenstimme, die über den großen Vorhof schallte: Erhebt Euch, stimmt an die Trompeten! . . . Man blase alle zu den Waffen und auf’s Pferd!
Weil, ungeachtet der größten Eile, die Sache nicht schnell genug nach seinem Wunsche ging, polterte er zornige Worte heraus und stampfte mit den Füßen.
Die Ritter und Waffenknechte, dieses von Ferne sehend, kamen in aller Eile herzugelaufen und ordneten sich unter ihre Obersten, jeder in seiner Schaar.
Nachdem der König seine Mutter umarmt hatte, sprang er zu Pferde, schwenkte seinen Degen in der Luft und rief seinen Mannen zu:
»Männer von Scheldegau, Leyegau und Isergau! Vermessene Feinde verletzten unser Grundgebiet; sie verspotten Euren König; wir gehen, sie bis auf den letzten Mann zu zermalmen. Hoch die Herzen! Vorwärts! Vorwärts!
Und unter dem Schall der Trompeten, dem Wiehern der Rosse, und dem Jauchzen der kriegslustigen Schaaren zog das Heer aus dem Vorhof und verschwand bald nach Osten zu hinter den Bäumen des nächsten Waldes.
II
Schon seit acht Tagen war König Oriand mit seinem Heer nach den Grenzen von Hennegau gezogen, und noch hatte Mattabruna keine Nachricht von ihm erhalten.
Dieß wunderte sie wohl ein wenig, betrübte sie jedoch nicht; denn so lange ihr Sohn wegblieb, herrschte sie ganz allein und verfügte nach Willkür über die Regierungs-Angelegenheiten des Landes. Ihr wurden die schwersten Rechtssachen vorgelegt, an sie wurden die Bitten der Unterthanen gerichtet; ihr wurde in Allem königliche Ehre erwiesen. Das genügte für ihr kaltes und herrschsüchtiges Herz; das Uebrige war ihr im Grunde gleichgültig.
Diesen Morgen jedoch – wahrscheinlich durch ein Gefühl von Neugier getrieben – sandte sie einen Boten zu Pferd nach dem Heer mit einem Briefe für ihren Sohn.
Dann begab sie sich nach dem großen Audienzsaal, wo zu dieser Stunde viele Ritter, Bürger und Dorfbewohner ihre Ankunft erwarteten, um ihre Bitten oder Klagen an sie zu richten.
Mattabruna bestieg den Königlichen Thron und ließ abwechselnd die Kläger oder Bittsteller vor sich niederknieen, einen jeden mit einer Gnadenbezeugung,